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Katharina Copony

In der Kaserne | Interview

Finden, was man nicht gesucht hat

| Andreas Ungerböck |
Katharina Coponys großartiger dokumentarischer Essayfilm „In der Kaserne“ ist ab sofort auf Kino VOD Club -– Kino für Zuhause abrufbar. Das ausführliche Gespräch mit der Regisseurin fand im November 2019 anlässlich der Werkschau ihrer Filme im Wiener Metro Kinokulturhaus statt.

Katharina Copony, 1972 in Graz geboren, verbrachte Teile ihrer Kindheit und Jugend in Straß in der Südsteiermark, wo ihre Großmutter die Kantine in der Schlosskaserne betrieb und wo auch ihre Mutter und ihre Tanten sowie ihre Cousine aufgewachsen waren. Mehr als 30 Jahre später kehrte sie in die Kaserne zurück und drehte einen Filmessay zum Thema Erinnerung, ganz persönlich, aus der eigenen Familiengeschichte heraus, und doch universell gültig. In der Kaserne ist der seltene Glücksfall eines Dokumentarfilms, der nicht auf alles eine Antwort hat, sondern Fragen aufwirft, mit denen sich zu beschäftigen sich auch für die Zuschauerin und den Zuschauer lohnt: Woran erinnern wir uns, was blenden wir aus? Was wird tatsächlich gesagt und was bleibt ungesagt? Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass sich hier lauter Frauen und Mädchen inmitten einer streng hierarchischen und reglementierten Männerwelt bewegen. Wie in allen Filmen Coponys spielen Räume eine ganz besondere Rolle – und die Sprache, die Stimmen, der Ton. Die Erinnerungen der Mutter und der Tanten werden von einer einzigen Stimme gelesen, man kann sich also voll und ganz auf das Gesagte konzentrieren. Dass einzelne Szenen mit zwei kleinen Mädchen nachgestellt werden, irritiert nur auf den ersten Blick. In der Kaserne ist – wie die Filmemacherin auch im Interview sagt – zwischen Spiel- und Dokumentarfilm angesiedelt, als Grenzgang, der die Möglichkeiten beider Formen auslotet und nützt.

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Katharina Copony studierte in Wien Visuelle Mediengestaltung an der Angewandten bei Peter Weibel. Mit einem Erasmus-Stipendium ging sie nach Berlin, doch aus den geplanten drei Monaten wurden dreieinhalb Jahre. Zwischendurch jobbte sie unter anderem als Putzfrau in Flugzeugen und schnitt Trailer bei Sat1. Als Artist-in-Residence verbrachte sie mehrere
Monate in Japan. Zum Film, zur „Arbeit mit realen Menschen“ (Copony) kam sie über ihre Mitarbeit an Valeska Grisebachs Kurzfilm Berlino. Ihren ersten eigenen Film der wackelatlas – jagen und sammeln mit h.c. artmann drehte sie 2000 gemeinsam mit Artmanns Tochter, ihrer Cousine Emily. Katharina Copony lebt in Berlin und unterrichtet u.a. an der Merz-Akademie in Stuttgart. Die vom Filmarchiv Austria in Kooperation mit „ray“ gestaltete Retrospektive ist die erste Gesamtschau ihrer Filme. Als Film, der sie inspiriert und beeinflusst hat, wählte Copony Barbara Lodens unabhängig produzierten Wanda aus dem Jahr 1970, der ebenfalls zu sehen ist.

H. C. Artmann war Ihr Onkel. War immer geplant, mit ihm einen Film zu machen?
Katharina Copony:
Es war naheliegend, zumal er schon alt und recht schwach war. Wir standen uns sehr nahe. Er war ein unangepasster, unabhängiger Mensch, völlig frei im Denken. Er war nicht auf Erfolg aus, das hat ihn überhaupt nicht beeindruckt. Für uns war vollkommen klar, dass wir kein Archivmaterial verwenden würden, dass wir uns ganz auf dieses Wohnzimmereck konzentrieren. Auf diesem Lehnstuhl hat er tatsächlich seine Tage verbracht, weil er sich nicht mehr viel bewegen konnte. Diese Begrenzung des Ortes war seinem Denken und seiner Sprache diametral. Wir wollten das Ganze ohne Außenaufnahmen, ausschließlich entlang seiner inneren Landschaften, die ihm so wichtig waren, machen. Interessant ist, dass es immer relativ schnell ums Schreiben ging, um die Sprache. Er sprach viel über seinen Zugang zur Sprache, das war einfach essenziell.

