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Hans Zimmer – The Music Man

The Music Man

| Mike Beilfuß |

Mit seiner jüngsten Arbeit zu Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest bestätigt Hans Zimmer einmal mehr seine Rolle unter Hollywoods führenden Filmkomponisten. Ein Porträt.

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„Ich habe heute Morgen Jean Sibelius im Auto gehört und gedacht, wie fragmentiert er eigentlich arbeitet. Es ist als würde er niemals seinen eigenen Melodien vertrauen. Ständig verändert er sie. Das habe ich auch immer gemacht.
Es ist Unsicherheit.“

Es ist ein einfaches musikalisches Motiv, das Hans Zimmer nicht nur den Weg nach Hollywood ebnete, sondern auch die letzten Selbstzweifel an seinen kompositorischen Fähigkeiten ausräumte: A World Apart heißt der Film, für den er jenes einfache musikalische Thema komponierte, und Chris Menges heißt der Regisseur, der Zimmer das nötige Selbstvertrauen gab. Das war Zimmers erster Schritt nach Hollywood, den nächsten und vielleicht wichtigsten verdankte er allerdings der Frau des Regisseurs Barry Levinson, die ihrem Mann die CD von A World Apart mitbrachte. Levinson selbst hatte den Film gar nicht gesehen, doch er war begeistert von der Simplizität der Komposition und wollte etwas in dieser Art auch für Rain Man. Der Titel Leaving Wallbrook sollte eines der bekanntesten Synthiestücke aller Zeiten werden und Hans Zimmer von heute auf morgen in die A-Liga der Hollywoodkomponisten katapultieren.

Einfach unkompliziert

Der 1957 in Frankfurt am Main geborene Hans Zimmer war kein guter Schüler und hält auch nichts von den deutschen Schulen: „Der Musiklehrer hat früher einen Stuhl nach mir geworfen und gemeint, ich sei der Unmusikalischste in der Klasse“, sagt Zimmer und wundert sich, warum heute ein Bild von ihm im Eingangsbereich der Schule hängt: „Das ist natürlich alles ganz große Scheiße. Die Schulen sind natürlich nicht besser geworden.“ Auch eine Musikhochschule hat Hans Zimmer nicht besucht. Ende der 70er Jahre war er Komponist für Werbejingles und Mitglied der Popband The Buggles, deren bekanntester Song Video Killed the Radio Star auch das erste Video war, das beim Musiksender MTV gezeigt wurde. 1980 ging Zimmer nach London und wurde Assistent des Filmkomponisten Stanley Myers, über den er dann auch an A World Apart gekommen ist.

„In England und in den USA war alles viel einfacher. Die ganze Idee dort ist, dass du erst beweisen musst, dass du ein Arschloch bist. In Deutschland denken sie von vornherein du bist eins und du musst erst beweisen, dass du kein Arschloch bist.“

Hans Zimmer ist ein direkter Mensch, ohne Umschweife, ohne großartiges Herumreden. Ridley Scott sagte einmal, dass er an Zimmer schätze, dass er kein Fachsimpler sei. Er erzähle ihm nichts von musikwissenschaftlichen Bezeichnungen, sondern er würde ihm die Musik mit einfachen, greifbaren Worten beschreiben. Es ist vermutlich diese Einfachheit im Umgang mit Regisseuren, die Zimmers Erfolg miterklärt. Und es ist seine einfache und unkomplizierte Herangehensweise an Musik, die ihm diesen Umgang erst ermöglicht.

