ray Filmmagazin » Literatur » Geilheit vom Keller bis zum Dach

Pornoland Österreich – Geilheit vom Keller bis zum Dach

Geilheit vom Keller bis zum Dach

| Fabian Burstein |

Die USA gelten gemeinhin als Wiege des pornografischen Hardcore. Doch die Sex-Industrie ist nicht nur jenseits des Atlantiks im berüchtigten San Fernando Valley zu Hause – Pornoland blüht auch zwischen Boden- und Neusiedlersee, mitten im beschaulichen Österreich. Ein Abenteuerbericht von Bratislava bis Bad Ischl.

Werbung

„Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“ Wenn das Buch Genesis über die Vollkommenheit des Paradieses reflektiert, darf auch nicht die Nacktheit von Adam und Eva fehlen. Genauso wie die neu erschaffenen Tiere und der verhängnisvolle „Baum der Erkenntnis“ gehören die beiden Ur-Nudisten zum fixen Inventar des Garten Eden. Nacktheit als Synonym für Unschuld und Glück – glaubt man an diese Metapher, wäre das moderne Gebäude im kleinen Sulzbach nahe der biederen Kurstadt Bad Ischl an diesem verregneten Mai-Montag der Himmel auf Erden. Nackte Menschen, wohin das Auge reicht, ungeniert und ohne Anstalten, die Lenden auch nur irgendwie zu verdecken. Doch irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass hier biblische Assoziationen fehl am Platz sind. Männer sitzen erschöpft in einem improvisierten Schminkraum und rubbeln konzentriert an ihren Geschlechtsteilen, eine eben noch stöhnende Blondine sucht hektisch nach einer Tube Gleitgel, und zwei bekleidete Mädchen bereiten sich innig küssend auf herannahende Aufgaben vor. Das Paradies heißt heute Porno-Set, die Schöpfung beschränkt sich diesmal auf eine Produktion mit der deutschen Star-Darstellerin Vivian Schmitt. Und über all dem wacht gütig Thomas Janisch, Besitzer des österreichischen Erotik-Imperiums ÖKM.

Für Janisch begann das Geschäft mit der Erotik im zarten Alter von 18 Jahren. Der Vater hatte wenige Jahre zuvor die Zeitschrift ÖKM (Österreichisches Kontakt Magazin) gegründet, heute wie damals ein Sammelsurium für sexuelle Pikanterien made in Bad Ischl. Die Auflage beträgt mittlerweile 50.000 Stück, weitere Print-Titel ergänzen das mehrsprachige Erotik-Portfolio. „Man wächst einfach rein“, meint Thomas Janisch heute über seine ersten Schritte im Verlag. Ob er damit die Schuhe seines Vaters, die Provinzialität der Umgebung oder aber das harte Business meint? Man weiß es nicht so genau. Janisch ist kein Mann der großen Worte. Ruhig und unauffällig streunt er durch sein kleines, von Bauernhöfen umzingeltes Imperium, ohne dem wilden Treiben in den ÖKM-Gefilden wirklich Beachtung zu schenken. Poster mit nackten Frauen findet man nur in den repräsentativen Räumlichkeiten des Empfangs – schließlich heißt es nicht umsonst „Nomen est Omen“. Wenn schon nicht der Chef das Image des immergeilen Porno-Hengstes verkörpert, dann wenigstens der öffentlich zugängliche Teil des Büros. Ein Interview gibt’s deshalb auch auf der rosa Couch oberhalb des ÖKM-Schauraums. Dort wird das Ambiente dann so pornolike, dass man die helle Stelle auf der Sitzbank glatt für einen getrockneten Sperma-Fleck hält. Feuchten Träumen wirkt der österreichische Erotik-King mit trockenen Analysen entgegen: „Pro Jahr kommen im deutschsprachigen Raum an die 10.000 Titel heraus. Die wirtschaftliche Situation ist dadurch nicht einfacher geworden: Immer mehr Produzenten treten auf den Plan, weil die Einstiegsschwelle viel niedriger ist als noch vor 15 Jahren. Mit einer Videokamera um 2.000 Euro kann man schon verkaufsfähige Filme produzieren.“ Emotional wird der kühle Rechner Janisch nur, wenn’s gegen seine Einkommensgrundlage, die Porno-Darsteller, geht: „Diese Menschen machen nichts Schlechtes. Sie haben Sex so wie du ich, nur vor einer Kamera. Und sie haben verdammt guten Sex.“ Irgendwie würde dieses kraftvoll hingerotzte Bekenntnis bei Hugh Hefner etwas authentischer rüberkommen. Dafür sind Janisch’s Mitarbeiter keine stupiden Häschen und der Umgang in der ÖKM-Zentrale alles andere als anlassig. Gerade weil die Playboy-Mansion in jederlei Hinsicht Tausende Kilometer weit entfernt vom beschaulichen Bad Ischl ist, mögen die rund 20 Angestellten ihren Boss.

Bei ÖKM „lässt man es so richtig geil krachen“

Etwas kosmopolitischer geht es da schon beim deutschen Label Videorama zu. Der Erotik-Gigant ist mit seinem Aushängeschild Vivian Schmitt in der Zentrale von ÖKM zu Gast, um einen Pornofilm inmitten der österreichischen Berge zu drehen. Die Skurrilität dieses Settings manifestiert sich spätes-tens bei der Ankunft am Biedermeier-Bahnhof von Bad Ischl. Eine Gruppe Japaner beobachtet paralysiert die nahe gelegene Touristeninformation. Grund dafür ist nicht der etwas ländlich geratene Innovationsgeist der rührig ausgetüftelten Glasfront – der Schriftzug „Kurverwaltung“ hat es den asiatischen Gäs-ten angetan. Aufgeregt und in epischer Breite intoniert der Fremdenführer das unbekannte Wort. Kein Wunder, bringt es doch die zuckersüße Idylle des Ischler Fremdenverkehrs auf den Punkt. „Kur-ver-wal-tung“. Monarchische Administra-tionsfloskel meets pensionistenaffines Tourismus-Aufkommen. Doch auch Sissi hatte schon mit Geschlechtskrankheiten zu kämpfen. Das „Schmutzige“ hinter der glatten Fassade ist wohl auch der Grund, warum Videorama in Ischl absteigt. Nirgendwo ist man der Essenz des eigenen Erfolges so nahe wie hier, unter gutbürgerlichen Rheumageplagten und Kaiser-Nostalgikern.