Hat er den Film noch sehen können?
Katharina Copony: Den fertigen Film leider nicht mehr, weil er ja während des Projekts starb. Das letzte Gespräch fand, glaube ich, drei oder vier Tage vor seinem Tod im Dezember 2000 statt. Aber wir haben ihm Material gezeigt. Im Nachhinein denke ich, das war sein Abschiedsgeschenk an uns. Ich konnte mir den Film lange nicht anschauen, weil ich fand, dass man den Tod in den Aufnahmen schon so spürt. Während des Drehens hatten wir diesen Eindruck nicht, aber im Material wurde es deutlich.

„Kanegra“, Ihr nächster Film, hatte in gewisser Weise auch mit Ihnen zu tun …
Katharina Copony: Der Film hat insofern mit mir zu tun, als meine Mutter Mitbegründerin des Sozialpsychiatrischen Zentrums in Graz war. Ende der 70er Jahre wurde es eröffnet, und ich meine, es war die erste Einrichtung dieser Art in Österreich. Im Sommer fuhren sie mit den Klientinnen und Klienten ans Meer und im Winter Schifahren. Da war ich als Kind öfter dabei und habe auch zu Weihnachten im Beratungszentrum Cello gespielt. Für meinen zweiten Film wollte ich diese Reisegruppe begleiten.

Sie sagen „Klientinnen und Klienten“, nicht „Patientinnen und Patienten“ …
Katharina Copony: Ja, das war ganz wichtig. Auch, dass man per Du war und das Ganze möglichst anti-hierarchisch.

Woher kommt diese Vertrautheit, die man dem Film anmerkt?
Katharina Copony: Zwei der Teilnehmer kannte ich schon. Im Zuge der Vorbereitung habe ich alle anderen kennengelernt, die dann auf der Reise mit dabei waren. Die entscheidende Frage lautete: Was bedeutet es für Menschen, die sich wahrscheinlich ohnehin in ihrem eigenen Leben fremd fühlen, in der Fremde zu sein? Sie sprechen ja teilweise in dieser Urlaubskulisse von der Landschaft draußen so, als würden sie ihre eigene innere Landschaft beschreiben. Diese Umkehrung von Innen und Außen, das hat mich interessiert. Irgendwann kippt das, und es kommt einem dieser Urlaubsort „ver-rückter“ vor als die Menschen in meinem Film.

Verglichen mit Ihren späteren Filmen ist dieser geradezu „konventionell“, wobei das nicht wertend gemeint ist …
Katharina Copony: Es war mein letzter Film mit talking heads. Eigentlich war es hier schon mein Wunsch, den Ton unabhängig vom Bild verwenden zu können. Das Material hat aber dann doch etwas anderes vorgegeben. Ich dachte eher an „gesprochene Postkarten“ – also die Urlaubskulisse, die von den Erzählungen der fünf Menschen  in meinem Film „besprochen“ wird. Ich wollte das Verhältnis von On und Off ausloten, wie es dann erst bei Il Palazzo ganz deutlich wird. Mich hat, ganz unabhängig vom Krankheitsbild der Leute, das ich sowieso nicht beurteilen konnte, das Unmittelbare ihrer Erzählungen fasziniert, das Unverstellte, nicht Berechnende, nicht Kalkulierte. In einer Kultur des Ständig-auf-sich-selbst-aufmerksam-Machens finde ich das etwas sehr Außergewöhnliches.

