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Barfly Film
Barfly (1987)

Barfly

Hollywood: Porträt und Demontage

| Stephan Eicke |

Vor 25 Jahren feierte Barbet Schroeders Film „Barfly“ Premiere. Im Roman „Hollywood“ rechnete Charles Bukowski, der auch das Drehbuch schrieb, auf unterhaltsame Weise mit der Traumfabrik ab.

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Dass Mickey Rourke für seine Rolle in Barfly Charles Bukowski imitierte – der schlurfende, behäbige Gang, der raue, von Alkohol und Nikotin geprägte Klang der Stimme, das Nuscheln, als spräche er zu sich selber und kümmere sich nicht darum, ob ihn jemand verstehe – macht deutlich, wie verschwommen die Grenzen zwischen fiktiver Schöpfung und realem Schöpfer waren. 1987 machte der amerikanische Schriftsteller sein bereits aus semi-biografischen Romanen und Kurzgeschichten bekanntes Alter Ego Chinaski zur Hauptfigur seines einzigen Drehbuchs Barfly. Der zwei Jahre später von Bukowski veröffentlichte Roman „Hollywood“ ist eine lakonisch-skurrile Spiegelung der chaotischen Produktionsgeschichte des von Barbet Schroeder inszenierten Films, der 1987 Premiere feierte. Wenn Bukowski hier als Henry Chinaski über Henry Chinaski schreibt, wird der Irrsinn der selbsternannten Traumfabrik in zynisch geschilderten Episoden lediglich hauchdünn verhüllt. Das Buch ist Bukowskis Abrechnung mit einem System, das ihm von Grund auf zuwider war. Was aber steckt hinter der spöttischen Karikatur eines amerikanischen Lebensstils, über dessen Darstellung sich Sean Penn und Barbet Schroeder dahingehend einig waren, dass diese zum Großteil der Wahrheit entspräche?

„Einige Tage später rief Pinchot an.“: Mit diesen Worten beginnt „Hollywood“. Pinchot, das ist Barbet Schroeder, der französische Nonkonformist, der 1987 mit Barfly seinen ersten Film in den Vereinigten Staaten drehte. Als langjähriger Bewunderer des 1920 in Deutschland geborenen Bukowski hatte Schroeder Anfang der achtziger Jahre einen ungewöhnlichen Plan gefasst: Ohne Einbindung von Filmstudios und somit auch ohne Rückhalt eines Investors beschaffte er im Alleingang 10.000 Dollar als Budget für ein Drehbuch. Ein Drehbuch, von dem er nicht sagen konnte, wovon es handeln würde – zu einem Film, von dem er nicht wusste, wer die Darsteller oder finanziellen Unterstützer sein würden. Lediglich den Autor wusste er: Charles Bukowski, der in den USA zeit seines Lebens kaum ernst genommene Alkoholiker, der mittlerweile ein alter Mann geworden war (wie er in „Hollywood“ desillusioniert erkennen muss).

Für den alten Mann sollte die finanziell ertragsreichste Periode seines Lebens mit dem Drehbuch-Auftrag jedoch erst beginnen. Vom Geld gelockt und vom Enthusiasmus eines Verehrers geschmeichelt, nahm Bukowski den Auftrag an, war aufgrund seiner schwierigen Beziehung zum Film jedoch anfangs kaum motiviert. Eraserhead, Who’s Afraid of Virginia Woolf, All Quiet on the Western Front und The Lost Weekend waren zusammen mit den Filmen Akira Kurosawas die einzigen cineastischen Werke, denen der Literat etwas abgewinnen konnte. Die „dümmlichen“ Filme seiner Kindheit, mit den Three Stooges oder Cary Grant, hätten ihn krank gemacht und Brechreiz bei ihm ausgelöst, heißt es in „Hollywood“.

