ray Filmmagazin » Themen » Squaring the Circle: Genie und Hybris
Squaring the Circle
Fotoshooting für das Cover des 10cc-Albums Look Hear?

Squaring the Circle

Genie und Hybris

| Andreas Ungerböck |
Anton Corbijn widmet sich in seiner Doku „Squaring the Circle“ den legendären Schallplatten-Covers von Pink Floyd, Led Zeppelin, Peter Gabriel und anderen. Und dem Grafikstudio Hipgnosis, das sie gestaltete.

 

Werbung

Nicht mehr ganz taufrisch, weil aus dem Jahr 2022, aber immer noch sehr unterhaltsam ist die Dokumentation, die der niederländische Star-Fotograf Anton Corbijn, längst auch ein anerkannter Filmemacher, über das Grafikdesign-Studio Hipgnosis drehte, jene Londoner Kreativschmiede, die von Ende der sechziger bis Anfang der achtziger Jahre wie keine andere die visuelle Ebene der populären Musikkultur prägte. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms – und das waren im Großen und Ganzen die gesamten siebziger Jahre – gab es kaum eine relevante Band, die nicht bei Hipgnosis ihre Plattencovers gestalten lassen wollte. Die Liste ihrer Kunden liest sich wie das Who Is Who der Rockgeschichte. Sie reicht von AC/DC bis Wishbone Ash, von Genesis bis UFO, von Yes bis Bad Company, von 10cc bis Black Sabbath, und noch viel weiter.

Während Storm Thorgerson, der andere der beiden Mitbegründer und Masterminds von Hipgnosis, im Jahr 2013 verstorben ist – er ist in Archivaufnahmen zu sehen und zu hören –, ist sein langjähriger Kreativpartner und Freund Aubrey Powell, genannt „Po“, ein ungemein sympathischer und eloquenter Gesprächspartner für Corbijn. Begonnen hat alles im Jahr 1964. Da war Po 16 und lernte eine wilde Truppe kennen, die im Haus gegenüber in einer Art WG wohnte, immer schön zugekifft und vor allem mit dem Hören von Musik und dem Schmieden von Plänen beschäftigt. Das waren – neben Thorgerson und anderen – vor allem Pink Floyd, allerdings noch bevor sie Pink Floyd hießen und eine beispiellose Weltkarriere machten. Der geniale, später tragisch zu Grunde gegangene Syd Barrett (der der Legende nach auch den Namen Hipgnosis geprägt hat) war da noch federführend. Thorgerson und Powell wurden dicke Freunde und besuchten beide das Royal College of Art. Thorgerson schloss in Film- und Fernsehproduktion ab, Powell in Fotografie. Schon bald stellte sich heraus, dass beide enormes kreatives Talent hatten. Während Powell neben seinem fotografischen Genie auch mit Geld umgehen konnte, sprudelte Thorgerson vor Ideen – und das nicht nur für Covers, sondern auch für Beilagen, Innenhüllen, alle Arten von Gimmicks und Verpackungen, wie jene schwarze Plastikfolie für Pink Floyds „Wish You Were Here“ (1975), die manche Fans bis heute (!) nicht abgezogen haben. Und Thorgerson war ein Meister darin, Ideen, die von der einen Band abgelehnt worden waren, an andere Bands weiterzuverkaufen.

Das erste ihrer Plattencover-Meisterwerke war der Umschlag für das zweite Pink Floyd-Album „A Saucerful of Secrets“ (1968), mit dem die Band abzuheben begann. Es sollten zahlreiche weitere folgen, die allesamt Kultstatus erlangten – die Covers ebenso wie die Schallplatten. Das gilt ganz besonders wohl für die Hülle zu „The Dark Side of the Moon“ (1973) mit ihrem nur vermeintlich schlichten grafischen Konzept. In den lebhaften Erzählungen Powells sowie von Ex-Mitarbeitenden und natürlich den Musikern (Roger Waters, David Gilmour, Nick Mason) werden die Erinnerungen an diese Arbeiten plastisch – und an den ganzen chaotischen Irrwitz, der sich bei Hipgnosis mit dem zunehmenden Erfolg einstellte. Für „Wish You Were Here“ musste ein Stuntman angezündet werden, für „Animals“ (1977) sollte ein mit Helium gefülltes Stoffschwein über der Battersea Power Station schweben. Als das Schwein aus der Verankerung gerissen wurde und davonflog, hätte die Aktion leicht zu einer Luftfahrt-Katastrophe führen können – und dergleichen Schnurren mehr.