Wie kam es zu „Il Palazzo“, der ja nur auf den ersten Blick ein Film über ein Gebäude, über Architektur ist?
Katharina Copony: Ich war für drei Monate mit einem Fotostipendium in Rom und wohnte nahe der Piazza Navona. Manchmal hielt ich es im Zentrum einfach nicht mehr aus, weil es zu laut war, zu hektisch. Ich fuhr öfter an den Stadtrand, und in einem Architekturführer fand ich dann Corviale, das zweitlängste durchgehende Gebäude Europas. Also machte ich mich auf den Weg dorthin, in den Südwesten Roms. Als erstes fiel mir dieser liebevoll gepflegte kleine Garten an der Rückseite auf, der so gar nicht zu der Anlage passte. So kam ich mit Renato in Kontakt, der sich dort um alles kümmerte.

Hatten Sie von Anfang an geplant, in dem Gebäude einen Film zu machen?
Katharina Copony: Anfangs ging es um ein Kennenlernen, auch mit seiner Frau, seiner Tochter, darum, ein paar Fotos zu machen. Das hat sich eher langsam angebahnt. Ich habe ziemlich viel recherchiert, bevor wird zu drehen begonnen haben, immerhin zu sechst inklusive mir, auf 16mm, also recht aufwändig, in zwei Drehblöcken. Bei diesem Ort war es unumgänglich, ihn schon vor dem ersten Drehtag sehr genau zu kennen, auch deshalb, weil er durchaus als gefährlich galt. In Rom sagte man mir, ich müsse wohl Schutzgeld zahlen, während meine Produktionsleiterin, die ich aus Berlin mitgebracht hatte, eine Sardin, meinte, das dürfe ich auf keinen Fall tun.

Was waren denn Ihre Überlegungen in Hinblick auf die Umsetzung?
Katharina Copony: Formal legte ich großen Wert auf den Prolog, diese lange und auch bewusst langatmige Fahrt vom Zentrum an die Peripherie, um die große Entfernung spürbar zu machen. Später kommt dieser thematische Schwenk zurück ins Zentrum, weil die Leute ja großteils früher dort gewohnt haben und vertrieben wurden. Das Gebäude kam mir wie ein UFO vor, das mitten in der Landschaft steht. Und das Gespenstische daran war, dass, obwohl dort achttausend Menschen leben, man selten jemanden sah. Das ist eine der großen Fehlleistungen dieser Architektur, dass es keine Treffpunkte gibt. Für mich war das fast so, als würde dieses Haus die Leute verschlucken. Das habe ich versucht, durch quasi fotografische Einstellungen zu verdeutlichen, durch Ausblicke, Einblicke, Durchblicke.

Es ist faszinierend, wie die Bewohner sich dieses scheinbar „unmögliche“ Haus angeeignet haben und teilweise umgebaut, und welche Mythen sich um diesen Bau ranken …
Katharina Copony: … wie die Geschichte mit dem „duftenden“ Wind vom Meer, der wegen des Gebäudes nicht mehr nach Rom hineinwehen kann. Genau, das fand ich sehr spannend.

Können Sie mit dem Begriff des Ethnografischen etwas anfangen? Ich meine damit diese Neugier, gerade im scheinbar Vertrauten das Fremde aufzuspüren, so wie hier oder später in Bukarest oder in Sardinien, und die Genauigkeit, mit der Sie das aufzeichnen.
Katharina Copony: Ja, in gewissem Sinne. Aber ein Bezug zum Ort muss schon da sein. Italien ist mir vertraut, ich war als Kind oft dort, ich war oft in Rom, später auch länger. Bloß „das Fremde“ zu filmen, das kann und will ich nicht.

