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To the Moon
To the Moon

Open-Air-Kinos

Play Among the Stars

| Jakob Dibold |
Open-Air-Kinos und hoch budgetierte Filmstarts füllen das Sommerloch. Eine Vorschau auf warme Nächte und (hoffentlich) gekühlte Säle.

Um die 130 Jahre ist Film nun schon „alt“. Wenn auch im Großen gesehen also immer noch eine „junge“ kulturelle Praxis, hat sich das Filmen und dann das Vorführen von aufgenommenen Wirklichkeiten in weiten Teilen der Erde zu einem festen Bestandteil des Lebens entwickelt. Die Welt und ihre Gesellschaften haben sich in diesem Zeitraum stark verändert; das Weilen unter freiem Himmel sowie unter Leuten ist aber zum Glück ein Grundbedürfnis geblieben. Mit dem Filmeschauen lässt sich dies trefflich verbinden, das beweist eine beachtliche Anzahl an österreichischen Sommerkinos seit langem, und innerhalb ihrer Programme lässt es sich meist gut durch die variantenreiche Fülle an Werken streifen, die die Film- und Kinogeschichte seit ihren Anfängen hervorgebracht hat. Heute, hundert Jahre nach der ersten Blüte der Lichtspieltheater – in Form wahrhaftiger Filmpaläste – ist die Sorge um das Weiterbestehen der Institution, des Ortes Kino vielerorts greifbar, verstärkt von einer globalen Pandemie, die die Gewohnheit des lockeren Miteinanderseins erschüttert hat. Letztes Jahr, 2023, schlug der Erfolg des in eben dieses Kofferwort gegossenen Phänomens „Barbenheimer“ hohe Wellen: Jeder Kino-Abgesang war als verfrüht bewiesen, schien es vielen. Finden Barbie (R: Greta Gerwig) und Oppenheimer (R: Christopher Nolan) in diesem Kinosommer vergleichbare Nachfolger in puncto Kassenschlager- und Gesprächsthema-Qualität? Und was rufen die Sommerkinos 2024 aus der Historie zurück ins Jetzt, welche älteren Produktionen stellen sie den aktuellen Filmen ihrer Programme zur Seite?

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MASCHINENUNTERHALTUNG

Am Areal des „Kino wie noch nie“, dem Freiluftkino des Filmarchiv Austria im Wiener Augarten, ist mit dem besonderen Vorführort „Bioskop“ eine Entdeckungsreise in die ersten Jahre des Mediums geboten. Benannt ist dieses Kinozelt nach dem Projektionsapparat der Brüder Skladanowsky, mit dem diese im November 1895 in Berlin die ersten Filmpräsentationen für Eintritt zahlendes Publikum auf europäischem Boden durchführten. Nachhaltigeren Erfolg hatten bekanntlich die Brüder Lumière mit ihrem technisch superioren „Cinématographe“, von ihnen sind im Augarten-Bioskop einige frühe Filme zu sehen.

War Ende des 19. Jahrhunderts noch häufig das endlos zitierte Einfahren eines Zuges im Bahnhof eine cineastische Attraktion, sollte sich im folgenden Jahrhundert, dem 20. nach westlicher Rechnung, viel tun hinsichtlich der Verzahnung von bahnbrechenden technologischen Neuerungen und dem Einfangen und Vermitteln davon mit Film. Das wohl einschneidendste Ereignis dabei, das Space Race und die Landung der Apollo 11 am Mond, ist wieder einmal Stoff für Starbesetztes: In Fly Me to the Moon (R: Greg Berlanti, Sony Pictures, Kinostart 11. Juli) arbeiten Scarlett Johansson und Channing Tatum daran, dass die bemannte Mondmission ein Triumph wird. Er als ein führender Verantwortlicher der NASA, sie als Marketingspezialistin, die das Image der Weltraumbemühungen aufbessern und schließlich sogar als Backup-Plan B eine Fake-Landung inszenieren soll. Polit-Story wird Love-Story, ein Film wie gemacht für Sommerstunden, dementsprechend auch in zahlreichen Open-Air-Kinos vertreten. Am nächsten dran am Sujet ist man beim Screening auf der Braunberghütte in St. Oswald, Oberösterreich. Johansson begegnete den faszinierenden Unbekannten des weiten Alls bereits im Kinofrühsommer 2023 in Wes Andersons Asteroid City, wobei das dortige Alien ein freundlicheres war als jene Bestie, mit der es demnächst Cailee Spaeny im mittlerweile siebten Teil der „Alien“-Reihe aufnehmen muss. Regisseur Fede Alvarez nahm sich zum Ziel, das Beste aus dem ersten, Scotts Alien (1979) und Camerons Sequel Aliens (1986) zu einer Version zu kombinieren, die zeitlich zwischen den beiden angesiedelt ist: Alien: Romulus (Walt Disney, 15. August). Mehr vom Selben bringt mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch M. Night Shyamalans Nächster, in Trap (Warner Bros., 8. August) stellt sich heraus, dass ein netter Vati (Josh Hartnett), der mit seiner Tochter ein Popkonzert besucht, ein gesuchter Serienkiller ist – sicher nicht der finale Twist.