Der Film wird hier zu einer Reflexion über Produktionsmittel und technischen Fortschritt, denn die unendlichen Mühen, derer es etwa bedurfte, um das eindrucksvolle Cover von Led Zeppelins „Houses of the Holy“ (1972) zu gestalten, wären heute am Computer wahrscheinlich in wenigen Stunden zu erledigen. Auch Paul McCartney (Powell: „Ein Anruf von einem der Beatles, das war, als ob Gott angerufen hätte“) ließ sich nicht lumpen. Für die Wings-LP „Band on the Run“ (1973) verpflichtete er unter anderem die Leinwandstars Christopher Lee und James Coburn, und für das Kompilations-Album „Wings Greatest“ (1978) wurde eine riesige (hässliche) Statue, die der Musiker bei Sotheby’s ersteigert hatte, in die Schweiz transportiert und per Hubschrauber auf einen Alpengipfel geflogen, um dort in einer schneebedeckten Landschaft fotografiert zu werden – etwas, das, wie jemand im Film sarkastisch anmerkt, leicht auch in einem Londoner Studio mit einem Berg Salz gemacht hätte werden können. Unfassbar war auch der Aufwand, der betrieben wurde, um auf dem Cover von Led Zeppelins „Presence“ (1976) jenes obskure schwarze Ding unterzubringen, das – Kubricks 2001 lässt grüßen – für viel Rätselraten sorgte und das, selbst für ein Kultobjekt eine rare Ehre, später in Dubai als Hochhaus nachgebaut wurde.

Gleichzeitig erzählt Aubrey Powell ganz offen von der Hybris, die das Hipgnosis-Studio ebenso befiel wie ihre unfassbar (erfolg)reiche Kundschaft: das Privatflugzeug von Led Zeppelin, der ungeheure Geräte-Park von Pink Floyd, der für jedes Konzert von einem Ort zum anderen transportiert werden musste … Mit dem Reichtum kamen die Spannungen (wie etwa zwischen Roger Waters und David Gilmour), die Drogen- und Alkoholexzesse forderten Opfer (wie Led Zeppelin-Drummer John Bonham, 1980). Auch die Zeichen der Zeit wurden im Hochgefühl des Erfolgs geflissentlich ignoriert. Die nachfolgende Punk-Generation konnte mit den „Dinosauriern“ des Rock-Business gar nichts mehr anfangen, und Powell erzählt vom Schockerlebnis, als Johnny Rotten, Leadsänger der Sex Pistols, einmal ausgerechnet in einem „I Hate Pink Floyd“-T-Shirt auftauchte. Mit dem Start und dem großen Erfolg von MTV ab 1981 war die Goldene Ära der Supergroups endgültig vorbei, und auch das Superstudio Hipgnosis war mehr oder weniger Geschichte. Man versuchte noch, mit Musikvideos zu reüssieren, aber das misslang, und auch die Freundschaft zwischen Thorgerson und Powell zerbrach – wie Letzterer unter Tränen erzählt –, am Geld, versteht sich. Zwölf Jahre lang sprachen die beiden „Unzertrennlichen“ kein Wort miteinander.

Bleibt noch die Frage, was Oasis-Mastermind Noel Gallagher in dem Film zu suchen hat … Nun, er ist offensichtlich, wie viele andere, ein Fan der Hipgnosis-Covers und gibt unumwunden zu, dass die Oasis-Hüllen diese Qualität nie erreichen konnten. Und seine Präsenz ist schon allein deswegen gerechtfertigt, weil er diesen bemerkenswerten Satz sagt: „Plattencovers sind die Kunstsammlung des kleinen Mannes.“ Man muss kein Vinyl-Nostalgiker sein, um dem zuzustimmen, denn es gibt eine schiere Unzahl von Covers, die um vieles schöner und interessanter sind als der Inhalt, den sie umhüllen. Dass das alles mit CD und Streaming den Bach hinuntergegangen ist, aber seit Jahren ein großes Comeback erlebt, gehört zu den unergründlichen Mysterien der populären Musik. Anton Corbijns Film ist deswegen so toll, weil er es schafft, einerseits ein paar Wahrheiten hinter dem Mysterium ans Licht zu holen, aber andererseits, wie es ja fast gar nicht anders geht, an dem Mythos, der die Geschichte der Rockmusik umgibt, weiterzustricken. Wie heißt es doch so treffend in John Fords Western The Man Who Shot Liberty Valance (1962)? „When the legend becomes fact, print the legend.” Hier ist das perfekt umgesetzt, und es macht Spaß.