Ähnliches gilt wahrscheinlich für die Menschen, die Sie filmen. Mir scheint, dass die Menschen in Ihren Filmen Ihnen sehr vertrauen, wie die Chinesen in Bukarest in „Oceanul Mare“ oder der Profi-Pokerspieler in Berlin. Wie machen Sie das?
Katharina Copony: Eigentlich ist es ganz einfach: Voraussetzung ist, dass ich die Leute mag. Ich könnte nicht mit jemandem arbeiten, der oder die mir unsympathisch ist. Ich muss ihnen vertrauen können, und mit der Zeit entsteht dann – hoffentlich – ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, bevor man überhaupt zu drehen beginnt. Anders geht es gar nicht. In Bukarest war es hilfreich, dass meine Produktionsleiterin Rixta Wundrak, eine Soziologin, alle drei Protagonisten – zwei Männer und eine Frau – bereits kannte. Und ich hatte eine tolle Übersetzerin, das ist in so einer Situation ausschlaggebend.

Trotzdem ist es ungewöhnlich, ausgerechnet in Bukarest mit einer chinesischen Immigrantin bzw. zwei Immigranten einen Film zu machen.
Katharina Copony: Bukarest fand ich als Kulisse spannend. Wie ich es nirgendwo anders gesehen habe, ließen sich hier die unterschiedlichen Zeitschichten und kulturellen Überschneidungen deutlich ablesen, das Stadtbild war sehr brüchig und collagenartig, zumindest damals, 2008. Dragonul Rosu, der Chinamarkt am Stadtrand, ist ein bemerkenswerter Ort. Zur Drehzeit gab es gerade den sichtbaren Übergang vom improvisierten Straßenmarkt zum riesengroßen Shopping-Center. Hier kreuzen sich die Wege der drei Figuren, die sich – mehr oder weniger improvisiert – in der Fremde eingerichtet haben. Der Film folgt den Bewegungen der drei – von der Peripherie ins Zentrum und umgekehrt, ein wiederkehrendes Thema in meinen Filmen.

Wie kamen Sie für „Spieler“ an den jungen russischen Poker-Profi in Berlin? Das war sicher auch nicht ganz einfach.
Katharina Copony: Ich habe ihn bei einem Turnier im Hyatt am Potsdamer Platz angesprochen, übrigens bei jenem, das bewaffnet überfallen wurde. Was mich interessiert hat, war die Logik des Spiels. Da geht es eben nicht um Vertrauen, sondern im Gegenteil um das Kontrollieren des Anderen. Beim Pokern kann man nur gewinnen, wenn die anderen verlieren, es ist ja kein Spiel, das man „gemeinsam“ spielt.

Auch Glücksspiel ist etwas, das man zu kennen glaubt, aus Filmen, aus der Literatur – und doch erscheint es in Ihrem Film als etwas ziemlich Fremdes.
Katharina Copony: Mich hat ein solches „Berufsbild“ fasziniert: dass Rustem eben schon längere Zeit vom Spielen lebt, einen Beruf hat, der auf dem Faktor Glück aufbaut. Ursprünglich war der Plan, mit ihm und seiner Freundin zu drehen, die selbst nicht spielte – beide sehr jung, ein wenig wie ein Paar aus einem Märchen, aber bei Drehbeginn gab es die Freundin schon nicht mehr. Letztlich ist es ein ganz anderer Film geworden, viel monotoner, weil eben diese Komponente des Paar-Seins fehlt – ein Paar, das einander vertraut, während der Mann als Spieler in seinem Beruf niemandem vertrauen kann.

Das ist aber auch interessant. Denn der vermeintliche Glamour dieses Berufs ist doch eher bescheiden, wenn man genau hinsieht.
Katharina Copony: Ja, aber das hat sich so ergeben. Üblicherweise mache ich Filme nicht, um zu zeigen, wie schrecklich etwas ist. Bemerkenswert ist, dass die meisten Spieler mit dem Online-Spielen beginnen und dann dazu übergehen, sich konkret an einen Tisch zu setzen und ihr Gesicht zu zeigen, also vom Digitalen zum Analogen wechseln, was doch ungewöhnlich ist.

Dazu gehören auch die Sonnenbrillen. Die sind wohl dazu da, damit der Gegner die Augen nicht „lesen“ kann.
Katharina Copony: Richtig. Wobei das angeblich nur Anfänger brauchen, die ihre Augen nicht unter Kontrolle haben. Ein richtig cooler Pokerspieler hat seine Mimik komplett im Griff.

War der Film für das Fernsehen geplant?
Katharina Copony: 3sat hat mitfinanziert und es war klar, dass es einen Sendetermin geben wird – in der Reihe „Ab 18“. Aber Beschränkungen oder Vorgaben in Richtung Fernsehformat gab es keine.

Kinoeinsätze Ihrer Filme waren bisher recht spärlich …
Katharina Copony:
Spieler hatte einen kleinen Kinoeinsatz, In der Kaserne wird einen haben, und Moghen paris kam zwar nicht regulär ins Kino, wurde aber im Rahmen von Festivals und Veranstaltungen wie etwa im Anthology Film Archives New York oder im Arsenal Berlin international gezeigt. Der Kinoraum ist einfach der angemessene Ort für meine Filme. Sie funktionieren dort am besten.

Die Filme sind ja auch sehr kinematografisch, ganz besonders „Moghen paris – Und sie ziehen mit“. Was war denn zuerst da, die Bilder oder der Text?
Katharina Copony: Die Bilder. Der Text entstand entlang des Materials. Die Entstehung des Films verdankt sich in erster Linie Il Palazzo. Valentina Piredda hatte ihn gesehen und verschaffte mir daraufhin eine längere Aufenthaltsmöglichkeit auf Sardinien. Gemeinsam mit Lina Launhardt arbeitete ich dort an einem Kurzfilm, der eine Karnevalsszene beinhalten sollte. Dann sagte uns jemand: „Fahrt doch nach Ovodda, dort ist der Karneval besonders anarchisch.“ Es war ein derart intensives Erlebnis, dass ich beschloss, diesem Umzug einen eigenen Film zu widmen. Im Laufe von fünf Jahren besuchte ich dreimal diesen Aschermittwochsumzug – zweimal davon war mein Kameramann Stefan Neuberger dabei, und unterschiedliches Material entstand. Da kannten wir dann schon fast alle im Dorf. Bereits vor dem letzten Dreh war mir klar, dass es einen Text geben soll – eine Art „Phantom-Logbuch“ von einem nicht festzumachenden Subjekt, einen Text, der aus dem Material heraus spricht. Ich habe dann mit dem Autor Andreas L. Hofbauer sehr viel darüber gesprochen, über die verschiedenen Bedeutungsschichten, die da drin stecken, das ist ja sehr komplex, aus verschiedenen Zeiten auch: Mal ist es revolutionäres Auflehnen gegen den Despoten, dann geht es auch um Fruchtbarkeit, um den Jahresbeginn, um ein flüchtiges Kollektiv von Menschen und Nicht-Menschen …

Es wirkt heidnisch …
Katharina Copony: Heidnisch ist es auf jeden Fall. In seiner Urform macht den Karneval aus, dass Hierarchien gekippt werden, dass alles auf den Kopf gestellt und umgedeutet wird. Was mich in Ovodda begeistert hat, war diese Lust am Improvisieren, dieses Entstehen von so assemblagehaften Kompositkörpern. Vieles hat mich an meine Kindheit erinnert, an den Krampus oder an Dinge, die man sich so zusammengebastelt hat.

Es überrascht, dass dieser Umzug offenbar noch nicht kommerzialisiert wurde.
Katharina Copony: Ja, absolut. Da gibt es keine Cola-Dose, die herumliegt, es gibt keine Marken, alles ist selbstgemacht. Touristisch ist das nicht vermarktbar, denn man kann nicht einfach hinfahren und zuschauen, sondern man muss schon mitmachen.

