Das Internationale Filmfestival Rotterdam (IFFR) findet auch in diesem Jahr digital statt. Man hatte es anders geplant – und dann kam Omikron. Ein Vorbericht.
Erst ganz, dann gar nicht. Vanja Kaludjercic, die schon 2021 ihr erstes Festival als neue Künstlerische Leiterin des IFFR aus Pandemiegründen im Netz präsentieren musste, hatte auch in diesem Jahr kein Glück. Dabei hatte man alles so schön geplant, bis kurz vor der Programmveröffentlichung. Aber wenige Tage vor Weihnachten war es dann soweit: Das Festival gab bekannt, dass man nun doch auf ein digitales Event ausweichen müsse. Omikron war auch in den Niederlanden auf dem Vormarsch. Und so blieben den Organisatoren nur wenige Wochen, das Beste aus der gegebenen Situation zu machen.
Nun gibt das IFFR seinen virtuellen Auftakt, immerhin mit knapp über 50 Filmen im Angebot für das einheimische Publikum. Der internationalen Presse und Industrie stehen derweil über 200 Titel online zu Verfügung. Und am Tag der Festivaleröffnung gibt es zumindest einen Lichtblick: Die Kinos werden demnächst auch in den Niederlangen geöffnet, heißt es, so dass das zunächst als Eröffnungsfilm angekündigte Drama Along the Way von Mijke de Jong am 6. Februar 2022 schließlich doch noch im Rahmen des Festivals, dafür jetzt quasi als krönender Abschluss, vor Publikum gezeigt werden kann.
Für die Eröffnung hat Kaludjercic stattdessen Please Baby Please, den neuen Film der US-amerikanischen Musikerin und Regisseurin Amanda Kramer ausgewählt, in dem Andrea Riseborough und Harry Melling ein Künstlerpaar im Manhatten der fünfziger Jahre spielen, die nach einer Begegnung mit einer Gruppe vom Gangstern eine Art sexuelles Erwachen erleben. Klingt wild und, gemessen an den bisherigen Regiearbeiten von Kramer, ist es das wahrscheinlich auch. Aber mit einem unkonventionellen Opener hatte man in Rotterdam bereits im vergangen Jahr einen Volltreffer gelandet, denn auch Riders of Justice von Anders Thomas Jensen war kein offensichtlicher Crowd-Pleaser und etablierte sich im Laufe des Kinojahres weltweit zu einen kleinen Faszinosum, das die Zuschauer zugleich verstörte und amüsierte.
Ob Kramers Film da mithalten kann, wird sich zeigen. Aber die unkonventionelle Künstlerin ist neben Please Baby Please auch gleich noch mit einem zweiten aktuellen Werk vertreten, das nicht weniger abenteuerlich anmutet. Deklariert als Musical-Thriller-Komödie wird Give Me Pity! am 29. Jänner die „Filmmakers in Focus“ Reihe beschließen. Sophie von Haselberg (Bette Midlers Tochter) spielt darin eine junge Darstellerin, die sich begeistert der Chance hingibt, einmal der Star einer eigenen Varieté-Show zu sein, bis ihr großer Abend langsam, aber sicher aus dem Ruder läuft.
Demgegenüber stehen die Werke des chinesischen Künstlers und Regisseurs Qiu Jiongjiong, dessen dokumentarische Experimente mit der Ästhetik und den verschiedenen Ausdrucksformen des Mediums ihn auch international als einen der wichtigsten unabhängigen Filmemacher Chinas bekannt machten. Sein erster Spielfilm A New Old Play (2021) wurde im vergangenen Jahr in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet, was man in Rotterdam zum Anlass nahm, einen genaueren Blick auf sein Schaffen insgesamt zu werfen. Präsentiert werden neben dem gefeierten Feature sechs weitere Arbeiten.
Um den mit 40.000 Euro dotierten Tiger Award, der für neue Talente reserviert ist, gehen in diesem Jahr 14 Filme ins Rennen, darunter Eami des aus Paraguay stammenden Filmemachers Paz Encina oder Met Mes von dem Neuleeländer Sam de Jong. Überhaupt ist die Sektion mit Filmen aus Russland (Maria Ignatenkos Chrome) und Indien (Rahat Mahajans The Cloud Manager), Israel (Roee Rosens Kafka For Kids) und Chile (Roberto Doveris Proyecto Fantasma) geografisch wie inhaltlich breit gefächert. Unter den zehn Titeln im „Big Screen“-Wettbewerb finden sich zudem auch bekannte Namen wie Jacques Doillon, der seinen neuen Film CE2 vorstellt, oder Urszula Antoniak und Clara Law, die jeweils mit neuen Werken vertreten sind.
Insgesamt ist es ein Programm geworden, das laut Kaludjercic „Vielfalt und Überraschungen“ verspricht. Zwar bedauert sie den Wechsel zu einem weiteren digitalen Festival, betont aber gleichzeitig auch die Offenheit, das Verständnis und die Bereitschaft der Filmschaffenden, ins Netz zu gehen. Der Berlinale bleibt ein solcher Umschwung in letzter Minute hoffentlich erspart, denn am Potsdamer Platz soll es am 10. Februar vor Ort und mit Premieren auf dem frisch ausgerollten roten Teppich losgehen.