ray Filmmagazin » Filmkritiken » Morgen ist auch noch ein Tag
Paola Cortellesi - Morgen ist auch noch ein Tag

Filmstart

Morgen ist auch noch ein Tag

| Jakob Dibold |
Ein italienisches Regie-Debüt schreibt Geschichte und stellt Zukunfts-Forderungen.

 

Werbung

Im Jahr eins nach der Befreiung vom Faschismus durch die Westalliierten stehen die Dinge alles andere als rosig. Gut entlohnte Arbeit ist in Rom rar, zudem muss Delia, die sich zusätzlich zum Haushalt und Kindswohl täglich minijobbend um Zubrot kümmert, einen Ehemann ertragen, der sie schlägt und erniedrigt. Während die beiden Söhne im Kindsalter leider eher dem Papa nachzukommen drohen – dessen Vater wiederum, auch das noch, bettlägerig ebenfalls das Souterrain mitbewohnt und versorgt werden will –, ruht viel Hoffnung auf Marcella: Die Tochter ist im „heiratsfähigen“ Alter, verliebt, und der Antrag des aus einer wohlhabenderen Familie stammenden Giulio scheint nur mehr eine Frage der Zeit. Mit dem Verhalten ihrer Mutter ist Marcella hingegen sehr unglücklich – wie kann sie sich von ihrem Gatten nur so behandeln lassen? Doch Delia selbst sieht derzeit schlicht keinen Weg, sich zu Wehr zu setzen, ohne den Kindern zu schaden. Dass ein bedeutend liebenswerteres Mannsbild sich in unmittelbarer Reichweite befindet und obendrein ein freundlicher US-Besatzungssoldat seine Hilfe anbietet – wobei aber weder er Italienisch noch Delia Englisch versteht – hilft da nicht wirklich weiter.

Nicht oft wird der Komplex aus patriarchaler Ordnung, Klasse und Kleinfamilie in so sorgsamen Schwarzweiß-Bildern und gleichzeitig mit so viel niederschwelliger Komik präzise offengelegt. Von Interesse ist er zweifellos heute noch, im vorliegenden Fall durch grandiose Zahlen belegt: Das Regie-Debüt der Schauspielerin Paola Cortellesi ist in den Top Ten der höchsten Einspielergebnisse von in Italien jemals im Kino gelaufenen Filmen gelandet, unter den italienischen Produktionen davon ist es gar die fünfterfolgreichste. Über fünf Millionen Kinotickets wurden verkauft. Das Bedürfnis nach Stoffen wie diesen ist da.

Cortellesi inszeniert ihre Kombination aus Galgenhumor-Lehrstück und historischer Gesellschaftsstudie im reverenzfreudigen Look mit bemerkenswerter Leichtigkeit. C’è ancora domani spricht die Dinge ohne Scheu an, arbeitet feinfühlig leider nicht ausgestorbene, unerfreuliche Sittenbilder heraus. Zwar lassen sich einige filmische „Schwächen“ durchaus finden; ebenso gefällt die ungewöhnliche Darstellung von misogyner Gewalt sicher nicht allen. Doch die Vorsehbarkeit und Unplausibilität mancher Charakter-Handlungen und Pointen sind erträglichen Ausmaßes, und die schlau vollzogenen Wendungen im Geschehen machen diese Mängel ohnehin nebensächlich – allen voran ist es ein mysteriöser Brief, der in Delia ein unsichtbares Feuer des Aufbegehrens zu entfachen scheint …