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Haywire

Haywire

Karate und Konzeptkunst

| Daniel Kothenschulte |

Steven Soderberghs Ausflug in die Direct-to-Video-Ästhetik: das Martial-Arts-lastige Agenten- und Actiondrama „Haywire“

Ich hasse Film. Zelluloidfilm ist unscharf und geht sofort kaputt. Schon immer war es mir ein Graus, meine Filme in einem Kino anzusehen.“ Wer Steven Soderbergh in der der von Keanu Reeves produzierten Dokumentation Side by Side auf das Medium schimpfen hört, das ihn in den achtziger Jahren berühmt machte, erwartet nicht unbedingt, ihn auf den Spuren von Quentin Tarantinos Death Proof anzutreffen. So wie sein Regiekollege in dieser Hommage an die Raserfilme der siebziger Jahre eine Stuntfrau in einer Hauptrolle besetzte, hat nun auch Soderbergh das Original im Double entdeckt: Mit der Mixed-Martial-Arts-Sportlerin Gina Carano hat er eine Laiendarstellerin ins Zentrum seiner Inszenierung gestellt. Alles ist auf diese faszinierende Kontextverschiebung ausgerichtet: Lange Kameraeinstellungen bezeugen in seinem Agenten- und Actiondrama die Authentizität der Action. Narrative Szenen gehen unverschnitten in Stuntsequenzen über, sorglos wie man sie im Kino nur selten erlebte: Bei den Stummfilmstars Douglas Fairbanks, Buster Keaton und Harold Lloyd, später bei den Kung-Fu-Stars Bruce Lee oder Ti Lung, und natürlich auch bei Jackie Chan. Doch auch diese athletischen Filmstars waren im Zweifelsfall zu sehr um Eleganz bemüht, um ihre physischen Fertigkeiten so unverstellt über alle anderen filmsprachlichen Mittel dominieren zu lassen. Soderbergh hingegen verbeugt sich so tief vor dem Verismus „echter“ Kämpfe, dass andere optische Reize dahinter zurücktreten müssen. Auch wenn Haywire in HD entstand, hat der Film doch den Look von billigem Video. Die Ausleuchtung ist diffus, harte Videokonturen hat man offenbar gern in Kauf genommen.

Hatte Soderbergh in The Girlfriend Experience (2009) demonstrativ die Pornodarstellerin Sasha Grey gecastet, sieht nun alles aus wie Porno. Und hört sich auch so an. Die Dialoge der Pulp-Geschichte um eine Ex-Soldatin der Marines, die für eine private Sicherheitsfirma Geheimdienstjobs billiger und effektiver ausführt als die Profis von der CIA, haben wie im Porno lediglich Brückenfunktion. Wer es gut mit den narrativen Szenen meint, mag sie betrachten wie die Intros für die Song-and-Dance-Nummern alter Hollywood-Musicals. Die Kosten für einen Dialogcoach hat sich der Regisseur gespart: Caranos laienhafter Sprechduktus ist ihm gerade recht, um den Effekt der Umgewichtung von Schauspiel und Stunt-Acting noch zu betonen. Verstärkt wird der Eindruck durch Topstars in Nebenrollen. Ewan McGregor spielt den Auftraggeber der Heldin namens Millory Kane, die gerade erfolgreich einen Auftrag in Barcelona abgewickelt hat, um ohne Pause zum nächsten Gig in Dublin geschickt zu werden. Dort soll sie sich als Frau eines britischen Agenten ausgeben, der – wer könnte die Diskrepanz deutlicher machen – vom derzeit gefragtesten Charakterdarsteller des Königreichs gespielt wird, Michael Fassbender. Mathieu Kassovitz ist ihr zunächst unnahbares Zielobjekt; Antonio Banderas und Michael Douglas vervollständigen die Riege der Profis, die der tatkräftigen Laiendarstellerin Spalier stehen. Die Kontrast zwischen den artistischen Schauwerten der in der Tat umwerfenden Martial-Arts-Einlagen und dem betont lieblos inszenierten Drumherum ist der konzeptuelle Reiz von Haywire. Einen Regisseur, der sich in seinen Ocean’s-Eleven-Filmen als Meister smarter Perspektiven und Blickwinkel erwiesen hat, bei der bewussten Verweigerung dieser Mittel zu bestaunen, wäre ein seltenes Vergnügen. Doch so ganz traute Soderbergh seinem Wagemut dann doch nicht. Und bestellte bei David Holmes einen ausgesprochen coolen Soundtrack, der die gesetzten Brüche, verstärkt durch eine verquere Rückblendenstruktur, leider wieder ein Stück weit verwischt. Es ist wie so oft bei Soderbergh: Er ist der experimentellste Regisseur Hollywoods – gebremst allerdings mitunter von der Sorge, dem Ergebnis fehlte am Ende die Coolness.

Wie kein anderer seiner Filme steht Haywire an der Grenze zwischen den Mainstream- und den Avantgarde-Linien in seinem Schaffen. Tatsächlich führt er mit dem laienhaften Spiel des Stars sogar an eine interessante Schnittstelle zwischen Kunst und Trash: Untrainiertes Sprechen gibt es im Porno, aber auch bei Straub-Huillet. In beiden Filmformen bezeugt dieses Stilmittel einen Bruch mit der ästhetischen Glätte und einen Gewinn an Authentizität.

Anders als Tarantino in Death Proof ist Soderbergh gar nicht daran interessiert, seine Stuntfrau auch als Schauspielerin gut aussehen zu lassen. Er belässt sie lieber ungeschliffen – was in einigen Momenten allerdings auch bloßstellend wirkt. Wenn der Zelluloid-Verächter Soderbergh etwas fürchtet, dann für einen Kino-Nostalgiker gehalten zu werden. Und so birgt sein Ausflug in die Direct-to-Video-Ästhetik auch keinerlei Verwechslungsgefahr mit dem Original in sich. Auch darin unterscheidet er sich vom Fan-Approach der Tarantinos und Rodriguez’.

Zurecht wurden die Actionszenen bei der Berlinale-Premiere mit reichlich Applaus quittiert. Doch wer in diesem Film die Liebeserklärung an ein wenig anerkanntes Genrekino sieht oder gar den Versuch, einen neuen Star zu küren, hätte das Experiment gründlich missverstanden. Dies hier ist Karate als Konzeptkunst.