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Was bleibt – Journalistinnen in Krisenregionen

Crossing Europe

Lokal international

| Oliver Stangl |
Das Linzer Filmfestival Crossing Europe findet heuer vom 30. April bis 5. Mai statt. Ein Überblick zur 21. Ausgabe.

 

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2023 konnte das Crossing Europe Filmfestival sein 20. Jubiläum feiern und somit seinen Status als etabliertes Highlight im heimischen Filmfestival-Kalender eindrucksvoll bestätigen. Auch die COVID-Zeit – ein Härtetest für viele Kulturinstitutionen und Veranstaltungen – konnte man im Vorjahr abhaken: Das erste Festival ohne Einschränkungen seit Pandemiebeginn zog wieder verstärkt Filmfans an, mit 16.000 Filmbesuchen bei 153 Filmvorstellungen konnte man immerhin ein Plus von 1000 Besuchern gegenüber 2022 verbuchen. Dazu kamen 600 akkreditierte Fachgäste in die oberösterreichische Landeshauptstadt. Die Festivaldirektorinnen Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler waren hoch zufrieden, wenngleich sie den Erfolg nicht bloß an den nackten Zahlen festmachen wollen: „Auch wenn die Pandemie vorbei ist, gibt es Dinge, die sich seit 2020 verändert haben. Ein Festival soll sich unserer Meinung nach stetig weiterentwickeln, doch der reine Blick auf die Größe des Publikums und Streben nach ständigem Wachsen auf dieser Ebene ist nicht unser Ziel. Aber wenn wir die Auslastung der Kinosäle betrachten, dann bewegen wir uns definitiv in Richtung des Levels vor der Pandemie – und das bestärkt uns sehr.“

So etabliert das Festival schon seit langem ist: Finanzierungstechnisch sind die Rahmenbedingungen nie eine „gmahde Wiesn“, auch wenn es mit Stadt, Land und Bund prinzipiell ein gutes Einvernehmen gibt. Trotz leichter Anpassungen seitens der Fördergeber konnten die Teuerungen nicht gänzlich abgefangen werden, und auch beim Thema Fair Pay wäre man gerne schon deutlich weiter. Generell habe das Kultursponsoring in Österreich schon bessere Zeiten gesehen, so die Direktorinnen.

International kann das Festival nach zwei Jahrzehnten durchaus auf eine gewisse Bekanntheit verweisen. Gebetsroither und Riedler: „Was uns sehr freut, ist, dass beispielsweise die internationalen World Sales – zum Großteil – wissen, was Crossing Europe ist, und wofür das Festival inhaltlich steht. So wie auch unsere Vorgängerin Christine Dollhofer begleiten wir – wo es möglich ist – Karrieren, sprich, man verfolgt das Schaffen der Gäste über Jahre, und das macht sich bezahlt. Dieses Jahr bekamen wir zum Beispiel unmittelbar nach der Einladung eines Films, der bei der Berlinale gelaufen ist, das Feedback, dass sich die Regisseurin des Films gewünscht hat, dass der Film bei uns laufen wird – und jetzt dementsprechend happy ist.“

REALITÄTEN UND UTOPIEN

Was das Programm selbst betrifft, setzt man auf Kontinuität – in den Spielstätten Moviemento, City-Kino und Central werden in Schienen wie Competition Fiction & Competition Documentary (für Österreich-Premieren) oder European Panorama Fiction & European Panorama Documentary (für aktuelle Festivalhighlights) europäische Filme gezeigt, die sich relevanten gesellschaftspolitischen Themen widmen. Crossing Europe drückte dabei mit der Programmschiene „Local Artists“ immer schon eine ganz besondere Wertschätzung für das lokale oberösterreichische Filmschaffen aus. Dies zeigt sich bereits am Festivaltrailer, den der gebürtige Linzer Lorenz Tröbinger (der aktuell an seinem ersten Langfilm arbeitet) gestaltet hat: Rauschfarben ist ein assoziatives Wechselspiel von Klängen und visuellen Eindrücken, das sich der Beschaffenheit von Rauschen und Frequenzen widmet – Wind-, Wasser- und Autobahngeräusche werden zur Gesamtkomposition. Der akustische Raum gibt dabei seine Geheimnisse preis, „ohne je alle Rätsel aufzulösen“, wie es in der offiziellen Beschreibung des künstlerischen Konzepts heißt.

