Filmkritik

Glass

| Roman Scheiber |
M. Night Shyamalan lässt die Helden aus seinen Filmen „Unbreakable“ und „Split“ aufeinandertreffen: ein fragiles Mashup mit Meta-Twist.

 

Zur Zeit seiner Anfänge in Hollywood überzeugte das kompromisslos Visionäre in M. Night Shyamalans Kino. Viel gepriesen wurde seine Fähigkeit, die Genres Fantasy, Melodrama, Mystery und Horror mühelos auf den Kopf zu stellen und ineinander fließen zu lassen. Auch professionelle Kinogänger zeigten sich überrumpelt von seinen „Twist Endings“. Doch spätestens seit dem Mystery-Thriller Lady in the Water (wenngleich z.B. in „ray“ 08/2006 hymnisch besprochen) fielen seine Filme beim Publikum zumeist durch und konnten auch die meisten Kolleginnen und Kollegen vom Fach nicht mehr so begeistern wie die bilderstürmerischen Arbeiten seiner Anfänge. Erst mit Regie- und Produktionsbeiträgen an der TV-Serie Wayward Pines (2015-2016) und letztlich mit Split (2016) fand Shyamalan, nach fast einem Jahrzehnt kommerzieller Misserfolge, schließlich zurück in die Spur. Viele sahen den vergleichsweise schmal budgetierten Schocker, in dem James McAvoy herausragend eine x-fach gespaltene Persönlichkeit gibt, auch als veritables künstlerisches Comeback. Vor allem von McAvoy profitiert der Filmemacher nun auch bei seinem jüngsten Verwirrspiel Glass, er greift damit neuerdings auch auf eigene erfolgreiche Stoffe zurück; mit der Vermischung von Split, der am Ende bereits ein kleine Selbstreferenz aufweist, und Unbreakable (2000) ist Shyamalan gewissermaßen mit Verspätung in der Zitaten-Postmoderne angekommen.

Vor zwanzig Jahren war Shyamalan mit The Sixth Sense durchgebrochen, vor allem, weil er den Trick des überraschenden Plot Twists zu kaum gekannter, radikaler Wirkmechanik geführt hatte. Der durchschlagende Erfolg des Films (und der im selben Jahr erschienene Fight Club von David Fincher) erzeugte offenbar einen Drang nach weiteren Anwendungsformen, wenn nicht gar ein kleines Subgenre: The Others (Alejandro Amenábar, 2001), Oldboy (Park Chan-wook, 2003), The Prestige (Christopher Nolan, 2006), Shutter Island (Martin Scorsese, 2010) oder Get Out (Jordan Peele, 2017), so unterschiedlich diese Filme sind, seien als empfehlenswerte Beispiele herausgegriffen. Etliche weitere Werke, nicht zuletzt von Shyamalan selbst, versuchten ihr Publikum mit ähnlich angelegten Twist-Enden ins Bodenlose fallen zu lassen.

Die Manipulation des Zusehergehirns, schon seit Meliés eine Konstante im Erzählkino, besteht in diesen Fällen darin, die gesamte Handlung am Ende komplett umzudeuten, den Film im Kopf des Zusehers dadurch noch einmal neu ablaufen zu lassen und sohin unvergesslich zu machen. In Unbreakable überlebt der von Bruce Willis gespielte Durchschnittstyp David Dunn als einziger von 130 Fahrgästen ein Zugsunglück. Den Grund dafür erfährt er am Ende (Vorsicht, das ist quasi ein historischer Spoiler): David ist nämlich in Wahrheit ein unverletzbarer, Verbrecher entlarvender Superheld und der an der Glasknochenkrankheit laborierende Comicbuchhändler Elijah Price (Samuel L. Jackson) hat die Zugentgleisung veranlasst, sich also selbst quasi zum Schurken gemacht, um dem guten David diesen Umstand klar zu machen.

