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Martin Scorsese – Zum 75. Geburtstag

Miezen, Mädchen, Mütter

| Morticia Zschiesche |
Scorseses gebrochener Blick auf die Frauen

Fünf Ehefrauen, darunter die Schauspielerin Isabella Rossellini, die Drehbuchautorin und Regisseurin Julia Cameron, die Filmproduzentinnen Barbara De Fina und aktuell Helen Morris sowie prominente Geliebte wie Liza Minelli – auch im Privaten scheint Martin Scorseses Leben untrennbar mit der Filmwelt verknüpft. Die Bedeutung, die die frühen Kinobesuche für den Filmemacher hatten, um seine prekäre Herkunft zu kompensieren, ist bekannt. Und wie Georg Seeßlen zu Recht schreibt, sind umgekehrt seine Filme keine Abbildung von Mythos oder Wirklichkeit, sondern als eine einzige immerzu währende Annäherung an das eigene Leben zu verstehen. Mehr noch als der Blick in sein Schlafzimmer lohnt also der Blick auf Scorseses Werk, um ihn und seine Beziehung zum anderen Geschlecht zu begreifen. Ob in seinem Langfilm-Debüt Who’s that knocking at my door (1967), in den Mafia- und Gangfilmen wie Mean Streets (1973), Good Fellas (1990), Casino (1995) oder Gangs of New York (2002), den einsamen Kämpferfilmen wie Taxi Driver (1976), Raging Bull (1980) oder Bringing Out the Dead (1999), den Genrefilmen wie dem Musical New York New York (1977) oder dem Historiendrama The Age of Innocence (1993), aber auch im kontroversen The Last Temptation of Christ (1988), seine filmische Perspektive auf die Frauen ist ambivalent, oft brutal und geht sogar in innigen Momenten immer wieder auf Distanz.

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Ewige Dichotomie

Scorseses schwer erkämpfter erster Spiel- und zugleich Abschlussfilm, Who’s that knocking at my door von 1967wirkt wie eine Blaupause in Bezug auf seine weibliche Figurenkonstellation. Die Handlung ist schnell erzählt. Ein junger Mann, J.R. (Harvey Keitel), verliebt sich in ein Mädchen (Zina Bethune) und kann sie aufgrund seiner katholischen Erziehung am Ende nicht heiraten, weil sie zuvor vergewaltigt wurde. Der Einfluss der Nouvelle Vague, die der Regisseur kurz danach zugunsten seiner eigenen New-Hollywood-Handschrift ablegen wird, ist hier noch unverkennbar. In schwarz-weißen Bildern und realen Settings wie Bars, Hausdächern und Wohnungen gedreht, meint man fast Jean-Pierre Léaud oder Françoise Dorléac aus den frühen Truffaut-Filmen zu erkennen, junge Menschen, denen man dabei zusehen kann, wie sie „Paris Match“ lesen und sich über Film unterhalten. Die Produktion stand ganz im Zeichen der ökonomischen wie amourösen Krise von Scorsese, seiner scheiternden ersten Ehe, seiner Zerrissenheit zwischen Kirche und Sex – er hatte Priester werden wollen –, zwischen seinen Freunden und seinen Frauen, zwischen den „guten“ und den „bösen“ Mädchen, zwischen Mutter und Hure. Es ist ein Film, der die ewige Dichotomie von Erfolg und Scheitern in der Liebe im Leben und Werk des Filmemachers vorweg nimmt. Eine Nacktszene demonstriert diese ganze Zerrissenheit. Sie einzubauen war einst angeblich ein Zugeständnis, das ihm endlich den ersehnten Verleih für den Erstlingsfilm einbrachte, und sie gehört zu den Höhepunkten des Films. J.R. erklärt darin seinem „Mädchen“, die den ganzen Film über keinen eigenen Namen haben wird und sich ihm in züchtigen Küssen und in weißer Bluse unter Beobachtung einer Marienstatue annähert, was „Miezen“ sind. In einer Rückblende sehen wir in einer furiosen Kamerafahrt, wie J.R. in einem Bett wie der jungfräuliche Jesus kauert und von schönen Frauen, die bereits Sex hatten, verführt wird. Dazu singt Jim Morrison „Father, yes son, I want to kill you. Mother, I want to …“. Es ist „The End“, ein Song, der ebenfalls 1967 veröffentlicht wurde und den Hinweis auf die eigentliche, ödipale Beziehung zwischen Sohn und Mutter gibt, die über allem schwebt. Neben der unantastbaren Heiligen und der begehrenswerten Hure kommt also noch die imaginäre (Über-)Mutter hinzu, die über Moral und Verwerfung des Sohnes wacht. Ihre moralische Instanz manifestiert sich später immer wieder in Form von Marienfiguren, die männliche Abbitte dagegen in Form von Jesus am Kreuz. Als sich die von J.R. verehrte Jungfrau schließlich als „unrein“ erweist, weil ein anderer Mann mit ihr geschlafen hat, wird die nun unperfekt Gewordene verstoßen, und das nicht ohne in expliziten Gewaltszenen vorher dem Zuschauer vorgeführt zu werden. Funktionierende Kommunikation gibt es dabei nicht, der Mann kann sich weder mitteilen, noch wird er verstanden. Dabei wirken die weiblichen Figuren bereits in diesem Debüt wie Anhängsel an eine männliche Welt, in die sie nie eindringen werden. Es ist eine Welt der Blutsbrüder, in der gemeinsam gelacht, geweint, gehurt und geprügelt wird, Männer-Freundschaften, die zwar meist später durch Verrat zerbrechen, bis dahin aber sind die Beziehungen der Männer zu den Frauen vergleichsweise armselig. Dieser brisanten und zugleich reißbrettartigen Mischung der weiblichen Figurenzeichnung begegnen wir auch in zahlreichen späteren Scorsese-Filmen.