Und niemand fotografiert mit Smartphones?
Katharina Copony: Inzwischen gibt es das, es hat sich innerhalb der fünf Jahre schon einiges verändert. Aber touristisch ist es immer noch nicht. Das Dorf ist auch ziemlich abgelegen, man stößt da nicht automatisch darauf. Es gibt andere Orte wie Mamoiada, wo auch folkloristische Tänze aufgeführt werden. Das geht in Ovodda nicht, dazu ist es zu rauschhaft, nicht lieblich, sondern ziemlich rau. Man ist mitten drin oder man muss gehen, das wird einem auch deutlich gemacht. Wir haben uns kostümiert und uns mit Mini-DV-Kameras ins Geschehen geworfen.

Haben Sie den Film im Dorf gezeigt?
Katharina Copony: Sicher! Ich habe auch dazu gesagt, dass das meine ganz subjektive Sicht auf dieses Ereignis ist. Sehr gefreut hat mich, dass nachher eine Frau zu mir kam und meinte, das, was ich gezeigt habe, sei genau ihre Erfahrung, ihr Erleben.

Ihr erster und Ihr bislang letzter Film, „In der Kaserne“, haben mit Ihrer Familie, letztlich mit Ihnen selbst, zu tun. Hat das etwas zu bedeuten?
Katharina Copony: Es hat sicher mit meinem Bezug zu den Menschen zu tun. Und mit meinem Alter, dem Nachdenken darüber, woher man kommt, was man vielleicht verpasst hat herauszufinden. Es geht darum, was man nicht mehr erfahren kann, aber auch, was in einer Familie erzählt und was nicht erzählt wird. Das beschäftigt mich jetzt mehr als mit, sagen wir, Anfang zwanzig – weil viele, die man hätte fragen können, schon tot sind. Andererseits hat es damit zu tun, dass die beiden Mädchen – die eine ist meine Nichte, die andere die Tochter meiner besten Freundin – jetzt genau im richtigen Alter waren, das wollte ich nicht versäumen. Und für diesen Film wollte ich unbedingt mit den beiden mir sehr vertrauten Kindern arbeiten.

Die Kaserne, in der Sie ja teilweise aufgewachsen sind, gibt es noch. Wie haben Sie sich ihr „angenähert“?
Katharina Copony: Als ich das erste Mal vor einigen Jahren wieder dort war, kam mir die Idee, mit diesem Ort zu arbeiten, der im Wesentlichen unverändert ist, weil das Schloss unter Denkmalschutz steht. Da sind mir natürlich viele Dinge eingefallen, und ich beschloss, mit meiner Mutter und meinen Tanten, die ja dort gelebt haben, Gespräche zu führen, bevor das nicht mehr geht. Und leider ist meine Mutter dann tatsächlich verstorben. Zudem habe ich zu meinen Großeltern einen starken Bezug. Welche Spuren hinterließ der Zweite Weltkrieg? Wieviel gerade aus dieser Generation wirkt noch in mir? Diese Frage stellt auch der Film.

Es ist sozusagen „typisch“ für Sie, dass keine Fotos verwendet werden und auch kein Archivmaterial, sondern dass alles mit anderen Mitteln erzählt wird …
Katharina Copony: Das war eine bewusste Entscheidung, sonst wäre es ein ganz anderer Film geworden. Ich wollte zeigen, wie es dort heute aussieht, den soldatischen Alltag, die Routinen. Wie verhalten sich zehnjährige Mädchen in diesem Raum, der eigentlich einem völlig anderen Zweck dient, und den sie ganz unbedarft für sich reklamieren – so wie wir damals auch. Und im Zentrum steht das Verhältnis zwischen den Generationen und wie darüber in der Familie erzählt wird. Meine Großeltern hatten sieben Kinder, und es ist auffallend, wie völlig unterschiedlich sich deren Biografien entwickeln konnten.

