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Harriet

Filmkritik

Harriet

| Michael Pekler |
Zeitgemäßes Biopic über die legendäre schwarze Fluchthelferin Harriet Tubman

Harriet ist ein Film, der nicht alles richtig, es aber sehr vielen recht macht. Ein Film, der verstören will und aufrütteln muss, der von einer mutigen Frau erzählt und seinem Publikum Mut machen möchte. Zugleich ist Harriet aber auch ein Film, der allzu viel nicht erzählt und den Konventionen des Mainstreamkinos opfert. Und vor allem ein weiterer Film, der eine Lebensgeschichte auf zwei Stunden berührende Unterhaltung zusammenstutzt.

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Geboren um 1820 als Araminta Ross, deren Biografie ausreichend gut dokumentiert ist, wuchs Harriet mit ihrer Familie auf der Farm eines Sklavenhalters in Dorchester County, Maryland auf. Sie wurde regelmäßig schwer geprügelt und galt dennoch als aufsässiges Kind. Sie hatte, wie sie später ihrer Biografin erzählte – Harriet blieb zu ihrem Tod Analphabetin –, große Angst vor den Sklavenhändlern, die in den Jahren vor dem Bürgerkrieg ihr gutes Geschäft mit der Ware Mensch machten, indem sie Schwarze auf die Baumwollplantagen in den Süden verkauften. Araminta heiratete John Tubman, einen freien Schwarzen, nahm den Namen Harriet an und floh, als ihr Besitzer sie zu verkaufen drohte, allein nach Philadelphia.

Der Film Harriet könnte nach einer halben Stunde zu Ende sein, wenn diese erste Flucht, der viele weitere folgen werden, gelingt. Die Sonne strahlt der streng gläubigen jungen Frau in diesem Moment ins Gesicht, sie breitet die Arme aus und atmet zum ersten Mal in ihrem Leben die Freiheit. Solche Momente liebt das Kino. Aber Harriet hat noch so viel mehr zu erzählen, was Kasi Lemmons als Autorin nicht weglassen darf, will ihr Film den Ansprüchen eines gängigen Biopic genügen. Etwa vom bewegenden Wiedersehen Harriets mit ihrem Mann. Vom sadistischen weißen Herrensohn und dessen noch sadistischeren schwarzen Gefolgsmann. Und natürlich von der Underground Railroad, jenem Netz von Sklavereigegnern, mit dessen Hilfe Tausende Sklaven auf geheimen Pfaden in den Norden fliehen konnten und zu dessen Symbolfigur Harriet aufstieg. Denn mehrere Male überquerte sie, getarnt als „Moses, the slave stealer“ freiwillig die Mason-Dixon-Line zurück in den Süden, um auf neun Reisen mehr als fünfzig Menschen in die Freiheit zu führen.

Der ehemalige Sklave, Abolitionist und Schriftsteller Frederick Douglass verglich die Anzahl jener Sklaven, denen vor dem Bürgerkrieg die Flucht in den Norden gelang, mit Wassertropfen auf einem Teelöffel, mit dem man einen Ozean ausschöpfen wollte. Ein wenig davon hat auch dieser Film, based on a true story: Ein kleiner Löffel, auf den ein ganzes Leben passen soll.