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Literaturtipp

Hitch, der Gezeichnete

| Oliver Stangl |
Schwarzweiße Bilder, schwarzhumoriger Text: Die französische Graphic Novel „Alfred Hitchcock 1 – Der Mann aus London“ zeichnet ein stimmiges Porträt des „Master of Suspense“.

Dass die Franzosen besonders große Fans des Regiegroßmeisters Alfred Hitchcock sind, haben sie immer wieder unter Beweis gestellt: Die „Cahiers du cinéma“ gestanden Hitchcock bereits Auteur-Status zu, als dieser von der Allgemeinheit noch eher als unterhaltsamer Handwerker gesehen wurde; Truffaut stellte in seinem wunderbaren Interview-Buch die berühmte Frage „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“; Rohmer/Chabrol analysierten in ihrem gleichfalls wunderbaren Buch psychologische und handwerkliche Aspekte im Werk des „Master of Suspense“.

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Nun haben der französische Autor, Regisseur und Filmhistoriker Noël Simsolo (Text) und sein Landsmann Dominique Hé (Zeichnungen) eine Graphic Novel vorgelegt, die für Cineasten ebenso Pflichtlektüre ist wie für Comic-Fans. „Alfred Hitchcock 1 – Der Mann aus London“ erzählt in Schwarzweiß von Leben und Werk des Genies. Als Ankerpunkt dienen dabei die Dreharbeiten zur Kriminalkomödie To Catch a Thief (1955), bei denen Hitchcock seinem Hauptdarsteller Cary Grant Anekdoten aus seinem Leben erzählt. So erfährt der Leser von Hitchcocks Kindheit, der dominanten Mutterfigur, dem Gefühl des Alleinseins, den Schuljahren, der katholischen Prägung, der Liebe zum deutschen Stummfilm, dem frühen Interesse an morbiden Zeitungsartikeln und dem filmischen Beginn als Gestalter von Zwischentiteln. Das alles ist so komponiert, dass die Einzelelemente geradezu logisch auf einen Großmeister im Erzählen von Geschichten hinauslaufen, die Schuld und Bedrohung thematisieren.

Visuell überzeichnet Hé die Figuren bewusst ein wenig, karikiert sie geradezu liebevoll. Dies passt exzellent zum humorvollen – manchmal natürlich schwarzhumorigen – Text Simsolos. Herrlich, wie man im Gesicht des feisten Jungen schon das spätere ikonische Konterfei des Meisters erkennen kann. Dazu kommen Begegnungen mit Filmgrößen wie Murnau, der Hitchcock einen Vortrag über den Einsatz von Filmkulissen hält.

Besonders in den Gesprächen mit Grant wird vieles geistreich verdichtet: So sitzen die beiden in einem französischen Restaurant, während Hitchcock mit dem Messer herumfuchtelt und England als „Paradies der schlimmsten Mörder“ bezeichnet. Die Spezialität der Engländer seien „Serienkiller, die ihre Opfer im Keller oder im Garten begraben.“ Darauf Grant, als er einen schönen jungen Kellner sieht, der gerade Essen serviert: „In Frankreich ist es die Liebe.“ Worauf Hitchcock erwidert: „Nein, die Küche.“ Grant sieht beides an – den Kellner und das Essen: „Welcher Teufel würde da widerstehen?“ Somit hat auch die Graphic Novel einige jener Doppeldeutigkeiten zu bieten, die Hitchcock so gerne in sein Werk einbaute. Die vielen faktenbasierten Details vermitteln zudem auch nicht wenige produktionstechnische Hintergründe der Hitchcock-Filme, beispielsweise zu The Lodger (1927).

Dass Personen wie Hitchcocks langjährige Ehefrau Alma, mit der er gerne Ideen wälzte, nicht zu kurz kommen, versteht sich, ist Simsolo doch ein regelrechter Hitchcockianer, der bereits im Alter von 24 das erste Buch über den Meister veröffentlichte. Den nonlinearen Erzählstil hat man aber dabei nicht von Hitchcock, sondern von Orson Welles‘ Citizen Kane übernommen. Die Leser sollen sich „wie in einer Meeresströmung mal hier- und mal dorthin tragen lassen“, so Noël Simsolo. Band 2, der Hitchcocks Karriere ab den Vierzigern folgt, wird voraussichtlich Ende des Jahres erscheinen. Man darf im Wortsinn gespannt sein.

Übrigens: Vor kurzem hat „ray“-Chefredakteur Jörg Schiffauer das ebenso aktuelle wie umfangreiche Nachschlagewerk „Hitchcock. Alle Filme“ vorgestellt.