Weil allzu drastische Widersprüche manchmal Angst machen, hat ÖKM sein Hauptquartier etwas außerhalb der Kurstadt angesiedelt.

„Sulzbach 194“, sage ich zum Taxi-Fahrer. Verständnisloser Gesichtsausdruck. „Zu ÖKM“. Wissendes Grinsen. Dann geht die Fahrt los. In den verschwörerischen Blicken, die mir der Lenker während der Fahrt durch den Rückspiegel zuwirft, erkenne ich schon eine Vorahnung dessen, was die Homepage des Verlages später folgendermaßen beschreibt: „Geilheit herrschte vom Keller bis zum Dach, und auch der vom ÖKM entdeckte und mittlerweile zum Superstar avancierte Mick Blue sorgte mit seinem dicken Riemen für laute Lustschreie bei den heißen Pornogirls.“ Beim Aussteigen spüre ich förmlich den Neid des Taxi-Fahrers. Er ahnt schließlich nicht, dass sich die blumig beschriebe Hingabe nur auf die mechanische Realisierung verschiedenster Sexualpraktiken bezieht. Ansonsten wird das „Produkt“ wie bei einem sterilen Werbeset zuerst in Position gebracht. Es dominiert homogene Bräune und durchtrainierte Muskelmasse. „Der Anschnitt passt noch nicht“, „das Bein ist im Weg“, „geh in die Totale“ – was wie die dramaturgisch korrekte Inszenierung von Merkur-Grillfleisch klingt, ist in Wahrheit die erotische Essenz eines effektiven Pornodrehs. Statt dem Food-Designer werkt halt ein Visagist. Und das viele Fleisch kriegt manchmal auch einen Krampf. Ansonsten erinnert wenig an den menschlichen Zug des „Liebemachens“.

Zu guter Letzt fehlt nur noch eines: „Und jetzt mit Ton“, brüllt der Regisseur.

Das bedeutet für die Darsteller: Grunzen, was das Zeug hält, gepaart mit ein bisschen „Dirty Talking“ und endlos gestreckten „Jaaaaa“-Rufen. ÖKM wird nachher berichten, dass „selbst dem Hardcore erprobten Kameramann beinahe die Spucke wegblieb“. Ähnlich ergeht es auch dem deutschen Tonmann. Ihn wirft allerdings nicht die Performance der standfesten Darsteller aus der Bahn, sondern vielmehr die allgemeine Einseitigkeit der Gesprächsthemen: „Wo bin ich da hingeraten“, echauffiert sich der ehemalige Ein-Euro-Jobber, „hier wird nur übers Poppen, Ständer und Ähnliches geredet. Das haben sie mir am Arbeitsamt nicht gesagt.“ Eine Erfahrung, die mittlerweile viele Brancheneinsteiger machen. Denn das Bild des schmierigen Zuhälters mit pornografischem Nebenverdienst ist längst passé. Porno ist kommerzieller Mainstream – und das schlägt sich auch bei den Crew-Mitgliedern nieder.

Dem Arbeiter vom Nebengrundstück sind solche Entwicklungen derweil egal. Er kann sein Glück über die transparente Fassade des ÖKM-Gebäudes und die Lage seines Einsatzgebietes gar nicht glauben. Langsam tuckelt er im 10-Minuten-Takt vorbei, den Blick starr auf das unwirkliche Treiben rund um die rote Designer-Couch gerichtet. Fast möchte man glauben, er stellt gleich seine Baumaschine ab, um sich selbst ins Getümmel zu werfen. Die Anrainer mögen halt „ihr“ ÖKM – natürlich nur wegen der sicheren Arbeitsplätze.

„Letztlich ist es immer ein Beruf“

Nirgendwo ist Bad Ischl so weit entfernt wie in den Plattenbausiedlungen von Bratislava. Abgelebter Beton ersetzt die grüne Idylle und auch die slowakischen Grenzbeamten demonstrieren vom Haarschnitt bis zum Tonfall, dass hier Tris- tesse einfach zum Programm gehört. So gesehen ist man gut vorbereitet, wenn der Zug in den bunkerhaften Hauptbahnhof von Bratislava einfährt.

Eigentlich wollten wir Mick Blue ja in Budapest treffen. Doch der geplante Dreh musste verschoben werden. Eine Darstellerin war aufgrund ihrer Vagina indisponiert. Das kommt vor. Schließlich wird in Europa nur auf HIV und Hepatitis C getestet.

Kurzerhand verlegen wir das Gespräch mit dem österreichischen Porno-Star in die Heimatstadt seiner Freundin. Mick Blue erkennt man in der geschäftigen Wartehalle des Bahnhofes auf einen Blick. Mit seinem muskulösen Körperbau, den vollen Lippen und einem aprikosefarbenen Poloshirt verkörpert er zu 100% das Bild des virilen Sexmaniacs.

Das Wetter ist leider schlecht. Deshalb müssen wir den Wunsch der Fotografin, