Die Wiener Festwochen von 13. Mai bis 18. Juni werfen ihren Schatten voraus. Die Vorzeichen stehen auf Erneuerung. Eine kompakte Vorschau auf einige Highlights.
Vorausschauend, großzügig und offen“ wollen die Festwochen 2022 sein, so Intendant Christophe Slagmuylder im aktuellen Programmkatalog. Vielleicht, so meint er, könne man „einen gemeinsamen Raum wiederaufbauen, in dem künstlerische Arbeiten die zentrale Feuerstelle sind, die uns (wieder-)vereint.“ Ein schöner Wunsch, fürwahr, geschrieben natürlich vor dem Überfall auf die Ukraine. Wie auch immer, das Motto lautet „Neu-Erfindung“, und tatsächlich kann es, nach den äußerst schwierigen Umständen, unter denen die traditionsreiche Großveranstaltung 2020 und 2021 teilweise, reduziert oder gar nicht stattfinden konnte, nur besser werden. Man kann, so hofft man, wieder aus dem Vollen schöpfen, das heißt, es werden wieder viele Eigen- und Ko-Produktionen angeboten, Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt sollen anreisen, um dem Wiener Publikum an nicht weniger als 21 Spielorten – darunter ein Fußballplatz in Floridsdorf und die Kaisermühlenbucht in Donaustadt – Neues, noch nicht Gesehenes und Gehörtes anzubieten.
Das beginnt möglicherweise schon bei der wie stets geheimnisumwitterten Eröffnung, die sich am 13. Mai ab 21.20 Uhr auf dem Wiener Rathausplatz begibt. Zwar ist nicht der totale Umsturz zu erwarten – da ist schon die Live-Übertragung auf ORF und 3sat davor –, aber dass man den in vielerlei Künsten versierten David Schalko als Zampano geholt hat, lässt darauf schließen, dass es keine Eröffnungszeremonie von der Stange werden wird. Nicht mehr und nicht weniger als eine „Last Night on Earth“ versprechen die Festwochen als Auftakt, einen „letzten Abend auf Erden, bevor der Trip beginnt. Ein Abend, an dem Spaceships erstmals miteinander Kontakt aufnehmen. Bevor wir uns zu neuen Planeten aufmachen. Eine Nacht, in der wir uns ins All tanzen. Ein Ereignis mit vielen Überraschungen.“ Erfreulich ist auf jeden Fall, dass zu diesem Anlass die DJ-Legenden Kruder & Dorfmeister wieder zusammengefunden haben. Man wird aber auch viele andere Gäste sehen – und hören.
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Wien – Musik – Legende: Da denkt man unwillkürlich auch an Peter Rehberg, der im Juli 2021 im Alter von 53 Jahren verstorben ist. Ihm und seinem nicht minder legendären Musiklabel editions mego widmen die Wiener Festwochen einen langen Abend am 28. Mai um 21 Uhr im dasWERK. Die Künstlerin Gisèle Vienne erinnert sich an die 20 Jahre andauernde Zusammenarbeit mit dem aus Tottenham stammenden Rehberg, den sie erstmals 2001 in Wien traf, gemeinsam mit dessen späterer Lebensgefährtin Isabelle Piechaczyk, die den Gedenkabend auch kuratiert: „Unsere gemeinsame Arbeit umfasst zwölf Performances mit unzähligen Live-Auftritten von Peter Rehberg auf langen Tourneen, neun Alben, Ausstellungen, Installationen, ein Hörspiel, ein Buch und zuletzt einen Film. Die Alben wurden unter den Namen Peter Rehberg, DACM und KTL veröffentlicht. Durch seine einzigartige und inspirierende Arbeit, die er in all unsere gemeinsamen Projekte einbrachte, durch sein enormes Musikwissen und als innovativer und eigenwilliger Labelmanager war Peter Rehbergs Einfluss gewaltig.“ An dem „Langen Abend“ teilnehmen werden langjährige Weggefährtinnen und Mitstreiter Rehbergs wie Caterina Barbieri, Chra, Electric Indigo, Fennesz, Finlay Shakespeare, General Magic & Tina Frank, Hecker, Inou Ki Endo, Jung An Tagen, KMRU, Nik Colk Void, Russell Haswell und Tin Man.