Bukowski und die Frauen

Die Geschichte, die Bukowski in seinem ersten Drehbuch zu erzählen beschloss, war seine eigene. Barfly handelt von der komplizierten Beziehung zu seiner ersten Liebe Jane Cooney Baker, die sich 1962 zu Tode getrunken hatte. Bukowski, der sich in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre länger in schmutzigen Bars im Rotlichtviertel von Los Angeles aufhielt als bei der Arbeit in einem Kaufhaus, trank zu jener Zeit nicht selten bis zu zwölf Flaschen Rotwein am Tag und sehnte sich danach, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden. In diese von Bitterkeit aufgrund mangelnden Erfolgs getrübte Zeit kam Jane – die Frau, die zehn Jahre älter war als er, eine Ehe hinter sich hatte und in einem Hotel arbeitete, wenn sie nicht zu betrunken war.

Baker verließ den strauchelnden, aber produktiven Schriftsteller 1955 – in dem Jahr, in dem Bukowski wegen eines alkoholbedingten Magendurchbruchs in einem Krankenhaus behandelt werden musste. 1976 lernte Bukowski Linda Lee kennen, die Frau, die ihn immer wieder motivieren sollte, das Drehbuch zu schreiben, auch wenn sich ihr Weggefährte noch so sehr gegen die amerikanische Filmindustrie sträubte. Die Beziehung zu der jüngeren Betreiberin eines Bioladens liest sich in „Hollywood“ wie die zwischen Nick und Nora Charles, dem Lieblingsfilmpaar des amerikanischen Publikums, das in den dreißiger und vierziger Jahren mit der Thin Man-Reihe Erfolge feierte. Chinaski und Sara (so taufte Bukowski seine treue Lebensgefährtin in den in „Hollywood“ niedergeschriebenen Erinnerungen) ergänzen sich in den zynisch geschilderten Episoden des Romans wie Waldorf und Stettler aus der Muppet Show. Sie haben selten Meinungsverschiedenheiten und unterstützen einander. Sie gibt ihm den Rückhalt, den er zu brauchen scheint; ein Traumpaar vor allem dann, wenn Linda/Sara das Ausgangsmaterial für Charles’/Henrys Pointen liefert.

Im wahren Leben war Bukowskis Beziehung zu Frauen weitaus weniger harmonisch: Entjungfern ließ sich der von Akne Geplagte im Alter von 23 Jahren von einer Prostituierten, bevor Jane Cooney Baker ihn immer tiefer in den Alkoholismus trieb. Seiner späteren Freundin Linda King brach er die Nase und in den Bukowski-Tapes, einer Dokumentation über den Schriftsteller, die Barbet Schroeder vor dem Produktionsbeginn zu Barfly aus 64 Stunden Filmmaterial zusammenstellte, ist ein aggressiver Ausbruch des alkoholisierten Bukowski zu sehen, der seine Ehefrau Linda Lee – die seinen Alkoholkonsum, wie ihr Mann in „Hollywood“ stolz anerkennt, stark zu reduzieren vermochte – mit den Füßen tritt und wüst als Schlampe, Hure und Fotze beschimpft. Trotz derartiger Wutausbrüche bleiben beide bis zum Tod des Schriftstellers 1994 ein Paar – Verbitterung über die Beziehung ist bei Linda Lee bis heute nicht zu spüren.

Cannon

Nachdem das Drehbuch fertig gestellt war, fand sich in der Cannon Group, die vornehmlich für kostengünstige Produktionen patriotischer Actionfilme in den frühen achtziger Jahren bekannt geworden war, eine Produktionsfirma, die sich bereit zeigte, Barfly zu realisieren. Sich des finanziellen Risikos bewusst, in einen amerikanischen Autorenfilm zu investieren, suchten Yoram Globus und Menahem Golan mit dem unter Vertrag genommenen Team Schroeder/Bukowski ihr Image aufzubessern. Ein gewagtes Unterfangen, denn Cannon war zu jener Zeit fast pleite – weshalb Golan/Globus das Projekt mehr als einmal absagten, um es wenig später, auf Druck Schroeders, wieder aufzunehmen. Wie weit der französische Regisseur zu gehen bereit war, zeigt sich in einer der denkwürdigsten Szenen in „Hollywood“ – eine Szene, die in all ihrer grenzenlosen Groteske der Wahrheit entsprach, wie von Schroeder später bestätigt werden sollte. Leid, sich weiterhin mit Cannon herumzuärgern, klopfte Schroeder Hollywood nach einem neuen Investor ab und fand ihn in Form eines mächtigen Immobilienmaklers, der bereit war, ein Budget für den Film zur Verfügung zu stellen und für das Projekt mit ganzer Überzeugung einzustehen.

