In seinem neuen Film Iklimler (Jahreszeiten) erkundet der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan erneut männliche – und damit auch eigene – Befindlichkeiten.
Kosmopolitisch und egozentrisch, intellektuell und elegant ist der türkische Filmemacher Nuri Bilge Ceylan; und mit diesen Eigenschaften und mit seinen Filmen ist er in den letzten sieben, acht Jahren auf den Festivals der Welt herumgereicht und mit einer ganzen Menge Preise ausgezeichnet worden. Weil er gut aussieht, eine attraktive Frau hat, und weil die beiden zusammen in seinem neuen Film die Hauptrollen spielen, hatte das Istanbuler power couple heuer auf dem Roten Teppich in Cannes einen Auftritt, der schon etwas her machte, während er bei der Berlinale 2000, als sein Film Mayis Sikintisi (Clouds of May) immerhin im Wettbewerb lief, noch in einen zugigen Vorraum der VIP-Lounge abgeschoben wurde, um Interviews zu geben – was natürlich gegen die Berlinale spricht, aber eine der ersten Stationen der Festivalkarriere Nuri Bilge Ceylans markiert. In seiner Heimatstadt ist man einerseits stolz auf den erfolgreichen Landsmann – denn Auslands-Erfolge türkischer Individuen, gleich auf welchem Gebiet, werden immer als nationale und damit kollektive gewertet –, verübelt ihm aber andererseits sein schnöselig-überhebliches Verhalten, das er an den Tag legt, seitdem sich die internationalen Filmfestivals um ihn reißen.
Schmerzen
Anlässlich der Uraufführung von Iklimler in Cannes spekulierten die türkischen Zeitungen schon, dass er natürlich die Goldene Palme gewinnen werde. Zum Beweis für diese These wurden alle möglichen Kritiker- und Publikumsumfragen, vorgenommen von den aus Cannes in die Heimat berichtenden Society-Reportern, angeführt. Ceylan gewann bekanntermaßen nicht, was nichts an der Tatsache ändert, dass Iklimler ein sehr guter Film ist.
Anders als in seinen letzten drei Spielfilmen Kasaba (1998), Mayis Sikintisi und Uzak (2002), die mehr oder weniger autobiografische Bezüge hatten, hat Ceylan dieses Mal nicht den Schauspieler Muzaffer Özdemir als sein Alter ego gecastet, sondern gleich sich selbst. Der äußerst uncharmante, glamourfreie, aber doch interessante Özdemir musste dem glatten, geschmeidigen, in seiner gesamten Attitüde jedoch auch ein wenig langweiligem Ceylan weichen. Damit konnte der zwar selbst nicht mehr hinter der Kamera stehen, zeichnet aber weiterhin, wie schon früher, auch für Drehbuch und Schnitt von Iklimler verantwortlich. „Ich arbeite gern mit so wenigen Leuten wie möglich, deshalb übernehme ich die meisten Funktionen selbst“, hat er einmal gesagt; und es klang damals wie das ernsthafte, idealistische Bekenntnis eines liebenswert-obsessiven Autorenfilmers. Mittlerweile denkt man, dass es eher um ein Super-Ego geht, das exzessiv und sehr erfolgreich zelebriert wird.
Iklimler ist eine Beziehungsgeschichte; sie beginnt mit einer Beschreibung des Status quo: Ein nicht mehr glückliches Paar fährt gemeinsam an die türkische Südküste in Urlaub, um wieder glücklich zu werden. Schon als der Mann bei der Ankunft im Hotel seinen Kopf in eine Nachttischschublade legt, um seine Nackenschmerzen zu bekämpfen, und die Frau ihm dabei gleichgültig oder gar ein winziges bisschen angewidert zuschaut, ahnt man, dass die Beziehung nur noch in die Brüche gehen kann. In wenigen, brillanten Szenen schildert Ceylan die kleinen Feindseligkeiten, Nervereien, enterotisierenden Routinen, die das Paarleben in der Regel zeitigt, und man ertappt sich dabei, dem Schauspieler-Ehepaar Respekt zu zollen für seine Fähigkeit zur kritisch-distanzierten Selbstreflexion und -darstellung. Vor allem Ebru Ceylan sieht man gern zu, wenn sie ihren kaum noch zu zügelnden Überdruss mühsam hinter Gähnen verbirgt, bis er dann doch aus ihr herausbricht und sie ihrem Mann während einer gemeinsamen Motorroller-Tour plötzlich von hinten die Augen zuhält. Er verliert die Kontrolle über das Fahrzeug, beide werden auf die Straße geschleudert und tragen erhebliche Verletzungen davon. Man begreift, dass die Frau endlich wieder etwas spüren will: die Wut des Mannes oder eigene Schmerzen, alles ist besser als die Apathie, der die beiden anheim gefallen sind. Extreme Nah- und Detailaufnahmen beider Gesichter geben Aufschluss über eben diesen Zustand: Nichts ist da zu sehen, nur Leere. Das Paar trennt sich.
