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Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh

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Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh

| Alexandra Seitz |
Stadtbesichtigung einmal anders

Chandigarh liegt am Fuß der Vorberge des Himalaya im Nordwesten Indiens und an der Grenze der beiden Bundesstaaten Punjab und Haryana, deren beider Hauptstadt sie ist. Zudem besitzt Chandigarh den Status eines eigenen Unionsterritoriums sowie jenen des Weltkulturerbes, weil sie nämlich nach Plänen des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier (1887–1965) errichtet worden ist. Das war kurz nach der Teilung des ehemaligen britischen Kolonialreichs in Indien und Pakistan 1947 und geschah auf Betreiben des ersten Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru. Die Grundsteinlegung erfolgte 1952, es entstand eine schicke, großzügig angelegte Stadt, der zunächst mit Zurückhaltung begegnet wurde.

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Das hat sich inzwischen geändert. Mittlerweile zählt der Ballungsraum „Chandigarh Tricity“, den die ursprünglich für 500.000 Menschen vorgesehene Planstadt zusammen mit den beiden Satelliten Panchkula und Mohali bildet, über 1,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Trotzdem ist der Ort – jedenfalls den Aufnahmen nach zu urteilen, die Karin Bucher und Thomas Karrer in ihrem Dokumentarfilm Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh zusammentragen – im Vergleich zu Gedränge, Stau und Luftverschmutzung zahlreicher anderer indischer Städte nach wie vor das reinste Paradies. Das hat sich nunmehr herumgesprochen. Und spätestens seit die UNESCO-Auszeichnung für das Wahrzeichen der Stadt, den Kapitol-Komplex, mehr Touristinnen und Touristen anzieht, sieht sich die ursprüngliche Beamtenstadt mit ihren großen Plätzen, zahlreichen Parks und breiten Avenuen, die sich über die Jahrzehnte zu einer Oase für Kunst- und Kulturschaffende aller Art entwickelt hatte, mit dem globalen Höllentrip von Gentrifizierung, Kostenexplosion und Vertreibung konfrontiert.

Die Frage nach der Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen – die sich einer Kastengesellschaft freilich mit noch ganz anderen und weiter reichenden Implikationen stellt – interessiert Bucher und Karrer allerdings weniger als die Probleme, die vom Leben in und mit einem Museum aufgeworfen werden. Wie viel darf verändert werden? Was muss unbedingt erhalten bleiben? Und wie verfahren, wenn die seinerzeit verwendeten Werkstoffe nicht (mehr) zum herrschenden Klima passen? Fragen, die letztlich nicht nur die sogenannte „Stadt im Wandel“ betreffen. Also lässt sich im Flanieren durch die ferne, fremde Siedlung einiges lernen – und nicht zuletzt, dass die Architektur Le Corbusiers an Faszination rein gar nichts eingebüßt hat.