Jesus Maria

Auffällig ist immer wieder die engelsgleiche Heilige, eine vom Mann umworbene fast ätherische Frau, der sich die Kamera in zuerst oft schmeichelhafter Weise annähert, bis diese Frau rigoros zurückgestoßen wird, weil die vermeintliche Perfektion nicht erreicht wird und den ungleichen Paaren die Verständigung fehlt: Travis Bickle (Robert de Niro) umschwärmt in Taxi Driver die blonde Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd), die befremdet seiner Einladung ins Pornokino folgt und danach den Kontakt zu ihm abbricht. Sein wütender Verstoß ist die Folge dieses Unverständnisses. Der heimliche Sex mit der schönen Nachbarin Teresa (Amy Robinson) in Mean Streets führt Charlie (Harvey Keitel) von seinen blutrünstigen Schuldträumen und ihren Epilepsiekrämpfen bis zum finalen Crash, der im wahrsten Sinne alles an die Wand fährt. In The Age of Innocence ist es die kindliche May (Winona Ryder), die am Ende ihren Mann (Daniel Day-Lewis) gleich mit der ganzen „upper class“ hintergeht und damit sein Zusammenkommen mit der Geliebten verhindert. Ihr Tod ist die absehbare Folge, auch wenn er dem Mann nicht das erhoffte Glück bringen wird. Scorseses Zeichensprache ist bei dieser Art der Frauenfigur wenig subtil, kleidet er doch diese vermeintlichen Unschuldigen bis zum Verrat oft in Weiß und nennt sie Mary – bei dieser May fehlt nur ein „r“ dazu. Dafür wird ihr Kind wieder Mary heißen, wie übrigens fast alle Frauen und Kinder in Good Fellas oder in The Last Temptation of Christ.

