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Meryl Streep – The many Meryls

The many Meryls

| Barbara Reumüller |

Wie auf den Leib geschneidert scheint Meryl Streep ihr jüngster Ausflug ins bitterböse Comedy-Fach in „The Devil Wears Prada“. Damit fügt sie ihrer eindrucksvollen Karriere ein weiteres Glanzstück und wieder einmal eine neue Facette hinzu…

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Seit jeher gibt es in Hollywood – wenngleich nie offiziell – eine Angst einflößende Zahl im Leben einer Schauspielerin: 40. Wer bis dahin nicht die großen Millionendeals und einen Stern am Hollywood Boulevard eingefahren hat, wird sich ab nun – wenn überhaupt – mit handlungsbefördernden Nebenrollen, Kurzauftritten und gutmütigen Großmutterrollen begnügen müssen. Frauen im besten (Darstellerinnen-)Alter haben angeblich keinen Box-Office-Appeal mehr, während männliche Kollegen wesentlich fortgeschritteneren Alters noch die toughen Helden mimen und so manchen Flop locker überleben. Pretty Girls, romantische Singles auf der Suche nach dem Traummann und Fleisch gewordene Videospiel-Heldinnen haben im vom Oberflächenreiz geprägten Blockbuster-Geschäft die Nase vorn. Nun ja, nicht ganz. Eine, die sich eigentlich längst im wohlverdienten Ruhestand befinden sollte, beweist mit ihren neuen Filmen geradezu lustvoll das Gegenteil: Meryl Streep.

Als Fashion-Tyrannin Miranda Priestly ist sie eine Karrierefrau fortgeschrittenen Alters, stilvoll, gebildet, weltgewandt, egomanisch und machtbewusst, aber trotzdem irgendwie menschlich. Es heißt, für die Filmfigur habe weniger die Vogue-Chefin Anna Wintour Patin gestanden als vielmehr Amerikas Paradepolitikerin Hillary Clinton. Dass Meryl Streep diese Rolle und den Typ „Karrierefrau“ – mit allem, was dazu gehört – intus hat, von der Körperhaltung und den Blicken bis zu den unendlichen Möglichkeiten nonverbaler Machtausübung (ein gekräuselter Mund bringt gleich eine ganze Kollektion zu Fall), davon lebt der ganze Film. Wie man hört, zog sich Streep, während man es am Set während der Drehpausen recht lustig hatte, meist in den Wohnwagen zurück, um „in der Rolle“ zu bleiben. So fies zu sein, verlangt selbst einem Leinwandprofi außergewöhnliche Konzentration ab. Eine gute Gelegenheit, einen Blick auf die gut dreißig Jahre Filmerfahrung einer Ausnahmekönnerin zu werfen.

Right in the Eye

Meryl – eigentlich Mary Louise – Streep wurde am 22. Juni 1949 in Summit, New Jersey, einem Mittelklassevorort, geboren und wuchs in Bernardsville, NJ, auf. Vater Harry war leitender Angestellter einer Pharmafirma, Mutter Mary Werbegrafikerin. Die Familienwurzeln väterlicherseits sind holländisch und reichen ins 15. Jahrhundert zurück. Meryl war ein neugieriges Kind und wollte, wie sie sagt, immer älter sein, als sie war. In der Schule kandidierte sie für so ziemlich jedes Amt, ohne je Erfolg zu haben. Bis sie eine Flasche Peroxid entdeckte. Prompt wurde sie „Homecoming Queen“. Mehr Aufmerksamkeit und unmittelbaren Erfolg ohne chemische Hilfe hatte sie bei ihren folgenden Ausbildungsschritten.

Im Herbst 1967 belegte sie Schauspiel als Hauptfach am renommierten Vassar College. Laut Clinton Aktinkson, ihrem damaligen Schauspiellehrer, war ihre außergewöhnliche Begabung schon beim ersten Vorsprechen zu erkennen. „After about ten minutes, I saw that Meryl was just outstanding. It hit you right in the eye.“ Neben der Interpretation zahlreicher Rollen arbeitete sie auch im Beleuchtungsteam und als Kostümbildnerin, und – nicht zu vergessen – sang bis zum Collegeabschluss 1971 bei der Band Night Owls. Nach einem Sommer mit vielen Erfahrungen beim Summer Repertoire Theater bewarb sie sich an der Yale School of Drama, wurde aufgenommen und erhielt ein Stipendium. Die Ausbildung war intensiv und eine ganzheitliche Herausforderung. Am schuleigenen Theater wurden die schauspielerischen „Instrumente“ – Körper, Sprache, Stimme – geschult, geformt und gefordert. In Stücken von Strindberg, Tschechow und Brecht zeigten sich Streeps Vielseitigkeit und die Bandbreite ihrer darstellerischen Fähigkeiten in ganz unterschiedlichen Rollenfächern jeden Alters – von der unschuldigen Naiven, über die laszive Verführerin bis zur Mutter Courage. Letztere spielte sie kürzlich wieder im Central Park im Rahmen der öffentlichen Sommertheateraufführungen. Nicht unwichtig: Auch ihr komisches Talent war damals bereits deutlich zu erkennen. Sie schloss Yale 1975 als Master of Fine Arts ab und übersiedelte nach New York.

Von der Bühne auf die Leinwand

Nach zahlreichen von Publikum und Kritik gefeierten Erfolgen on und Off-Broadway und einer Tony-Award-Nominierung für Tennessee Williams’ 27 Wagons Full of Cotton suchte Meryl Streep die Herausforderung in einem neuen Medium. Während ihrer Theaterausbildung waren die Charaktere expressionistisch überzeichnet und exemplarisch statt realistisch. Die Echtheit dargestellten Verhaltens, Realitätsbezug oder Lebensnähe waren von geringer Bedeutung. Dieser Hintergrund war ein nicht zu unterschätzender Vorteil, als sie in Hollywood eintraf.

In Fred Zinnemanns Lilian-Hellman-Verfilmung Julia (1977) hatte sie nur ein signifikantes Aufeinandertreffen mit der damaligen Leinwandgröße Jane Fonda. Die Szene ist kurz, für die Handlung wenig relevant, eher ein atmosphärisches Intermezzo, aber die Quintessenz von Meryl Streeps Leinwandarbeit wurde erstmals deutlich. Als wohlhabende (Literatur-)Schickeriafreundin Anne-Marie lässt sie ihr wesentlich berühmteres Gegenüber mit ihren pikiert-pointierten Bemerkungen über die antifaschistischen Bemühungen der Titelheldin genüsslich farblos und alt aussehen. Auf Englisch lässt sich das sehr plastisch formulieren: she made her presence felt – eine Qualität, die auch in Michael Ciminos Vietnam-Klassiker The Deer Hunter (1978) fasziniert. Hier hatte sie ihre erste größere
Filmrolle. Bezeichnend für den Film und in Folge ihre Karriere ist die subtile Intensität ihrer Rolleninterpretation. Wir befinden uns mitten in einer bunten, belebten Massenszene, einer Hochzeitsfeier in der russisch-orthodoxen Gemeinde einer Industriekleinstadt in Pennsylvania. Es ist laut, es wird gefeiert, getanzt, getrunken. Linda (Streep) ist eine von vielen. Die Kamera bleibt meist auf Distanz. Sie gehört als Trauzeugin zwar zum Brautpaar und ist damit im Handlungszentrum, steht aber nicht explizit im Mittelpunkt. In den kurzen Momenten und Ausschnitten, die sie mit Robert De Niro über Augenkontakt verbinden, in denen sie mit der Braut tanzend oder beim überraschenden Heiratsantrag zu sehen ist, hat die Figur durch ihre Darstellerin – praktisch wortlos – diese eigentümliche Präsenz, durch die ganze Lebensdramen im Kino fühlbar werden, unaufdringlich, fast beiläufig und gerade deshalb so speziell.

Ähnlich verhält es sich in Woody Allens Manhattan (1979), in dem sie als lesbische Ex nur kurze Szenen hat, ihren Ex-Ehemann aber mit ihrer „Wahl“ tief in Allensche Sinn- und Sexkrisen stürzt. Auch in Robert Bentons Kramer vs. Kramer aus demselben Jahr hat sie als Joanna Kramer wenige, aber entscheidende und nachhaltige Szenen. Der Film bringt Meryl Streep ihren ersten Oscar als beste Nebendarstellerin ein. Selbstsuche, Selbstzweifel, Überforderung, das mühsam abgerungene Aufgeben des Kindes zum Wohle ebendessen, das Gefühl, als Mutter und Ehefrau unfähig zu sein, der Schritt in die Therapie, der wiedergewonnene Mut, mehr vom Leben zu wollen – auch eine Rolle im Leben ihres Kindes – all das lässt Streep fühlbar werden: in Sprachlosigkeit oder in zögerlichen Halbsätzen, in der Nervosität und Angespanntheit ihres Körpers, der das Hadern deutlich macht, als sie Dustin Hoffman endlich verlässt; in der erzwungenen Gelassenheit bei der ersten Wiederbegegnung mit dem Ex-Ehemann. Nach dessen Wutausbruch bricht das alles plötzlich zusammen. Und natürlich die eindringliche, legendäre Gerichtssaalszene, die Streep auf Bitte von Regisseur Benton umschrieb und sie für viele Frauen in einer ähnlichen Situation exemplarisch nachvollziehbar machte.

Rising Star

Nur zwei Jahre nach ihrem Debüt war Streep sowohl bei Publikum als auch Kritik die am meisten gefeierte Filmschauspielerin und strebte nach neuen Erfahrungen und Herausforderungen: „I said to my agent, I’ve got to do something outside of Manhattan, outside of 1981, outside of my experience.” Das Resultat war ihre Bravourleistung in der Doppelrolle als Sarah Woodruff/Anna in Karel Reisz’ Verfilmung des viktorianischen Erfolgsromans The French Lieutenant’s Woman (1981). Filmpartner Jeremy Irons sagte über Meryl Streep: „I suppose it’s what puzzles everyone about acting who don’t act themselves – that ability she has to get inside the role, and make it completely real, and it’s completely not her. She locks into this other reality, without apparent pain but with complete concentration, a febrile imagination, and a joy in playing”. Im Film sagt er als Mr. Smithson in viktorianischer Zürückhaltung. „You are an outstanding woman, Mrs. Woodruff”.

Meryl Streeps wohl prägendste Filmrolle der 80er Jahre ist die in Alan J. Pakulas Sophie’s Choice (1982). Als polnische KZ-Überlebende Sophie Zawistowski lässt sie die Agonie des schmerzvollen Aussprechens des Unsagbaren, des emotionalen Erinnerns und damit des Wiedererlebens des Horrors plastisch werden, die unendliche Trauer und den nie wieder heilenden Schmerz. Immer schrecklicher werden die Einzelheiten, die nach und nach zutage kommen, aber Streeps Performance ist in keiner Sekunde übertrieben, sondern bestürzend echt und nachfühlbar. Streep erreichte mit ihrer Interpretation von Sophie eine Tiefe und Transparenz, die auch nach mittlerweile 25 Jahren Respekt einflößt. Für diese herausragende Leistung erhielt sie den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle. Nahtlos folgte der nächste Meilenstein: Streeps Darstellung von Karen Silkwood, die nach einer Verseuchung in einer Plutoniumverarbeitungsanlage an Krebs erkrankt und nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Silkwood (1983), entstand nach dem Buch von Nora Ephron unter der Regie von Mike Nichols. Mit beiden arbeitete sie in der Folge noch öfter zusammen.

Komisches Talent

Nach knapp sechs Jahren im Filmgeschäft hatte Meryl Streep mit zahlreichen Könnern des Regiefachs (Woody Allen, Michael
Cimino, Sydney Pollack) und der männlichen Darstellerelite (De Niro, Hoffman, Redford) gearbeitet, war zweifache Oscar-Preisträgerin und Kassenerfolgsgarantin. Dem entsprechend stiegen der Erwartungsdruck und die Gefahr der Schubladisierung: „I was going to be this sort of mournful, long-blond-hair woman, and it’s reductive. It’s reductive of my humanity and my engine. I have much more to give than that.” Im Bemühen, ihr Repertoire zu erweiteren, gab es große Erfolge, aber auch erste Flops. Mit Robert Redford verlieh sie Sydney Pollacks Schmachtfetzen Out of Africa (1985) Klasse, Haltung, Leidenschaft und gleichzeitig entwaffnende Offenheit – als vom Nichtsnutz-Ehemann mit Syphilis fast um Leben und Besitz gebrachte dänische Baroness mit ausgeprägten Realitätssinn und sozialem Engagement, die letztlich ihren Weg zu sich und zum Glück findet. Für Heartburn (1986) mit Jack Nickolson und Susan Seidelmans unsägliches Komödiendesaster She-Devil (1989) setzt es erstmals drastische und gehässige Kritik. So wenig gelungen diese Filme insgesamt waren, so gut nutzte Streep sie, um ihr komisches Talent wiederzuentdecken, das sie in Mike Nichols’ Postcards from the Edge (1990) höchst überzeugend einsetzte. In dem auf Carrie Fishers autobiografischer Vorlage basierenden Film zeigt Streep die Schattenseiten der Traumfabrik als schauspielende Tochter mit einem kleinen Drogenproblem im Schatten einer Hollywoodlegende, die ein Alters- und nicht eingestandenes Alkoholproblem hat, und liefert sich mit Shirley MacLaine als Übermama einen lustvollen wie legendären Schlagabtausch, der mit der eindrucksvollen Gesangseinlage in der Schlussszene endet.