Dies zog jedoch neue Probleme nach sich: Kaum hatten Yoram und Menahem Globus von der „Intrige“, sie als Produzenten zu ersetzen, erfahren, stiegen sie nicht nur aus der gesamten Produktion aus, sondern verlangten auch eine Rückzahlung der aufgewendeten Mittel in Höhe von über einer Million Dollar. Unfähig, eine derartige Summe aufzubringen, griff Schroeder zu drastischen Mitteln. Mit einer elektrischen Kettensäge bewaffnet, stürmte er das Büro des von Cannon verpflichteten Anwalts (im Roman „Zutnick“ genannt) und drohte, sich an Ort und Stelle jeden einzelnen Finger abzusägen, würde man sich nicht dazu bereit erklären, auf seine Forderungen (Verzicht auf die Nachzahlung und grünes Licht für den neuen Investor) einzugehen.

„Jon drückte den Abzug der Black & Decker und hielt seine linke Hand in die Luft, den kleinen Finger ausgestreckt. Er schwenkte die Black & Decker, während ihr Blatt sich unermüdlich ihren Weg bahnte“, beschrieb Bukowski die skurrile Situation, die auf sarkastische Weise den Unterschied zwischen grenzenlosen Künstlern und berechnenden Geschäftsmännern versinnbildlicht: „‚Du machst mich krank, Zutnick. Entferne die Klausel „E“ oder ich säge mir einen Finger ab! JETZT!‘ Jon drückte auf den Knopf. Die Black & Decker sprang wieder an. Jon Pinchot streckte den kleinen Finger seiner linken Hand aus.‘“

Letzten Endes bekam Schroeder seinen Willen: Ein neuer Vertrag, der den Regisseur von der Nachzahlung befreite, wurde aufgesetzt.
„Ich ging mit Jon zu seinem Auto. Er warf die Black & Decker auf den Rücksitz, kletterte dann nach vorne. ‚Jon,‘ fragte ich ihn vom Bürgersteig aus, ‚kann ich dir die große Frage stellen?‘ ‚Sicher.‘ ‚Du kannst mir die Wahrheit über die Black & Decker erzählen. Es bleibt unter uns. Hattest du wirklich vor, es durchzuziehen?‘ ‚Natürlich…‘ ‚Und die anderen Teile? Die anderen Finger? Wolltest du es wirklich machen?‘ ‚Natürlich. Wenn du so etwas erst einmal anfängst, gibt es keinen Weg zurück.‘ ‚Du hast Mumm, Mann!‘ ‚Das war gar nichts. Jetzt bin ich hungrig.‘

Das Glück, über einen vertrauenswürdigen neuen Produzenten zu verfügen, währte jedoch nicht lange, war die nun involvierte Gesellschaft doch keinesfalls so vertrauenswürdig, wie man erwartet hatte. Hinter dem Rücken von Schroeder und Bukowski versuchte diese die Rechte an dem noch zu drehenden Film für sieben Millionen Dollar an interessierte Firmen abzutreten. Der Haken war jedoch nicht nur, dass in Hollywood niemand an dem Drehbuch über zwei sich liebende, selbstzerstörerische Alkoholiker interessiert war. Folgender wichtiger Umstand war nämlich in vollkommene Vergessenheit geraten: 1973 erlebte Bukowski, ein halbstündiger Dokumentarfilm von Taylor Hackford, im US–Fernsehen seine Erstausstrahlung („Einer seiner ersten Filme war eine Dokumentation über mich gewesen. Sie wurde eines Nachts auf PBS ausgestrahlt. Am nächsten Morgen riefen 50 Leute an und kündigten ihre Abos.“). Hackford erwarb daraufhin die Filmrechte an Bukowskis erstem Roman „Post Office“, den er als Anti-Kriegsfilm umsetzen wollte; die Pläne dazu ließ der Regisseur jedoch bald wieder fallen. Hackford war nun aber Eigentümer des Charakters bzw. Namens Henry Chinaski – also musste die Barfly-Produktion hoffen, den besagten Namen verwenden zu dürfen. Man hatte Glück: Hackford willigte ein, Bukowski vom Vertrag zu entbinden.

