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Große Freiheit

Filmkritik

Große Freiheit

| Andreas Ungerböck |
Packendes Liebesdrama vor zeithistorischem Hintergrund

1945 begegnen sie einander zum ersten Mal, und sie begegnen einander immer nur im Gefägnis: Hans Hoffmann, eben erst von den Amerikanern aus dem KZ gerettet, muss wegen seiner „widernatürlichen Neigung“ und des berüchtigten Paragraphen 175 in den Knast, der verurteilte Mörder Viktor Bix ist schon länger dort. Sie machen aus ihrer gegenseitigen Verachtung längere Zeit kein Hehl. 1957 ist es erneut so weit, Hans fasst eine weitere Gefängnisstrafe aus, und 1968 wird er noch einmal in flagranti auf einer öffentlichen Toilette erwischt, diesmal mit einem jungen Lehrer. Diesem zumindest kann er zur Entlassung verhelfen, indem er die ganze „Schuld“ auf sich nimmt.
Sebastian Meise verschachtelt seine raue, aber herzliche Geschichte eines wachsenden Verständnisses und einer zunächst für unmöglich gehaltenen Zuneigung zwischen zwei ungleichen Männern über die drei Zeitebenen hinweg ineinander, und man muss sich am Aussehen der Protagonisten (ohne Schnurrbart, mit Schnurrbart, kurze Haare, lange Haare) orientieren, um das Geschehen immer richtig einzuordnen. Was über die mehr als zwei Jahrzehnte gleich bleibt, ist der dumpfe, stumpfe deutsche Gefängnisalltag, in dem Homosexuelle mindestens ebenso geächtet werden wie in der Welt draußen. Die recht naiv anmutenden Hoffnungen von Hans, bald mit seiner großen Liebe Oskar (das ist im Jahr 1957) „irgendwo da draußen“ in Freiheit und Frieden leben zu können, erfüllen sich so bald nicht, und als 1969 – kurz nach der Mondlandung, die Viktor und Hans eher langweilig finden – der Paragraph 175 endlich abgeschafft wird, ist alles nicht so, wie er sich das erträumt hat. „Das Gesetz fällt, die Ächtung bleibt“, so steht es treffend auf einem „Spiegel“-Cover.
Große Freiheit, der in Cannes viel positives Echo (und den Jury-Preis in der Sektion „Un Certain Regard“) erntete, beim Festival in Sarajevo mit dem Hauptpreis ausgezeichnet und kürzlich als österreichischer Beitrag für das Oscar-Rennen
nominiert wurde, ist ein packendes Drama vor einem verstörenden zeithistorischen Hintergrund, den viele vermutlich so gar nicht kennen. Das größte Plus des Films sind – das war zu erwarten – die zwei grandiosen Hauptdarsteller, Franz Rogowski, wild, kämpferisch als Hans, und Georg Friedrich, der die raue Schale und den überraschend weichen Kern des Mörders Viktor großartig herausarbeitet. Ob man, vor allem gegen Ende hin, alle erzählerischen Entscheidungen Meises und seines Ko-Autors Thomas Reider teilt, sei dahingestellt, der emotionalen Wucht des Films tut der eine oder andere Einwand keinen Abbruch.

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