In den 90er Jahren war Meryl Streep die gefragteste Darstellerin Hollywoods. Sie erhielt, so hieß es, jedes Drehbuch zuerst. Da die guten Rollen allerdings spärlich waren (das galt auch für andere Heroinnen der 80er wie Jessica Lange, Susan Sarandon, Sissy Spacek, Diane Keaton oder Goldie Hawn) und sie versuchte, die mittlerweile vier Kinder, das Familienleben und den Beruf unter einen Hut zu bringen, nahm Streep deutlich weniger Projekte an, darunter aber ganz außergewöhnliche: 1994 absolvierte sie mit The River Wild ihren bis dato einzigen Ausflug ins Action-Genre, und 1995 bot sie in The Bridges of Madison County an der Seite von Clint Eastwood wohl einen ihrer besten Performances.

Meryl Streeps Leinwandfiguren sind – mit der Ausnahme von Madeline Ashton in Robert Zemeckis’ Death Becomes Her (1992) – realistische, lebensnahe Charaktere, teils real existierende wie Karen Silkwood, Tanja Blixen oder eben Roberta Guasperi in Music of the Heart. Sie entwirft eine vielfältige Palette an Frauenschicksalen und Charakteren – von den frühen rebellischen Ausbrecherinnen über die Einzelkämpferinnen bis zu den überzeugenden und gleichberechtigten Ehefrauen. Allen gemein ist, dass sie sich auch in Partnerschaften nicht aufgeben, dass sie eine eigene Sicht auf die Welt haben und diese auch äußern, dass sie eigene Geschichten und eigene Bedürfnisse haben und stets Individuen bleiben. Und wenn es die Umstände erfordern, übernehmen sie ohne viel Diskussion die Initiative, um die jeweils notwendige Entscheidung für sich und die Familie zu treffen.

Das Handwerk

Sprache, Akzent, Tonlagen, Betonungen, Gesten, Ticks und Eigenheiten, kleine Details, einfach alles, was eine Person – ob nun in Realität oder auf der Leinwand – letztendlich ausmacht, dafür steht Meryl Streep. Talent in der Aneignung und im passenden, nicht aufgesetzt wirkenden Einsatz alldessen ist nur ein Teil des Erfolgs. Streep verweist immer wieder auf das Handwerk, das kontinuierliche Arbeiten an Charakteren sowie die dazu gehörigen „Hausaufgaben“ in der Beobachtung von Individuen, Umfeld, Hintergrund, Umgebung und Zusammenhängen als ganz entscheidende Elemente ihres Jobs: „Get an education, know as much as you can about everything, listen and look at the world – you know – feelingly.” So kauft sie nach eigenen Angaben immer wieder selbst im Supermarkt ein, kocht Essen für die vier Kinder, deckt den Tisch und lebt wohlweislich weit weg von der Traumfabrik, geerdet und dem „normalen“ Leben auf Tuchfühlung: „You can’t get spoiled if you do your own ironing“.

Ihre Lust auf Neues hat Streep auch nach Jahrzehnten nicht verloren, und sie wählt ihre Rollen nicht nach der größtmöglichen Wirkung aus. Sie ist sich für nichts zu groß oder zu schade. Da darf’s schon mal eine überwuzelte Schriftstellerin mit Midlife-Crisis sein wie in Adaptation (2002, Spike Jonze) oder eine gluckenhafte jüdische Psychotherapeutin im Interessenskonflikt für einen Newcomerfilm wie Prime (2005, Ben Younger), wo Drehbuch und Idee sicher mehr versprachen, als der fertige Film halten konnte. Meryl Streep weiß, was sie kann, und sie ist sich ihrer Berühmtheit durchaus bewusst. Das konnte man dieses Jahr in Berlin bei der Pressekonferenz mit Robert Altman beobachten. Gleichzeitig steht sie aber mit beiden Beinen im Leben, engagiert und äußert sich unerschrocken politisch und karitativ, verweigert ihr Privatleben nach wie vor der medialen Inszenierung und hat offensichtlich Selbstironie und Humor. Auf dem roten Teppich bei einer der Prada-Premieren in Amerika meinte sie: „Menschen mit viel Macht im Leben müssen nicht schreien oder laut werden. Weil sowieso jeder zuhört, was sie zu sagen haben. … Ich hingegen muss dauernd laut werden, damit mir jemand zuhört.“ Nun, im Kino jedenfalls hat Meryl Streep wohl auch in Zukunft uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Mit aktuellen Filmen wie Robert Altmans A Prairie Home Companion (Österreich-Start: Jänner 2007) und The Devil Wears Prada ist sie erste Anwärterin für weitere Hollywood-Ehrungen. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen – so gewann sie sechs Jahre in Folge den People’s Choice Award als beliebteste Filmschauspielerin – stehen 13 Academy Award-Nominierungen zu Buche, mehr als jede andere Schauspielerin jemals erreicht hat.