Als der neue Geldgeber aufgrund eines finanziell verlockenderen Projekts sein Interesse an Barfly verlor, bekundete ausgerechnet Cannon (im Buch: „Firepower“) Interesse, das Projekt erneut zu unterstützen. Sich nach den vorhergegangenen Auseinandersetzungen der sparsamen Arbeitsweise Cannons bewusst, sagten Schroeder und Bukowski dennoch zu. Wer sich nun Barfly ansieht, wird tatsächlich als ersten Schriftzug im Vorspann „The Cannon Group Inc.“ als Produktionsfirma lesen.

Unter der Voraussetzung, dass …

Sean Penn war einer der ersten Schauspieler, der auf die an verschiedene Agenten gesandten Drehbuchkopien reagierte. Damals vorrangig in Boulevard-Blättern als Ehemann von Madonna präsent, war Penn erst noch auf dem Weg künstlerisch anerkannten Filmschauspieler. Penn, der in Bukowskis Roman Tom Pell getauft wurde, sagte aufgrund seiner langjährigen Bewunderung für Bukowski innerhalb kürzester Zeit zu, für die Gage von einem Dollar die Hauptrolle zu übernehmen. Einzige Bedingung: Sein Freund Dennis Hopper müsse die Regie übernehmen. Unabhängig davon, dass Barbet Schroeder seit Monaten intensiv an dem Projekt gearbeitet hatte, war dies eine Forderung, die für den französischen Filmemacher unmöglich zu erfüllen war – schließlich verband ihn mit Hopper eine tief verwurzelte Feindschaft, die scheinbar durch nichts überwunden werden konnte: „Obwohl Jon all seine Filme bislang ausschließlich in Europa gedreht hatte und Macks Filme amerikanisch waren, hingen die Filmleute an den selben Plätzen in Hollywood herum. Jon und Mack Austin saßen in demselben angesagten Restaurant. Ich bin mir nicht sicher, wer betrunken war und wer nicht, aber es scheint, dass irgendwann eine Diskussion zwischen den beiden entstand (…) Schließlich stand Mack auf und schrie zu Jon: ‘YOU CALL YOURSELF A DIRECTOR? YOU CAN’T DIRECT TRAFFIC!’ Nunja, ich weiß nicht. Den Verkehr zu dirigieren erfordert viel Können.”

Trotz der bekannten Feindseligkeiten trafen sich Penn, Hopper, Schroeder und Bukowski im Haus des Schriftstellers. Schroeder und Bukowski hofften, Penn von seinem ausdrücklichen Wunsch abbringen und ihn trotzdem für die Hauptrolle gewinnen zu können. Bukowski selber war nämlich überzeugt, dass Penn für die Darstellung eines Alkoholikers bestens geeignet sei.

Der Eindruck Schroeders, Hopper wirke „frisch aus dem Drogen- und Alkoholentzug wie ein platter Reifen“, sollte sich nach nur wenigen Minuten auch bei Bukowski bestätigen. Mit einem Dutzend goldener Ketten um den Hals, in künstliches Lachen ausbrechend, nervös und selbstsicher zugleich, wurde Hopper zum Grund, weshalb das Projekt erneut für kurze Zeit auf Eis gelegt wurde. Nach langen Verhandlungen, die letztlich scheiterten, sah Bukowski noch immer keinem Grund, sich seinem Freund Schroeder gegenüber illoyal zu zeigen. Kaum hatten Penn und Hopper das Haus des Schriftstellers verlassen, stürmte Schroeder zum Telefon, um seinen Anwalt anzurufen. In „Hollywood“ ist diese Szene wie folgt beschrieben: „ICH WILL EINEN ZUSATZ IN MEINEM TESTAMENT! BIST DU BEREIT? (…) PAUL, ES GEHT UM DIESEN FILM. ER HEISST „THE DANCE OF JIM BEAM“, GESCHRIEBEN VON HENRY CHINASKI! NUN GUT, SCHREIB FOLGENDES AUF: IM FALLE MEINES TODES SOLL DIESER FILM NIEMALS VON MACK AUSTIN GEDREHT WERDEN! (…) VON JEDEM, NUR NICHT VON MACK AUSTIN! HAST DU DAS?“

