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Filmkritik

Mobilisierung der Träume - Dreams Rewired

| Roman Scheiber |
Neue Medien im Spiegel der alten sehen und staunen

Dieser Film ist zu viel Film auf einmal. Seine Fülle und sein Tempo sind atemraubend, sein Thema ist zu komplex, um zwischen dem Aufprasseln der Bilder auf der Netzhaut, während Tilda Swintons herrliche Old-School-Gouvernanten-Erzählstimme in die Gehörgänge kriecht und der infektiöse Sound das Trommelfell durchschlägt, genügend Raum zur Reflexion zu lassen. Das macht aber rein gar nichts, denn reflektieren kann man danach, wenn der Film einen wieder rausgelassen hat aus seinem Sog.

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Mobilisierung der Träume – Dreams Rewired von Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode ist eine Found-Footage-Filmabhandlung, aber was für eine! Hunderte Filmausschnitte aus der Frühzeit der (Massen-)Bildmedien Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit sind hier in einem erstaunlich störungsfreien, ungemein dichten Erzählfluss ineinander montiert, um vor allem eines deutlich zu machen: Social Media und Big Data mögen die elektronische Kommunikationskultur verändert haben, auf den Kopf gestellt haben sie sie nicht. Wir mögen heute anders denken, fühlen, träumen, uns anders vernetzen, uns zuweilen in den Weiten des Netzes verlieren. Doch das Grundprinzip, die mit der Technik verknüpften Versprechungen und Utopien – grenzenlose Völkerverbindung, Frieden, Wohlstand für alle – waren schon der Lochkarte eingestanzt und dem Telegraphen durchsteckt, waren aus dem Äther der Funkwellen zu vernehmen und schemenhaft zu erahnen aus dem Flimmern der aus heutiger Sicht grotesken ersten Televisions-Prototypen. Von der telefonischen Kommunikation ganz zu schweigen, die in ihren Anfängen ganze Legionen weiblicher Hilfsarbeitskräfte produzierte.

Dreams Rewired ist so viel Film auf einmal, dass er – vielleicht mit ein wenig Abstand – noch einmal gesehen, gehört, erlebt, durchdacht werden will. Das ist es nämlich, was dieser faszinierende Film eigentlich will und was seiner rasenden Ästhetik nur zum Schein widerspricht: zum Innehalten verführen. Zum Nachdenken darüber, was Menschen mit Technologie machen und was Technologie mit Menschen macht. Screwball-Witz und Montage-Komik täuschen nicht darüber hinweg, dass ein subversiver Geist den Film durchweht, dessen Rate herausfordernder Gedanken pro Minute sein eigenes MTV-Tempo in den Schatten stellt. „ray“ fordert Massenschulvorführungen von Dreams Rewired: damit weniger Menschen mit Medien aufwachsen, von deren Geschichte sie nichts wissen und von deren Zukunft sie daher keine Ahnung haben können.