Selbstverständlich gibt es auch in Glass einen Twist, der den Plot im verkehrten Licht erscheinen lässt. Im Fall von Shyamalan, den zumindest das geneigte Publikum nun also hinreichend kennt als Meister der Manipulationsmagie, rechnet man schon mit einem entsprechend faulen Zauber, und so hält sich der Überraschungseffekt zunächst in Grenzen (Vorsicht, jetzt kommt ein aktueller Spoiler): Wer außer Glasknochen-Comicsuperheldenexperte Elijah, genannt „Mr. Glass“, soll denn sonst zum bunt betuchten Master of Ceremony des Showdowns avancieren? Obwohl oder gerade weil er den halben Film über ins Leere starrend in einem Rollstuhl sitzt in jener Anstalt für verhaltensauffällige, superkräftige Antihelden, in die Elijah zusammen mit „Hero“ David und „Villain“ Kevin Wendell Crumb, dem Mädchenmörder aus Split, gesteckt wird. Zwischendurch werden die drei Figuren von Psychiaterin Dr. Staple (Sarah Paulson, u.a. bekannt aus American Horror Story) zur Gruppentherapie versammelt, aber was heißt hier drei Figuren? Insgesamt 23 wären es im Fall von Kevin theoretisch, hervor kommen hier zehn, wobei natürlich nicht jede der von Kevin abgespaltenen Persönlichkeiten der Überlebenden aus Split (Anya Taylor-Joy), welche Dr. Staple helfen soll, gleichermaßen zugänglich ist.

Die neuerlich beeindruckende Tour de Force von James McAvoy als Kevin et al. ist jedenfalls ein guter Grund, sich Glass zu Gemüt zu führen. Ein weiterer: Wie nah Superheldentum an der Geisteskrankheit – nicht nur an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung, sondern etwa auch an Allmachtsphantasien – zu verorten ist, führt kein anderer Film dieser Tage so gekonnt vor Augen. Und noch ein wesentlicher Grund lässt sich anführen. Es wäre nämlich kein Shyamalan-Film, gäbe es nicht noch einen weiteren Twist, der sein Comic-Helden-Mashup endgültig auf eine neue Metaebene hebt. Bedenkt man, wie lange Shyamalan das Mastermind-Abzeichen des ultimativen Handlungsverdrehers schon am Revers trägt, funktioniert dieser finale Twist wirklich nicht schlecht.

Als „Stand-alone-Film“ ist Glass nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Trotzdem trifft es sich gut, dass Unbreakable für Kinogenerationsbegriffe schon so lange her ist. Denn um sich friktionsfrei an dem dichotomischen Duoversum in Glass delektieren zu können, sollte man einerseits Split gesehen haben (um mit den mitunter verstörend raschen Persönlichkeitswechseln des begabten Wandkletterers Kevin ein wenig vertraut zu sein), aber andererseits nicht allzu viel von Unbreakable wissen – sorry for spoiling above –, um sich die Spannung in der ersten Hälfte des Films hoch halten zu können.

Am Ende könnte man Glass auch als Seitenhieb auf die ungebrochenene Obsession der US-amerikanischen Comicblockbustersüchtigen mit ihren Superhelden deuten, unablässig und actionlastig mit kindlicher Freude am digitalen Demolieren ausgebeutet von Konzernen wie der Disney-Tochter Marvel oder der Warner-Tochter DC. Die große Materialschlacht zeichnet sich nämlich auch hier ab, bleibt dann aber aus. Verwegener betrachtet lässt sich Shyamalans Film als generelle Dekonstruktion des Superhelden-Mythos deuten, wobei der in Indien geborene Genre-Auteur nie den grundsätzlich empathischen Blick auf seine übernatürlich veranlagten Außenseiter verliert. Sich selbst ironisiert Shyamalan übrigens – wie üblich und wie seine Inspirationsquelle Hitchcock – in einem amüsanten kleinen Cameo-Auftritt. Diesmal als Kunde in einem Laden für Sicherheitselektronik.