Auffällig prägt das große amerikanische Genre des Westerns die heißen Monate. Von The Dead Don’t Hurt können Sie hier in diesem Heft (S. 48) ausführlich lesen, keinesfalls unterschlagen darf natürlich Kevin Costners vierteilige Epos-Reihe Horizon: An American Saga (Tobis Film, Teil eins startet am 22. August). Darüber mehr in der September-Ausgabe. Außerirdische Sci-Fi und Western vereint Borderlands (Constantin Film, 22. August), Eli Roth verfilmt damit das gleichnamige Fantasy-Shooter-Videospiel recht lose, mit hochkarätigem Cast (u. a. Cate Blanchett, Jamie Lee Curtis, Kevin Hart) und mitunter derbem Humor. Diese neu erscheinenden Western-Auswüchse kann man ausgezeichnet mit nah und fern Artverwandten im Sommerkino „gegenlesen“: Mit Nicholas Rays grandios ästhetisiertem Johnny Guitar (1954), in dem sich im Showdown gar zwei Frauen mit Revolver entgegenstehen, im „Kino wie noch nie“. Mit Terrence Malicks nicht minder elegantem Working-Class-Erbschleich-Drama Days of Heaven (1978) im Sommerkino des Moviemento Linz, oder mit LaRoy, einer französisch-US-amerikanisch-österreichischen Krimikomödie im Coen-Stil (u. a. im „Kino am Dach“, obenauf der Hauptbücherei der Stadt Wien; Hauptdarsteller John Magaro ist außerdem im herzzerreißenden Past Lives von Celine Song zu sehen, dies zudem in Rankweil, Vorarlberg; beide Filme 2023). Ebenso hier dazugezählt sei aufgrund des Settings Buster Keatons Der General (1926), in dem der Stummfilmstar die Bürgerkriegs-Begebenheit des Great Locomotive Chase 1862 fiktionalisiert, im Open-Air-Kino beim Kesselhaus Krems.