In Henning Lohners Dokumentarfilm Musik im Spiegel der Gefühle (1998) gibt es eine Szene, in der Zimmer in seinem Studio sitzt, offensichtlich begeistert. Vor sich steht eine Klaviatur. Mehrere Bildschirme, Computer, Synthesizer, Boxen und unzählige Meter Kabel füllen den Raum. Zimmer wirkt glücklich und erzählt offen, wie an diesem Ort die Musik für seine Filme entsteht. Ganz simpel spielt er Melodien auf dem Klavier an und erklärt dem Zuschauer ihre Wirkung. Innerhalb von Sekunden hat er an seinem Computer einen synthetischen Orchesterklang aus Streichern, Holzbläsern und Schlagwerk nachgestellt und kann eine Komposition anklingen lassen. Der Computer druckt dann praktischerweise auch gleich die fertige Partitur aus, die er dann nur noch zur Bearbeitung an seine Mitarbeiter geben muss. Mit jenem bereits erwähnten, musikalisch scheinbar sehr unbeschlagenen Ridley Scott hat Hans Zimmer einige seiner bekanntesten Filme gemacht: Black Rain (1988), Thelma and Louise (1991) und Gladiator (2000), wobei Black Rain nach wie vor sicherlich zu einer der bedeutendsten Filmmusiken der Gegenwart zählt. Gemeinsam mit Ron Howards Backdraft (1991) hat Black Rain neue Maßstäbe für die Vertonung von Actionfilmen gesetzt. Die Verbindung aus Synthesizer, Orchestermusik und den für Zimmer so typischen wummernden Basslinien hat das Actionfilm-Scoring bis heute nachhaltig geprägt. Es gibt kaum einen Komponisten, der um diese Entwicklung und um diesen von Zimmer geprägten Stil einen Bogen machen konnte. Backdraft wurde auch als Soundtrack ein Verkaufshit, und das lag diesmal ausnahmsweise nicht nur an den Songs von Bruce Hornsby, sondern auch an der sehr zugänglichen Struktur und den einfachen Melodien der Komposition, die sich wie ein Popsong schnell im Ohr festsetzt.

Alles unter einem Dach

Auf den Aufstieg Zimmers wirkte sich der zunehmende Einsatz technischer Hilfsmittel in Hollywood seit Beginn der 90er Jahre sicherlich begünstigend aus. Zimmer ist jemand, der sich dieser Entwicklung im Gegensatz zu anderen Komponisten nie verschlossen hat, sondern sie im Gegenteil sogar förderte und maßgeblich zu ihrer Verbreitung beitrug. Eine andere Stärke, die den technikbegeisterten Zimmer auszeichnet, ist, dass er eine bewusste Trennlinie zwischen technischer und authentischer Musik ziehen kann. Er hat allergrößte Hochachtung vor dem Instrument und dem Menschen, der dieses Instrument spielen kann.

„Ich möchte nicht am Ende meines Lebens dumm und ignorant sterben.“

Hans Zimmers Studio liegt mitten im Herzen von Los Angeles und es ist nicht das einzige Studio in dem Gebäude. In dem unscheinbaren Haus arbeiten viele Komponisten, die Zimmer unter dem Namen seiner Firma Media Ventures unter ein Dach gebracht hat. Nach dem Erfolg von Rain Man, der unter anderem auch eine Oscarnominierung erhielt, gründete Zimmer mit seinem Partner Jay Rifkin besagte Firma. Das Anliegen dieser Unternehmung ist es, sich durch die Kreativität von vielen künstlerisch ambitionierten Menschen ebenfalls inspirieren zu lassen und jüngeren Komponisten den Zugang durch die nahezu undurchdringlichen Wege nach Hollywood leichter zu machen. Dieses Vorhaben ist gelungen: Viele der momentan in Hollywood tätigen Komponisten haben ihre Karriere in den Zimmer-Studios begonnen: Klaus Badelt, Harry Gregson-Williams, John Powell, Mark Mancina, Trevor Rabin und Nick Glennie-Smith sind nur einige der Namen, die für diese Institution stehen. Ein Problem, das sich bei dieser Art der Förderung ergibt, ist die Austauschbarkeit der Musik. Jeder der Komponisten hat größte Probleme, sich ein eigenes musikalisches Profil zu erarbeiten. Der Einfluss Hans Zimmers ist stets unüberhörbar. Hinzu kommt, dass, wenn ein Komponist erst einmal mit einem bestimmten Sound verbunden wird, es für ihn fast unmöglich ist, die Regisseure oder Produzenten von etwas anderem zu überzeugen. Ein Filmkomponist wird für das eingekauft, was man hören will. Einerseits verständlich, andererseits für so manchen künstlerisch ambitionierten Komponisten aber auch ein Fluch.