Die zweite Variante der Frauentypologie bei Scorsese sind immer wieder die begehrenswerten Huren, die Sirenen, denen der Mann nicht widerstehen kann. Sie gehören wie selbstverständlich an die Seite der männlichen Protagonisten, ohne dass den Frauen ebenso selbstverständlich Liebhaber zugestanden werden. Einige dieser Huren haben zwar Namen wie Iris (Jodie Foster), die kindliche Prostituierte in Taxi Driver, Diane (Jeannie Bell) als schöne Schwarze des Nachtclubs in Mean Streets oder Maria Magdalena (Barbara Hershey), der Inbegriff der heiligen Sünderin in The Last Tempation of Christ. Doch zumeist werden sie dekorativ barbusig in Szene gesetzt, sind hübsch, aber dümmlich und mit Geld zu kaufen wie in Good Fellas, wo „der Samstag den Ehefrauen und der Freitag den Freundinnen gehört“. Und je mehr Frauen ein Mann sich leisten kann, desto höher ist sein gesellschaftlicher Status – auch wenn die Gesellschaft in diesem Fall die Mafia ist. Selbst seinen irdisch gewordenen Jesus (Willem Dafoe) lässt Scorsese in The Last Temptation of Christ von mehreren Geliebten träumen.

Katholisches Trugbild

Nur wenig komplexer werden die Frauenfiguren, wenn sie Hure und Heilige zugleich in sich vereinen. In Scorseses Welt sind das die Ehefrauen, die auch meist Kinder für seine Protagonisten zur Welt bringen. Ehe heißt zugleich eine nicht enden wollende Liebes-Hass-Tirade, ein Crash von Gefühlen, Religionen und falschen Erwartungen. Man ist geneigt, Scorseses eigene Ehe-Eskapaden hieraus abzulesen. Die Entwicklung der Figur der Ehefrau oder Gefährtin orientiert sich meist stark an Aufstieg und Fall des jeweiligen männlichen Hauptdarstellers, reflektiert seine negative Dynamik und Dysfunktionalität. Da gibt es Karen (Lorraine Bracco) in Good Fellas, die sich wie eine Hure kaufen lässt und in einer emotionalen Berg- und Talfahrt die Karriere ihres Mannes Henry (Ray Liotta) in der Mafia illustriert. Allein schon ihre Garderobe (über-)zeichnet den errungenen männlichen Wohlstand. Ihre Trennung findet im Abspann statt. Ginger (Sharon Stone) in Casino lässt Scorsese nach ähnlichem Schema am Ende ihrer „Heiligen“-Funktion bereits vorher drogenabhängig in der Gosse verenden, nicht ohne sie vorher wie eine Prostituierte in demütigenden Sex-Szenen zu verkaufen. Aber auch der erfolgreichen Francine (Liza Minelli) bleibt in New York New York kein Happy End beschieden, gerade weil sie künstlerisch ihren Mann (Robert de Niro) dominiert. Gleich zwei Ehefrauen gibt es in Raging Bull: Irma (Lori A. Flax) wird gegen die begehrenswerte kindliche Vickie (Cathy Moriarty) als Trophäe ausgetauscht. Aber auch hier endet es in Schlägen und Scheidung.

Die explizite Gewalt gegen Frauen, die geprügelt und geschunden werden, durchzieht in einem blutroten Faden viele der Filme. Wie Georg Seeßlen erkennt: Die männlichen Figuren scheinen gefangen in ihren Vierteln, in ihren Rollen, ihren Hierarchien, ihren Regeln und können sich nur durch rohe Gewalt herausprügeln. Das gilt auch für die (Un-)Paare. Nie sind sie allein, sondern immer determiniert durch Gruppenkonstellationen und Strukturen, die sie umgeben. Jenny (Cameron Diaz) in Gangs of New York hält es noch am längsten durch, an der Seite von Amsterdam (Leonardo DiCaprio), der nur durch Blutrache Vergeltung findet. Am stärksten ist dieses Verhaftet-Sein und die Unfähigkeit auszubrechen in The Age of Innocence in Szene gesetzt, wenn Newland Archer nach dem Tod seiner Ehefrau gesellschaftlich endlich wieder frei ist für seine verehrte Gräfin Orlenska (Michelle Pfeiffer) und es doch nicht sein kann – ein wahres Sinnbild für Scoreseses gebrochenen Blick auf die Frauen: Bei ihm gibt es einfach keine Erlösung durch die eine Frau. Man(n) gönnt sich keine irdische Erfüllung seiner Sehnsucht. Liebe bis in den Tod ist nicht möglich, und die katholische Sicht auf Ehe und Gemeinschaft bleibt ein Trugbild, das Scorsese sich nicht einmal in seinen eigenen Filmen gönnt.