Fern voneinander
Im weiteren Verlauf des Films erfährt man nichts über die Frau und alles über den Mann. Zurück in Istanbul trifft er eine ehemalige Geliebte wieder, die offensichtlich mit einem anderen zusammen ist. Abends steht er unangemeldet vor ihrer Tür; sie ist überrascht und ein wenig neugierig, bittet ihn herein. Die alte Freundin fängt plötzlich an zu lachen, erst beinahe verhalten, dann lauter, schließlich mit weit geöffnetem Mund und in den Nackem gelegtem Kopf. Es ist ein aggressives, wissendes Lachen, das ihn erstarren lässt. Sie trinken Wein, er isst aus Verlegenheit Nüsse. Lange Zeit sind nur seine enervierenden Knack-, Kau- und Mahlgeräusche zu hören. Sie beobachtet ihn, und es scheint, dass sie genau weiß, warum sie nicht mehr seine Geliebte ist. Dann fällt er unversehens über sie her. Was zunächst aussieht wie ein Spiel zwischen zweien, die sich einmal sehr gut gekannt haben und immer noch ein instinktives physisches Vertrauen ineinander setzen, artet zunächst in einen immer gewalttätigeren Kampf, schließlich in eine Vergewaltigung aus, die sich über Minuten hinzieht. Wieder sind die Geräusche – das keuchende Atmen beider, ihre hilflosen Faustschläge, sein Grunzen, ihre Schmerzenslaute, das Reißen von Kleidungsstücken, das Poltern von Schuhen, das Klackern eines verlorenen Ohrrings – eindringlicher und damit unerträglicher als die Bilder, die dagegen fast konventionell wirken.
Nuri Bilge Ceylan erzählt auch mit Iklimler die Geschichte einer männlichen Identitätskrise, und man muss sagen, dass er das, soll man sagen: Genre?, souverän beherrscht. Er scheut sich nicht davor, seine einsamen Helden mies aussehen zu lassen, sie in ihrer Hilf- und Verantwortungslosigkeit, ihrer Unerwachsenheit und ihrem Egozentrismus vorzuführen, dabei kaum um Verständnis, allenfalls um Mitleid heischend. So gibt es in Iklimler eine Szene, in der der Mann seiner Frau – nicht zufällig – wieder begegnet: Er ist ihr ins tief verschneite Anatolien nachgereist, wo sie mit ihrem Fernsehteam dreht. Er zwingt eine Aussprache herbei, an der sie längst nicht mehr interessiert ist, und er schafft es nicht, sie neuerlich für sich einzunehmen. Da sitzen die beiden in einem Kaffeehaus von erschütternder Kargheit, während man draußen nichts als Schnee sieht. Die Kälte scheint in die Stube einzudringen, die beiden mit einem Panzer zu umgeben, seine liebevoll gemeinte Geste, die Übergabe eines kleinen Geschenks, wird bereits wieder zu einem latent aggressiven Akt. Weil er weiß, dass sie sich, im Gegensatz zu ihm selbst, längst aus der Beziehung gelöst hat, unendlich weit von ihm weg ist. Uzak, also „weit, fern“, hieß Ceylans letzter Film, der zwei Cousins im Istanbuler Winter zeigte, die vorübergehend eine Wohnung teilen und sich immer fremder werden. Dieser Titel passt auch auf Ceylans jüngstes Werk – und vielleicht sowieso auf alle seine Filme, in denen er die unterschiedlichen Beziehungen, die männliche Biografien prägen, ausgelotet hat. Damit muss es freilich auch irgendwann ein natürliches Ende haben, und es bleibt abzuwarten, ob Nuri Bilge Ceylan dann immer noch etwas zu erzählen hat.