Mit dem Verzicht auf Dennis Hopper musste man auch den Abgang von Sean Penn in Kauf nehmen. Dennoch entwickelte sich zwischen Penn und Bukowski eine enge Freundschaft, die bis zum Tod des Poeten währen sollte – Penns zweite Regiearbeit Crossing Guard (1995) ist Bukowski gewidmet.

Nach diesem Intermezzo dauerte es allerdings nicht lange, bis ein anderer Schauspieler, der damals – ebenso wie Penn – noch am Anfang seiner Karriere stand, Interesse an dem Drehbuch bekundete: Mickey Rourke, der ehemalige Boxer, der im Zuge seines Mitwirkens an diesem Film über Alkoholiker sagen sollte, er habe keinen Respekt vor Trinkern, da nahezu alle männlichen Vertreter seiner Familie aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Flasche das 50. Lebensjahr nicht erreicht hätten. Diese Aussage kam allerdings nur einige Jahre bevor Rourke selbst aufgrund seiner Trink- und Drogensucht die Boulevard-Blätter in aller Welt füllen sollte.

Trotz des bekundeten Interesses stellte auch Rourke eine Forderung: Faye Dunaway (im Buch heißt sie Francine Bowers) müsse die Partnerin an seiner Seite spielen. Dunaway, deren einst erfolgreiche Karriere hauptsächlich aufgrund katastrophaler Misserfolge wie Eyes of Laura Mars und Mommie Dearest versandet war, erhoffte sich durch Barfly die lang ersehnte Anerkennung der Kritiker und Preisverleiher, die ihr filmisch den zweiten Frühling bringen sollte. Die Wahl Dunaways entpuppte sich für Bukowski, der anfangs nichts gegen diese Klausel Rourkes einzuwenden hatte, als unglücklich, war sie doch eine der wenigen Kritikpunkte, die der Autor im Nachhinein an seinem Film hatte: Dunaway war ihm als Cooney Baker zu attraktiv. Die bekannteste Szene des Films, in der Dunaway ihre durch einen Morgenmantel nur halb verdeckten Beine ausstreckt, um sie stolz zu präsentieren, wurde erst nachträglich auf ausdrücklichen Wunsch des weiblichen Stars in das Drehbuch geschrieben.

Stars und Sternchen

Neben Rourke, Dunaway, Penn und Hopper sowie dem Kameramann Robby Müller (der entgegen der Darstellung in Bukowskis Buch behauptete, während der Dreharbeiten nicht betrunken gewesen zu sein) finden sich noch zahlreiche weitere Größen aus dem Filmgeschäft, die – mal mehr, mal weniger maskiert – in „Hollywood“ bissig vorgeführt werden. Dass Bukowski selber eine sehr geringe Affinität zu Filmen hatte, macht verständlich, dass er für Grenzgänger wie Werner Herzog, für den nur das zählt, was am Ende auf der Leinwand zu sehen ist, wenig Verständnis aufbrachte. Dementsprechend karikiert er den Einzelgänger, der im Roman Wenner Zergog genannt wird: „Am Ende der Bar saß ein Typ, der mich anstarrte. Er hielt den Blickkontakt. Endlich sah auch ich ihn an. ‚Was machen Sie?‘, fragte ich ihn. Er zögerte einen Moment, nahm einen Drink und sah mich wieder an. ‚Ich erröte bis zu den Zehen in meinen Schuhen, Ihnen das zu sagen, aber… ich mache Filme.‘ Ich fand heraus, dass er Wenner Zergog war, der renommierte deutsche Regisseur. Er war ziemlich verrückt, bewegte sich ständig am Abgrund, wie die Leute sagten, indem er immer wahnsinnige Unternehmungen in Bewegung setzte, mit denen er sein Leben und das der anderen gefährdete. ‚Sie sollten etwas Anständiges machen‘, riet ich ihm. ‚Ja, ich weiß‘, antwortete er, ‚ich weiß aber nicht, wie man irgendetwas anderes macht.‘ (…) Jon erzählte uns später: ‚Der Mann an der Bar war Wenner Zergog. Letzte Woche hatte er mit seiner Frau ein Pistolenduell. Sie haben so lange aufeinander geschossen, bis die Patronen alle waren und nichts getroffen.‘“