Dass Ihre Mutter und die Tanten nicht im Bild sind, sondern dass die Gesprächsauszüge gelesen werden, ist angesichts dieses Konzepts nur konsequent.
Katharina Copony: Ja, erstens das, aber es ging mir vor allem um die Sprache. Ich fange immer mit Interviews an und in den Transkripten stoße ich dann meistens auf etwas – oft nur ein Satz, gerade in der Familiengeschichte … ein Satz, der sich wiederholt, und dann kommt der nächste, und dazwischen ist oft eine Leerstelle. Diese Abstraktion, dieser Strom an Erinnerungen, war zentral für mich, weshalb sie auch von einer Stimme gelesen werden, weil es unwesentlich ist, wer jetzt genau was gesagt hat. Dieser Abstand, der sich zwischen dem Text und den Bildern aufspannt und was da alles unausgesprochen und unsichtbar bleibt – darum kreist der Film. Die Mädchen werden auch nicht älter, auch da entsteht eine Lücke. Damit öffne ich auch einen Raum, in dem jeder seine eigenen Bilder entwickeln und sich selbst etwas „projizieren“ kann.

Es fällt bei allen Ihren Filmen auf, dass Ihnen der Ton sehr wichtig ist, wenn man etwa an den fast geflüsterten Text in „Moghen paris“ denkt …
Katharina Copony: Spätestens seit Il Palazzo arbeite ich sehr viel am Ton. Es ist ganz entscheidend, wie sich etwas anhört. Wie klingt eine Stimme, wie klingt ein Raum? Das Spannungsverhältnis von Bild und Ton, von Sichtbarem und Unsichtbarem, von Innen und Außen, das zieht sich durch. Bei Moghen paris, meiner ersten Zusammenarbeit mit dem Musiker Peter Kutin, war das auch ganz wichtig und sicher am stärksten ausgeprägt. Einzelne Töne und Geräusche werden hier aus der Umgebung herausgelöst und verfremdet, treten in ein surreales Verhältnis zum Bild. Das ist etwas, was mich fasziniert, auch für die Zukunft: Das Bild ist klar umrahmt, aber der Ton strömt, hat diese Begrenzung nicht, er gibt die Möglichkeit, auch etwas dahinter zu erzählen, zu irritieren, nicht nur das Bild zu „begleiten“. Das gilt auch für die Stimme.

Könnte man den Film auch so sehen, dass Sie möglicherweise in Richtung Spielfilm tendieren?
Katharina Copony: Es gibt jetzt inszenierte Elemente und das ist etwas Neues für mich. Grundsätzlich interessiert mich der Spielfilm natürlich, aber mehr noch die Grenze zwischen Fiktionalem und Dokumentarischem. Ich versuche das auch meinen Studierenden zu vermitteln, dass es nicht so sehr darum geht, diese Kategorien so klar voneinander zu unterscheiden, sondern sich zu überlegen: Was ist überhaupt dokumentarisch? Ich glaube sowieso nicht, dass es ein realistisches Abbilden gibt. Spannend ist doch: Wie kann sich etwas wechselseitig affizieren – etwas Künstliches und etwas Vorgefundenes? Welche Zufälle lasse ich zu, wie offen gehe ich an etwas heran? Wie viel Improvisation darf sein? Das immer wieder auszuloten, ist die Herausforderung. Man kann mit einer festen Vorstellung an etwas herangehen oder sehr prozesshaft arbeiten. Natürlich ist es wesentlich, ein Konzept zu haben, aber ich will auch offen bleiben für etwas, das ich vorher nicht geplant habe. Finden, was man nicht gesucht hat. Mich interessieren Filme, die der Malerei oder einem Gedicht ähneln und nicht einem Roman.

Können Sie nochmals zusammenfassen, was – aus Ihrer Sicht – Ihre Filme ausmacht?
Katharina Copony: Sie spielen an gesellschaftlichen, aber auch architektonischen und geografischen Randzonen. Die Protagonistinnen und Protagonisten meiner Filme sind widerständig, sie beugen sich nicht. Sie durchkreuzen Räume, die plastisch und beweglich sind: Räume der Erinnerung, der Sprache, Landschaften. Was mich interessiert: Wo gibt es Kippmomente, Dissonanzen, Bruchlinien? Welche neuen Schnittmengen und Strömungen entstehen? Was liegt zwischen oder hinter Bildern und Tönen?