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La vérité

Filmkritik

La vérité – Leben und lügen lassen

| Alexandra Seitz |
Autofiktion statt Autobiografie

Die alternde, französische Filmdiva Fabienne (Catherine Deneuve) hat ihre Memoiren geschrieben. Und wie es sich für eine Schauspielikone ihres Kalibers gehört, hat sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau genommen und rückblickend beschönigend in ihrem Leben herumretuschiert. Dies nimmt ihr nun nicht nur ihr langjähriger Assistent und Vertrauter Luc übel, der sich mit keinem einzigen Wort in dem Werk erwähnt findet. Auch Tochter Lumir (Juliette Binoche), Drehbuch-
autorin in den USA und eben mitsamt Familie auf Besuch im Pariser Palais, ist wenig begeistert von den fantasiereichen Uminterpretationen der Mutter. Immerhin handelt es sich bei dem, was da so großzügig verlogen ausgeplaudert wird, doch auch um Teile ihres eigenen Lebens. Fabienne hingegen versteht die ganze Aufregung nicht, und Schwiegersohn Hank (Ethan Hawke) wundert sich allmählich über so manches, aber der ist schließlich Amerikaner.

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Und der Regisseur der Turbulenzen, die sich in dem treffend unzutreffend benannten La vérité mit französischer Lebhaftigkeit entfalten, ist Japaner: Kore-eda Hirokazu – 2018 in Cannes für Manbiki kazoku (Shoplifters) mit der Goldenen Palme ausgezeichnet – hat erstmals im Ausland und in einer ihm fremden Sprache gedreht. Gleichfalls zum ersten Mal stehen die beiden großen französischen Schauspielerinnen Catherine Deneuve und Juliette Binoche gemeinsam vor der Kamera. Letzteres allein gäbe Anlass genug zur Freude, begegnen die beiden Diven einander doch mit Respekt und entwerfen eine Mutter-Tochter-Beziehung, die reich ist an emotionalen Schattierungen und in der die Machtverhältnisse beständig changieren.

Nicht minder anregend ist es zu sehen, wie sich Kore-edas spezifische Sensibilität für den Nuancenreichtum familiärer Bindungen nunmehr in einem europäischen Kontext entfaltet. Reflektiert und gebrochen nämlich wird der zentrale Konflikt zwischen Mutter und Tochter in einer Film-im-Film-Handlung: Fabienne hat eine Rolle in einem Science-Fiction übernommen, der von einer Mutter erzählt, die im Weltraum nicht altert, während ihr Mann und ihre Tochter, die sie alle paar Jahre auf der Erde besucht, den Weg alles Irdischen nehmen. In dieser Geschichte wiederum spiegelt sich eine weitere, die in Lumirs Kindheit wurzelt, und in der sich möglicherweise tatsächlich die Wahrheit verbirgt. So konstruiert dies alles auch immer wirken mag, Kore-edas zugewandte Inszenierung und das aufrichtige Spiel der beiden Diven verleihen La vérité am Ende doch ein warmes Herz.