Wehmut und Bombast

1995 bekam Hans Zimmer für The Lion King schließlich seinen ersten und bisher einzigen Oscar. Dass diese Musik aber trotzdem nicht zu seinen größten Werken zählt, merkte Zimmer selbst in einem Interview an, in dem er meint, dass die Musik wesentlich besser geworden wäre, wenn er mehr Zeit für die Komposition gehabt hätte. Man gab ihm aber nur dreieinhalb Wochen, um die mit ihren blass wirkenden Synthesizerarrangements eher durchschnittlich anmutende Komposition fertig zu stellen. Einen Oscar verdient hätte jedoch eine andere Musik: 1998 komponierte Zimmer für Terrence Malicks The Thin Red Line sein Meisterwerk.

„Die Arbeit an The Thin Red Line ist mit Sicherheit die intensivste, die ich je erlebt habe.“

Zu den traumwandlerischen und entrückten Bildern des Krieges auf einer Insel im Südpazifik schuf Zimmer eine Musik, die mit dem Film zu verschmelzen scheint. Musik und Bild sind nicht voneinander zu trennen und bilden eine Einheit, wie sie Zimmer nie vorher und auch bis heute nicht mehr schaffen konnte. Wenn in einer der heftigsten Szenen des Films die US-Soldaten ein japanisches Camp stürmen, die Bilder in slow motion übergehen, der Ton zurückgeregelt wird und sich über all das mordende Geschehen Zimmers zunächst ruhige, dann sich immer mehr steigernde, gleichzeitig wehmütige und bombastische Musik legt, dann wird alles, was an Pathos des Krieges scheinbar vorhanden sein mag nicht nur in den Bildern, sondern auch in der Musik vollkommen widerlegt. Der Klang gilt nicht dem Krieg, sondern den Opfern. Eine Seltenheit in dem immer wieder mit Schlagwerk, Trompeten und pathetischen Melodien arbeitenden Kriegsfilmgenre.

Mit Leichtigkeit ans Ziel

Hans Zimmer ist ein Vielschreiber, und dementsprechend sind eine Menge seiner letzten Projekte Koproduktionen mit Komponisten seiner Firma. Was jedoch nicht heißt, dass er die „Sahnestücke“ aus der Hand geben würde: Während The Weather Man noch eine Zusammenarbeit mit James S. Levine war, wobei ebengenannter wohl den Hauptteil der Komposition für den Film ablieferte, hat Zimmer die beiden aktuellsten prestigeträchtigen Großprojekte The Da Vinci Code und Pirates of the Caribbean: Dead Man´s Chest ganz allein für sich an Land gezogen.

2003 kam es im Hause Media Ventures dann zu einem Eklat: Jay Rifkin zeigte seinen Partner wegen „Konspiration, das Geschäft alleine zu führen“ an, worauf Zimmer daraufhin eine neue Firma gründete, die Remote Control Productions. Was auch immer zu dem Bruch geführt haben mag, dem weiteren Erfolg von Hans Zimmer stand er nicht im Weg.

„Ich schreibe Musik für mich selbst. Sie bezahlen mich dafür, aber das ist ein Unfall. Ich würde es sowieso machen.“

Ob Thriller, Komödie oder Drama, Zimmer scheint sich in jedem Genre wohl zu fühlen. Es gibt nichts, was bei ihm nicht geht; er findet für alles eine Lösung. Dieser pragmatische Ansatz ist wohl eines der Hauptmerkmale Hans Zimmers, und er erklärt auch, warum er sich in den USA wesentlich wohler fühlt als im umständlichen Deutschland. Wie um die Nähe zu seiner Wahlheimat zu unterstreichen, fällt Zimmer in Interviews manchmal vom Deutschen ins Englische; einen leichten amerikanischen Akzent hat er ohnehin schon. Hans Zimmer ist ein Pragmatiker, dies allerdings im besten Sinne. Im Grunde sollte man daher nicht sein Bild irgendwo in einer Schule aufhängen, sondern vielmehr seine Herangehensweise in der Praxis zum Vorbild machen. Etwas mehr Zimmer täte uns Europäern gut, etwas mehr Leichtigkeit – so wie der Schwung und der Rock ’n’ Roll in seiner besten Musik zu einer Komödie: As Good As It Gets.