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ICH CAPITANO

Filmstart

Ich Capitano

| Pamela Jahn |
Der gefährliche Traum von Europa

Seydou (Seydou Sarr) und Moussa (Moustapha Fall) geht es nicht schlecht. Sie haben Arbeit, sind auf TikTok aktiv und spielen Fußball, was man als Teenager halt so macht. Aber ihre Leidenschaft ist die Musik – und um mit ihren eigenen Songs einmal ganz groß herauszukommen, würden sie so ziemlich alles tun.

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Alles, das heißt in dem Fall konkret: Von Dakar durch die Sahara nach Libyen zu gelangen, wo sie über das Mittelmeer nach Europa übersetzen wollen. Eine Reise in die Freiheit soll es werden, aber ganz geheuer ist Seydou die Sache zunächst nicht. Erst nach dem Besuch bei einem örtlichen Schamanen, der ihr Vorhaben absegnen soll, lässt er sich von seinem Cousin zu dem Wagnis überreden. Doch kaum sind sie unterwegs, wird aus dem Abenteuer ein Kampf um Leben und Tod, bei dem sie mehr als nur ihr Geld und einander verlieren.

Matteo Garrone, der mit Gomorra (2008) das Mafiafilm-Genre neu definierte, hat mit Io capitano ein ungewöhnlich hoffnungsvolles Flüchtlingsdrama gedreht. Der Film ist schonungslos in seiner Darstellung dessen, was Menschen anderen antun, die sie für hilf- und mittellos halten. Gezeigt werden sowohl die immensen Herausforderungen, denen sich die Migranten stellen müssen, als auch ihre Fähigkeit, diese zu überwinden. Hinter Seydous etwas schüchterner und sanfter Art verbirgt sich eine erstaunliche Stärke und Überlebensfähigkeit.

Es ist die Heldengeschichte eines sensiblen Jungen, der auf seinem Weg zur Selbstverwirklichung eine Reihe harter Prüfungen bestehen muss, bis er wieder Land in Sicht sieht. Seydou und seinem Freund widerfahren so viel Leid und Gewalt, dass jeder Moment des Innehaltens gleichzeitig voller Anspannung ist. Immer wartet man darauf, dass noch Schlimmeres passiert. Und in der Regel kommt es auch so, bis zur letzten Überfahrt über das Mittelmeer.

Daneben flirtet der italienische Regisseur streckenweise mit jenem magischen Realismus, der für seine Werke typisch ist. Die Erhabenheit seiner künstlerischen Kameraführung versprüht in dem gegebenen Kontext jedoch einen übermäßigen Glanz, der den Film eher von seinen Protagonisten distanziert, als ihren Erlebnissen ein episches Ausmaß zu verleihen.

Die emotionale Intensität der Inszenierung erreicht im finalen Akt ihren Höhepunkt. Wie Garrone sich hier seiner Heimat mit den Augen eines Außenseiters nähert, hat etwas Ergreifendes. Seydous Reise mag lang, schmerzlich und gefährlich sein, aber das Kino ist ein Medium mit aufregend offenen Grenzen. Auch daran erinnert der Film.