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Mit einem Tiger schlafen
Mit einem Tiger schlafen

Mit einem Tiger schlafen

Mit dem Körper denken

| Ania Gleich |
Anja Salomonowitz’ neuer Film „Mit einem Tiger schlafen“ lässt Leben und Werk der Künstlerin Maria Lassnig gekonnt ineinanderfließen.

 

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„I only do it if they give me the same money they give to Joseph Beuys“, grinst die Frau unverhohlen. Wer sie ist? Maria Lassnig. Wo sie ist? In ihrem New Yorker Atelier. Und wovon ist die Rede? Von einer Professur an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, die sie in der Folge auch annehmen wird. „But that is wonderful!“, jauchzt die amerikanische Nachbarin. Dann: Szenenwechsel. Die Malerin krümmt sich auf einem Sessel. Um sie herum liegen leere Blätter Papier auf dem Boden. Lassnig befindet sich in ihrem Atelier in Kärnten. Im Hintergrund sieht man Entwürfe mit den inzwischen weltberühmten surrealen Figuren. „Man hat Gefühle im Körper, für die man überhaupt noch keinen Ausdruck hat. Es gibt ja so wenig Ausdrücke für die Körpertätigkeiten“, sagt Lassnig über ihre Arbeit im Zuge einer Ausstellung in der Essl-Sammlung 2005. Deswegen sitzt sie auch auf ihrem Stuhl und streckt sich in alle Richtungen: Wie kann man das ergründen, wofür es noch keinen Ausdruck gibt? Und wie übersetzt man das in eine Bildsprache? Anja Salomonowitz’ Film Mit einem Tiger schlafen ergründet diese Fragen in verspielter Weise und kommt dabei den Ideen der Künstlerin überraschend nahe.

VON DER HUNDSGRUPPE ZUM KÖRPERGEFÜHL

Maria Lassnig wird 1919 als Maria Eleonora Gregorc in eine Kärntner Bauernfamilie hineingeboren. Nachdem sie ein uneheliches Kind ist, wächst sie die ersten Jahre bei ihrer Großmutter auf. Später heiratet die Mutter den Bäcker Jakob Lassnig und Maria kehrt in die Familie zurück. Obwohl ihre Mutter als Bäckerin viel beschäftigt ist, erkennt sie das Zeichentalent der jungen Lassnig, was diese 1940 zu einem Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien befähigt. In diesem Milieu lernt sie den zehn Jahre jüngeren Arnulf Rainer kennen: Eine Beziehung, die wohl so befruchtend wie mühselig für den späteren Ruhm der Malerin sein sollte. Durch ihn kommt Lassnig unter anderem ins Umfeld der sogenannten Hundsgruppe, die die Malerei neu und radikal denken will. Doch so sehr Maria Lassnig auch durch die Radikalität ihrer Arbeiten in dieses Milieu hineinpasst, so sehr passt sie auch wieder gar nicht hinein. Neben Männern wie Ernst Fuchs, Arik Brauer, Wolfgang Hollegha oder Josef Mikl sticht Lassnig eben doch noch einmal anders heraus, denn: Sie ist eine Frau. Und auch wenn es viel zu verkürzt wäre, Lassnigs Malerei auf dieses Faktum herunterzubrechen, so wichtig ist es zu sagen, dass die Radikalität von Lassnigs Malerei eine weibliche Radikalität ist. Oder anders gesagt: Das Körpergefühl, wie es die Künstlerin beschrieb, war der blinde Fleck ihrer männlichen Kollegen. Doch es war eben genau das, was die Malerin so progressiv und zukunftsweisend machte.

 