Schriftsteller Norman Mailer, der als Victor Norman in „Hollywood“ seinen Auftritt hat, wird von Bukowski auf einer Party zum Faustkampf herausgefordert. Mailer, der zu jener Zeit boxte und die Schlacht gegen den Trinker mit dem dicken Bauch und der schlechten Leber als ungerecht ansah, erwiderte darauf jedoch lediglich: „Hank, denk nicht einmal dran“. So zumindest erinnerte sich Mailer in Howard Sounes Bukowski-Biografie „Charles Bukowski: Locked in the Arms of a Crazy Life“ an die Begegnung.

Als skurril erweist sich auch die Darstellung Jean-Luc Godards als Jon-Luc Modard, dem verschlossenen Einzelgänger, von dem niemand weiß, zu wem er eigentlich gehört, als er sich inmitten einer Gruppe bekannter Filmstars in den Sessel eines Hotelzimmers fallen lässt, um stundenlang schweigend den zahlreichen Gesprächen mit ausdruckslosem, leerem Gesicht zuzusehen, ohne ihnen zu folgen. Erst in angetrunkenem Zustand beginnt er zu plaudern – allerdings eher mit sich selbst, denn mit Bukowski, ganz so, als wäre der ermüdete Schriftsteller nur ein Spiegel für das französische Genie, das in dieser Umwelt fehl am Platze zu sein scheint und dessen Ausbruch an zusammenhanglosen Sätzen an seinem Gegenüber abperlen wie Ölspritzer von einer teflonbeschichteten Bratpfanne. Bukowski ist schnell genervt.

Gemessen an seiner Funktion wird Francis Ford Coppola alias Frances Ford Lopalla nur in einem Nebensatz erwähnt – als freigiebiger Gönner, der den Genies der Traumfabrik finanziell ein Überleben sichert, indem er für ihre Hotelrechnungen aufkommt. In ähnlicher Weise fungierte er auch bei Barfly: Produzent Fred Fuchs bat Coppola, den Film finanziell zu unterstützen, nachdem offensichtlich geworden war, dass Cannon am Rande des Ruins stand. Das Einschreiten Coppolas konnte zwar sicherstellen, dass der Film gedreht wurde, nicht aber, dass Cannon ein Jahr nach der Premiere bankrott ging. Barfly war an der Misere nicht unschuldig, denn der von den meisten Kritikern wohlwollend aufgenommene Autorenfilm erwies sich an den Kinokassen als finanzieller Flop, der am Premieren-Wochenende in den Vereinigten Staaten lediglich 45.900 Dollar einspielte. Trotz bereits erwähnter Kritikpunkte zeigte sich Bukowski mit dem Endprodukt nicht gänzlich unzufrieden. Sein trockenes Resümee im letzten Kapitel von „Hollywood“ lautet: „Nun, ich hatte schon Filme gesehen, die viel schlechter waren – vor allem aus den dreißiger Jahren.“

Anmerkung des Autors: Direkte Zitate aus „Hollywood“ wurden vom Verfasser des Artikels, basierend auf der englischsprachigen Originalfassung, ins Deutsche übersetzt (Charles Bukowski: „Hollywood. With an Introduction by Howard Sounes“, Canongate Books, 2007)