Ein „Local Artists Special“ ist der gebürtigen Oberösterreicherin Dagmar Schürrer gewidmet, deren Feld die Digitalkunst ist. Die in Berlin lebende, auch im universitären Bereich tätige Künstlerin beschäftigt sich mit Animation und Extended Reality (XR)-Technologien – und kann dabei schon auf einige Erfolge verweisen: Ihre Werke wurden unter anderem in der Tate Modern in London und im Centre Pompidou präsentiert. In ihren Animationsarbeiten thematisiert Schürrer Themenfelder wie Neurowissenschaften oder künstliche Intelligenz, die sie mit 3D-Objekten, Found Footage, Text, Zeichnungen oder Sound kombiniert; so entstehen Werke zwischen dem Figurativen und der Abstraktion. Ein Programm, das also bestens zur Heimatstadt des Computerkunst-Festivals Ars Electronica passt. Rund um das Kurzfilmprogramm hat das Publikum die Möglichkeit, mit Schürrer ins Gespräch zu kommen. Und natürlich hat auch die reguläre „Local Artists“-Schiene wieder einen spannenden Mix aus Fiktion, Dokumentarischem und kurzen Formaten zu bieten.

Der diesjährige internationale Tribute-Gast ist die niederländische Dokumentarfilmregisseurin Aliona van der Horst, die mit ihren Arbeiten bereits in Linz vertreten war; 2024 zeigt man sechs ihrer Filme. Van der Horsts aktuelle Arbeit Gerlach – beim International Documentary Film Festival Amsterdam mit dem Preis für den Besten niederländischen Dokumentarfilm ausgezeichnet – schildert den Alltag eines der letzten klassischen Bauern in Amsterdam. Trotz hohen Alters und Rheuma will dieser nicht mit dem Beruf, den er liebt, aufhören und sich auch nicht an die schnelllebige kapitalistische Welt verkaufen. Die Liebeserklärung an die eigenwillige Hauptfigur sowie an den klassischen Ackerbau wurde von der Kritik nicht zuletzt wegen der Bildkompositionen, die das Vergehen der Jahreszeiten und die poetische Schlichtheit des Bauernlebens einfangen, gelobt. In den anderen Tribute-Filmen der Regisseurin, die für Publikumsgespräche zur Verfügung stehen wird, kommen Themen wie Krieg, Stalinismus oder Naturkatastrophen vor.

Weiters gibt es unter dem Titel „Tour d’Europe“ ein kleines Schweiz-Special: Gezeigt werden drei Schweizer (Ko)-Produktionen, die für den Europäischen Filmpreis nominiert waren bzw. dort ausgezeichnet wurden; die jeweiligen Filmschaffenden waren dabei bereits mit anderen Arbeiten bei Crossing Europe vertreten: Blackbird Blackbird Blackberry (R: Elene Naveriani, 2023), Lazzaro Felice (R: Alice Rohrwacher, 2018) und The Sound of Insects: Record of a Mummy (R: Peter Liechti, 2009) sind Arthouse-Filme mit prägnanter künstlerischer Handschrift.

Beim Zusammenstellen des Programms sind die Festivalleiterinnen auf bestimmte Themenkomplexe gestoßen, die hervorstechen: So finden sich filmische Auseinandersetzungen mit dem Thema Familie – von dysfunktional bis zu Fragen der Elternschaft – in Filmen wie Arthur & Diana (R: Sara Summa) oder Housekeeping for Beginners (R: Goran Stolevski), während sich Werke wie die dänische Doku Echo of You (R: Zara Zerny) mit Fragen des Alterns auseinandersetzen. In letzterem Film sprechen neun Menschen über achtzig über die geliebten Menschen, die sie verloren haben. In sorgfältig komponierten Tableaus erzählen sie von Liebe und Trauer, Geborgenheit und Schmerz, von schönen Zeiten und Krisen (darunter außereheliche Affären). Diese Reminiszenzen berühren aufgrund ihrer radikalen Offenheit und Ehrlichkeit, künden von der großen Liebe ebenso wie von der Einsamkeit im Alter – und vom Willen, weiterzuleben. Für prägnante Akzente sorgen Soundscapes und die Visualisierung von Erinnerungen.