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BODY-AWARENESS-MALEREI

Was Maria Lassnig zuerst Körpergefühl, später Body-Awareness-Malerei nannte, ist das, was sie von ihren Künstlerkollegen so kategorisch unterschied. Sie malte Gefühle. Es ging ihr nicht darum, den realen Körper zu zeichnen, sondern den, den sie in ihrem Alltag, in ihrem Umfeld, in jedem einzelnen Moment fühlte. Anja Salomonowitz macht Lassnigs Körpergefühl-Malerei in Mit einem Tiger schlafen durch ihre Dramaturgie sehr verständlich. In dem collageartigen Film, der zwischen Zeiten und Orten hin und her springt, verfließen und überlappen sich die Szenen, wie in einem Gefühl, denn: Es gibt im Gefühl keine rational voneinander abtrennbaren Teile. Die Verortung unserer Gefühle passiert immer erst im Nachhinein. So zerrinnen in Salomonowitz’ Film die Gemälde in völlig verschiedenen Momenten und Lebensphasen der Künstlerin. Doch für Lassnig ist es nicht nur wichtig, das Gefühl auszudrücken, sondern aufzuzeigen, wie Gefühle und Körper miteinander verwoben sind. Eine Erkenntnis, die später in verschiedenster Weise aus asiatischen Traditionen in den Westen geschwappt ist. Auch hier war Lassnig in ihrer Idee eine Vorreiterin: Den Körper und die mit ihm verbundenen Gefühle als expressive Einheit für den künstlerischen Ausdruck zu nutzen, machte Lassnigs Arbeit genauso politisch wie existenziell und war etwa eine große Inspiration für den späteren Wiener Aktionismus. Unsere Körper sind unser Tool im Umgang mit der Welt: Sie machen uns zu individuellen Lebewesen, die das Rundherum in ihrer subjektiven Weise wahrnehmen. In dieser Art lässt Lassnig ihren Körper mit der Außenwelt verschwimmen und zeigt damit implizit auch Schmerzen auf, die in unserer Gesellschaft liegen: „Die Kümmernisse der Welt sind unsere Angelegenheit. Die Malerei ist ein Liebesbeweis an die Menschheit.“ Durch ihre Zeit in den USA wurde Lassnig der Begriff „Gefühl“ zu stumpf, woraufhin sie einige ihrer früheren Arbeiten sogar umbenannte. Fortan stellte sie das Körperbewusstsein – die body awareness – und dessen Empfindungen in den Vordergrund: „Meine Kunst ist die, die sich im Menschen entwickelt und von menschlichen Empfindungen (nicht Gefühlen) ausgeht. Die moderne Kunstphilosophie will das nicht mehr, weil der Mensch immer unnotwendiger wird (meinen sie)“, so ein Auszug aus Lassings Tagebüchern.

DIE ANWESENDE IM ABWESENDEN

Ein Punkt, der in Mit einem Tiger schlafen besonders oft unterstrichen wird, ist, wie Lassnig im medialen Echo lange Zeit durch ihre männlichen Kollegen – allen voran Arnulf Rainer – analysiert und definiert wurde. Die Trotzigkeit, mit der Lassnig auf den Bezug zu Rainer reagiert, lässt die Künstlerin (gespielt von einer sehr facettenreichen Birgit Minichmayr) fast schon aufblühen. Durch das Zeigen der Rolle der Frau in der Kunstwelt wird im Film etwas aufgemacht, das zwar in der damaligen Zeit viel normaler war, aber heutzutage immer noch strukturelle Schieflagen am Kunstmarkt ersichtlich macht: Weibliche Künstlerinnen finden in der Regel erst in späteren Jahren zu der ihnen gebührenden finanziellen wie öffentlichen Anerkennung und der ständige Verweis auf männliche Professoren, Kollegen so wie die immer noch viel größere Anzahl an Galeristen bleiben eine Struktur, in der sie sich anders und durch mehr Anstrengung behaupten müssen. Konterkariert wird dieses Ungleichgewicht durch die Darstellung der späten Arbeitsbeziehung von Lassnig zu ihrem Assistenten Hans Werner Poschauko, die eindeutig herauskehrt, wer hier wen in der Hand hat. Die Malerin hat nämlich bis zuletzt – und sie starb 2014 vierundneunzigjährig – gemalt und gezeichnet. Trotz ihrer frühen Existenzkämpfe und den anderen erschwerenden Bedingungen ihres Lebens gab sie in ihrer Sturheit und Ausdauer nie nach: „Ich habe immer schon, schon sehr jung, um eine Art Anwesenheit gerungen. In dieser meiner Kunst der Versenkung bis zu den Fiebern der Nervenfasern und ihrem Vibrieren habe ich den Nebel der Abwesenheit bezwungen.“

IN ALLEN LEBENSPHASEN

Man weiß schon von früheren Filmen von Anja Salomonowitz, dass die Regisseurin sich nicht der geradlinigsten Erzählstrukturen bedient. Auch in Mit einem Tiger schlafen greift sie deswegen zu mitunter skurrilen Mitteln, die die Philosophie der Künstlerin filmisch unterstreichen. So spielt Birgit Minichmayr, bis auf wenige Ausnahmen, Maria Lassnig in allen Altersstufen. Dabei springen die Szenen vom Kind zur alten Frau, von der jungen Studentin zur berühmten Künstlerin. Ebenso gibt es Momente, wo Spiel- und Dokumentarfilm in wunderbar eigensinniger Weise verfließen und das Gesamtbild raffiniert auflockern. Salomonowitz kommt dadurch der Vielschichtigkeit der Künstlerin gebührend nach. Dabei gibt es zwischen Tigern und Ameisen nichts, was für Maria Lassnig nicht einen Pinselstrich wert gewesen wäre, denn: „Die Welt ist einfach viel zu interessant!“