STURMERNTE

Schon bevor es Zwischentitel gab, schuf Georges Meliès von Stop-Motion getragene Kurzfilme. Einige davon werden im Kino-wie-noch-nie-Bioskop gekurbelt, zum Beispiel verprügeln einander da beschwingt zwei Ringer nach allen Regeln der frühen Bildtrick-Kunst. Extravagante Kämpfe (Nouvelles luttes extravagantes, 1900) sollten filmgeschichtlich ja in schier unzählbarer Menge folgen. Viel verrückter als mit der Fledermausfrau in René Cardonas La mujer murciélago (1968), der beim Open-Air-Kino im Zeughaus in Innsbruck zu bestaunen ist, wurde es dabei nur selten, diesen Sommer geben sich diesbezüglich die Superstreithähne Deadpool & Wolverine (Walt Disney, 24. Juli) die Ehre. Bei Regisseur Shawn Levy müssen sie sich erst zusammenraufen, um dann Seite an Seite siegreich zu sein. Außer Fans des MCU wird das wenigen mehr als eine Fußnote taugen, anlässlich der Kicker-EM seien mit dem Stichwort Ryan Reynolds, seit 2020 Besitzer des empormarschierenden walisischen Clubs AFC Wrexham, dafür Fußballfilme erwähnt, die in den Sommerkinos nachgespielt werden: Bend It Like Beckham (2002, R: Gurinder Chadha) bei den Leslie Open in Graz, Next Goal Wins (2023, R: Taika Waititi) in Wels. Ein Erfolg könnte derweil Reynolds’ Ehefrau Blake Lively mit ihrer nächsten Hauptrolle gelingen, It Ends With Us (Sony Pictures, 14. August) der Hollywood-Liebesfilm des Sommers werden. Justin Baldoni verfilmt den Bestseller aus der Feder Colleen Hoovers, eine Romanze mit überaus ernsten Elementen. Heiterer, gleichwohl kritisch gegenüber tradierten Beziehungserzählungen, ist der gewitzte Simple comme Sylvain (R: Monia Chokri, Panda Lichtspiele, 9. August). Eine lustvolle Comedy im anspruchsvollen Zick-Zack-Kurs, neben dem regulären Start in den Kinos auch unter freiem Himmel zu sehen, etwa im Klagenfurter Burghof. Äußerst zwielichtige Schöne und Reiche dürfen heuer  nicht minder fehlen. Zoë Kravitz’ Regiedebüt Blink Twice (Warner Bros., 22. August) trägt das bekannte Gewand eines Psychothrillers auf einer entlegenen Insel mit satirisch-bissigen Akzenten, Channing Tatum führt dort als Tech-Milliardär nichts Gutes mit seinen Gästen im Schilde. Davor lässt sich dazu passend das kapitalistische Urproblem erahnen, in Greed (1924) von Erich von Stroheim, zum 100. Bestehen im „Kino wie noch nie“.  Dass die oberen Zehntausend mit ihrem Überfluss im Übermaß zur Erderwärmung beitragen, wird immer offensichtlicher. Das Thema Klimawandel wird – zwangsläufig– generell immer breiter öffentlich diskutiert, das Sequel zu einem der erfolgreichsten Naturkatastrophenfilme der Neunziger kehrt es ebenso wenig unter den Teppich. Im Kern freilich dreht sich Twisters (R: Lee Isaac Chung; Warner Bros., 17. Juli) wieder um die gefährliche Tätigkeit der „Sturmjagd“. Im Kampf gegen die Natur scheint den Menschen die technologiebedingte Hybris zum Verhängnis zu werden. Den Direktvergleich dieser Neuauflage mit Twister  (1996, R: Jan de Bont) kann man zu hoffentlich sanfter Brise im Wiener Augarten ziehen. Umweltthemen im weiteren  Sinne finden sich in diversen Freiluft-Spielorten gesät, von im Wiener VOLXkino Sparschwein (R: Christoph Schwarz; Spielort Wallensteinplatz) und Prinzessin Mononoke (1997, R: Miyazaki  Hayao; Marco-Polo-Platz; auch Miyazakis Der Junge und der Reiher kommt in Sommerkinos, etwa nach Innsbruck) bis Erin Brockovich (2000, R: Steven Soderbergh) im „Kino wie noch nie“. Beim Kesselhaus in Krems läuft der gar nicht so übel gealterte Simpsons – Der Film. Dessen eindeutige Agenda hat 2007 nicht allen gefallen; unterhaltsam ist es für Jung und Alt allemal, wenn Präsident Arnold Schwarzenegger die Stadt Springfield wegen deren Umweltsünden kurzerhand mit einer riesigen Glaskuppel vom Rest der USA abschottet.

AUSSÄEN

Mit dem über das Programm sich rankenden Leitthema „Garten“ begeht das Frame[o]ut im Wiener Museumsquartier die Saison. Tatsächlich spielt im Eröffnungsfilm ebenfalls eine Schutzkuppel eine tragende Rolle: Im Sci-Fi-Gedankenexperiment Biosphere (2022, R: Mel Eslyn) stecken zwei Überbleibende einer globalen Apokalypse in einem abgeschlossenen Ökosystem fest und werden von unerwarteten evolutionären Vorgängen übermannt. Fram[e]out ist jedes Jahr ein wohltuender Anker für das Ungewöhnliche, das Innovative, mit Here (2023) von Bas Devos wird u. a. einer der zartesten und eindrücklichsten Filme der letztjährigen Festivallandschaft gezeigt. Ein Abend spannt den thematischen Bogen besonders schön: Projiziert werden Werke des Filmkünstlers Derek Jarman, der in den letzten Jahren seines Lebens einen Garten um sein Prospect Cottage in Dungeness gestaltete, darunter eine Super-8-Perle. Jarmans langjähriger Produzent und Weggefährte James Mackay wird zu Gast sein.

Zum Abschluss vom Museumsplatz in die Kärntner Straße: Im Société-Lumière-Einminüter Entrée du Cinématographe à Vienne scharen sich Neugierige im ersten Bezirk Wiens 1896 vor der Vorführstätte. 128 Jahre später, in unserer von permanenter Informationsflut geprägten Epoche, sind Ausflüge in die Kinos anders lohnend, anders, aber sicher nicht weniger. Weiterhin hin um größten Bildschirm, lautet die Devise, warum nicht mit dem Zitat aus Ferris Bueller’s Day Off (1986, R: John Hughes; im „Kino wie noch nie“), wo der junge Matthew Broderick schelmisch mahnt: „Life moves pretty fast. If you don’t stop and look around once in a while, you could miss it.“ Passt doch zur Zukunft des Kinos: Schauen wir, dann wird es weitergehen.