Ein Fixpunkt im Programm ist wie stets die Programmschiene „Arbeitswelten“, in der die moderne Berufswelt auf ihre politischen, sozialen und prekären Aspekte abgeklopft wird. Diesmal lautet das Motto der Reihe „Berufung: Veränderung!“ und widmet sich Berufen mit aktivistischen Seiten. So begleitet etwa der Film Was bleibt – Journalistinnen in Krisenregionen (R: Lotta Pommerien) drei Frauen, die mit investigativen Mitteln Terrororganisationen oder Diktaturen in den Blick fassen. Aktivismus, wie er beispielsweise in dieser Doku verhandelt wird, ist übrigens ein weiterer roter Festival-Faden, den die Direktorinnen entdeckt haben. Dazu gehört ebenfalls der deutsche Spielfilm Abendland von Omer Fast, der sich anhand einer in deutschen Wäldern lebenden Kommune allegorisch (Merkel-Maske!) mit gesellschaftlichen Utopien befasst.

Auch der europäische Filmnachwuchs kommt 2024 nicht zu kurz: In der gemeinsam mit Cinema Next gestalteten Reihe „Cinema Next Europe Club“, die heuer zum fünften Mal stattfindet, treffen zehn junge Filmschaffende aus Europa (sieben aus Österreich, drei aus dem Ausland), die gerade an einem Langfilmprojekt arbeiten, aufeinander, tauschen sich aus, präsentieren ältere Arbeiten und bekommen Input von Festivalgästen.

Und auch auf die noch Jüngeren vergisst man bei Crossing Europe nicht: Die YAAAS!-Jugendschiene geht 2024 in die 5. Runde, um Jugendliche für das Medium Film zu begeistern und Medienkompetenz niederschwellig zu vermitteln – ein schönes kleines Jubiläum. Ein zentraler Bestandteil ist die YAAAS! Competition, für die sechs aktuelle europäische Spielfilme von den YAAAS! Young Programmers 2024 ausgewählt werden. Die sechs Schülerinnen und Schüler der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz erhalten unter anderem eine Einführung in die Filmkuratierung, verfassen Synopsen zu den von ihnen gewählten Arbeiten und moderieren Filmgespräche.

Für Gebetsroither und Riedler ist diese Schiene eine Herzensangelegenheit: „YAAAS! ist für uns nicht mehr wegzudenken. Wir lernen jedes Jahr dazu, und versuchen auch auf das Feedback der Jugendlichen einzugehen. Und wie so oft ist es ein Prozess. Man muss Vertrauen aufbauen zu Schulen und Lehrkräften. Dann muss das Angebot stimmen – sprich, es muss sich was ,rühren‘. Schulvorstellungen alleine haben wenig Anziehungskraft für Teenager, wir versuchen daher, Jugendliche aktiv ins Festival einzubinden. Stichwort ,Videoprojekt‘: 30 Jugendliche produzieren in sechs Tagen autonom Kurzvideos/-filme. Sobald junge Leute einmal beim Festival eine gute Zeit hatten, kommen sie unserer Erfahrung nach auch wieder.“ Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind mittlerweile professionell in die Filmbranche eingestiegen oder studieren Film. Woran die Direktorinnen in Zukunft verstärkt arbeiten möchten, ist es, Lehrlinge oder junge Menschen ohne direkte Schulanbindung für das Festival zu begeistern.

Abgerundet wird das Programm mit Genrekino, sprich, mit Werken aus dem Bereich des „Fantastischen Films“ – zu sehen in der bewährten Reihe „Nachtsicht“. Ansonsten dürfen sich die Gäste wieder auf das Rahmenprogramm am Partydeck des Festivalzentrums OK freuen: jede Menge Gelegenheit, um Live-Musik zu lauschen, zu DJ-Klängen zu tanzen oder einfach mit Gleichgesinnten über die gesehenen Filme zu plaudern. Einer weiteren Steigerung der Besucherzahlen sollte also nichts im Wege stehen.