Gisèle Vienne ihrerseits inszeniert im Jugendstiltheater am Steinhof von 25. bis 27. Mai, jeweils um 20.30 Uhr, „L’Etang / Der Teich“ nach dem Theaterstück „Der Teich“ von Robert Walser aus dem Jahr 1902. Das Drama des Schweizer Autors erzählt die Geschichte eines Jungen, der seinen Tod inszeniert, um zu sehen, wie seine Mitmenschen darauf reagieren. In der Bearbeitung von Gisèle Vienne wird „das 80-minütige, absolut verstörende Familiendrama zu einer ins zeitgenössische Französisch transponierten Studie über Machtverhältnisse. Wie sich normierende Autorität in Körpern und Stimmen einschreibt, dies tatsächlich sichtbar und begreifbar zu machen, gelingt den beiden Schauspielerinnen Adèle Haenel und Henrietta Wallberg mit beklemmender Präzision. (….) Während die vielfach ausgezeichnete Haenel rasant zwischen den verschiedenen Kinder-Rollen wechselt, verkörpert Wallberg die gewalttätigen Eltern-Rollen. Ein klaustrophobisches Kleinod an beeindruckender Schauspielkunst“, so verheißt der Festwochen-Katalog. Die Musik zu der Inszenierung stammt von Stephen F. O’Malley, der mit Peter Rehberg mehrere Jahre lang zusammenarbeitete, und von François J. Bonnet. Mit Adèle Haenel kommt einer der großen jungen weiblichen Stars des französischen Kinos nach Wien; die Schauspielerin, die auch schon bei der Viennale zu Gast war, sorgte unter anderem mit ihren Darstellungen in Luc und Jean-Pierre Dardennes Das unbekannte Mädchen (2016) und in Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019) für Aufsehen. Ein Publikumsgespräch findet im Anschluss an die Vorstellung am 26. Mai statt.
Erstmals bei den Festwochen zu Gast ist der 1980 geborene, international gefeierte schwedischen Künstler, Autor, Theater- und Filmregisseur Marcus Lindeen. Nach einem Regiestudium in Stockholm debütierte er 2006 mit dem Theaterstück „The Regretters“, aus dem er später einen Dokumentarfilm machte. Es geht darin um zwei schwedische Männer, die zweimal eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen. Sein zweiter Film Glorious Accidents (2011), ein Spielfilm, wurde beim Festival in Venedig uraufgeführt und ausgezeichnet. Weitere Theaterproduktionen sind „The Archive of Unrealized Dreams and Visions”“(Stockholms Stadsteater, 2012) und „A Generation Lost“ (2013), das im Schwedischen Parlament aufgeführt und im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Lindeens Dokumentarfilm The Raft (2018), der bei mehr als 50 Festivals gezeigt wurde, beschäftigt sich mit einem abenteuerlichen und umstrittenen Experiment aus dem Jahr 1973: Der Anthropologe Santiago Genoves wollte mit zehn Menschen beiderlei Geschlechts auf einem kleinen Floss den Atlantik überqueren, um dabei das Aggressionsverhalten der bunten Truppe zu studieren, von der schwedischen Kapitänin bis hin zu einem angolanischen Priester – ein Mikrokosmos der Welt. Das von den Medien als „Sexfloß“ titulierte Unterfangen schlug international hohe Wellen. 43 Jahre später treffen sich die noch lebenden Teammitglieder für Lindeens Film und lassen uns anhand von Archivmaterial, dem Tagebuch des Expeditionsleiters und Reenactment-Szenen an ihrem Abenteuer auf See teilhaben. Lindeen stellte 2017 die Kulisse des Films als interaktive Installation im Centre Pompidou aus.
Spektakulär dürfte auch Marcus Lindeens Arbeit für die Fest-wochen werden, zu sehen von 29. bis 31. Mai jeweils um 19 und 21 Uhr im brut nordwest. Die Künstlerin Sarah Pucill, deren Film Magic Mirror die inszenierten Selbstporträts von Claude Cahun reproduziert; Jérôme Hamon, der erste Mensch, der aufgrund einer Erbkrankheit zwei Gesichtstransplantationen bekam; und die Neurowissenschaftlerin Jill Bolte Taylor, die sich nach einem Schlaganfall neu erfinden musste: Basierend auf Interviews mit diesen drei außergewöhnlichen Menschen erarbeitete Lindeen „L’Aventure invisible“ („Das unsichtbare Abenteuer“). Drei Performer/innen laden das Publikum ein, biografische Identitäten in Übergängen, Umbrüchen und Neuanfängen zu denken. Oder wie es Claude Cahun formulierte: „Unter dieser Maske eine weitere Maske. Ich werde nie fertig damit, all diese Gesichter zu entfernen.“ Ein Publikumsgespräch findet am 30. Mai im Anschluss an die zweite Vorstellung statt.
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