Ein Film so zweigeteilt wie der Held darin
Saroo Brierley wurde mit fünf Jahren durch einen unglücklichen Zufall von seiner Familie in Indien getrennt und von einem australischen Ehepaar adoptiert. Jahrzehnte später fand er zurück zu seinem Dorf, aber bei dem Versuch, diese wahre Geschichte zu erzählen, kann sich Lion nicht entscheiden, ob er mehr Zeit dem jungen oder dem erwachsenen Saroo widmen will.
Die erste Hälfte des Films legen der australische Regisseur Garth Davis (Top of the Lake) und sein Drehbuchautor Luke Davies in die Hände eines wunderbaren Kindes, den achtjährigen Sunny Pawar. Er spielt Saroo, einen Jungen, der gemeinsam mit seinem älteren Bruder und seiner Mutter unter der Armutsgrenze lebt. Saroo ist so jung, er kennt seinen Nachnamen nicht und kann das Dorf aus dem er kommt, ein Slum, nicht richtig aussprechen. Wenn er also eines Nachts in einem Zug einschläft und in Kalkutta, fast dreitausend Kilometer von zu Hause, wieder aufwacht, ist er verloren – und obdachlos. Nach monatelangen Strapazen auf der Straße endet er schließlich im Waisenhaus und wird infolgedessen adoptiert.
Als wir Saroo, jetzt von Dev Patel (Slumdog Millionaire) gespielt, mehr als zwei Jahrzehnte später treffen, wird Lion, ein herzzermürbender, lebendiger, eindringlicher Film, anstrengend und seltsam melodramatisch. Saroo ist in Australien zu einem selbstbewussten Mann herangewachsen im Gegensatz zu seinem Bruder Mantosh (Divian Ladwa), der ebenfalls adoptiert wurde und Indien hinter sich lassen musste, aber sein Trauma nie überwunden hat. Saroo hat sich assimiliert, doch er fühlt sich immer noch verloren, da bekommt er Wind von einer neuen Technologie, Google Earth, und wird besessen davon, seine biologische Familie zu finden, bis zu einem Grad, der droht sein Leben zu zerstören und nicht völlig glaubwürdig ist. Nichts von alldem ist sehr dynamisch zu beobachten und auf Patel beschränkt, der wie ein Wahnsinniger auf einen Computerbildschirm starrt. Das eigentliche Problem ist, dass die Narration so viel Zeit mit seinem jüngeren Ich verbracht haben, dass man nichts über diesen Mann weiß und sein innerer Konflikt sich darin äußert, dass er wiederholt schmollt. Seine Adoptiveltern werden von Nicole Kidman und David Denham in Rollen gespielt, die sich klischeehaft anfühlen und Rooney Mara spielt eine zutiefst undankbare, langweilige Rolle als seine Freundin.
Lion ist ein bewegender Film über die Sehnsucht nach einem Gefühl von kohärenter Identität in dem kulturellen Konglomerat, das wir Welt nennen, aber wäre er doch lieber in Indien geblieben.