ray Filmmagazin » Filmkritiken » Gipsy Queen
Gipsy Queen

Filmkritik

Gipsy Queen

| Jörg Schiffauer |
Eine starke Frau boxt sich durch.

Knallhart ist der Kampf ums (Über-) Leben, den sich Ali (Alina Șerban) tagtäglich gegenüber sieht – und das mitten in Hamburg. Doch als alleinerziehende Romni – geradezu trotzig nennt sie sich selbst manchmal Zigeunerin – mit zwei kleinen Kindern, die ihre rumänische Heimat hinter sich gelassen hat, erlebt sie vor allem die Schattenseiten der hanseatischen Metropole. Das bedeutet einen mies bezahlten Job in der Putzkolonne eines Hotels, wo ihre Vorgesetzte auch noch Teile des kärglichen Lohns abzweigt, oder das demütigende Anstellen auf dem Arbeitsstrich, um ein paar Euro beim Abriss eines asbestverseuchten Hauses zu ergattern. Eines Abends putzt Ali aushilfsweise in einer Kiez-Kneipe namens „Ritze“, deren Betreiber Tanne im Keller Boxkämpfe veranstaltet. Das weckt Erinnerungen in Ali, war sie doch einst selbst eine höchst talentierte Faustkämpferin, die jedoch nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrem sie trainierenden Vater Sportkarriere und Familie abrupt hinter sich lassen musste. Als Tanne ihres Talents gewahr wird, nimmt er Ali unter seine Fittiche und vermittelt ihr einen Kampf, der für die „Gipsy Queen“ – so ihr Kampfname – ein Wendepunkt sein könnte …

Werbung

Boxen scheint die idealtypische Metapher für Schilderung des sozialen Aufstiegs, das geradezu buchstäbliche Sich-nach-oben-Kämpfen. Hüseyin Tabak, Absolvent der Filmakademie Wien, dessen bisherige feine Regiearbeiten so unterschiedliche Sujets wie ein Porträt von Yılmaz Güney (Die Legende vom hässlichen König) oder den Kinderfilm Das Pferd auf dem Balkon beinhalteten, hat sich dieses Sinnbilds angenommen. Um die Geschichte seiner Protagonistin – dramaturgisch verklausuliert an die Biografie von Tabaks Mutter angelehnt – hat er eine wagemutige Mischung aus Melodrama, Hommage an das Boxen in der Filmgeschichte und Milieustudie in Szene gesetzt. Ein Wagnis, das sich durchaus ausgezahlt hat.

Schon der zentrale Ort des Geschehens sorgt für atmosphärische Dichte: Das Lokal „Zur Ritze“ ist ein legendärer Schauplatz von Hamburg-St. Pauli, an dem sich über Jahrzehnte Größen des Rotlichtmilieus ebenso getroffen haben wie manch prominente Gäste, ein Ort, wo 1981 der Lude „Chinesen-Fritz“ Schoer vom Barhocker geschossen wurde. Tobias Moretti modelliert die Rolle des Tanne, was Tonlage und Erscheinungsbild angeht, virtuos nach Hanne Kleine, dem langjährigen Betreiber der „Ritze“. Mit diesem stimmigen Milieu verknüpft der Plot zahlreiche Reverenzen an große Boxfilme wie Rocky oder Million Dollar Baby. Hüseyin Tabak hat auch den Mut, melodramatische Elemente vom Kaliber eines Douglas Sirk beizufügen, seine Inszenierung versteht auch dabei, höchst effektiv emotionale Wirkungstreffer zu setzen.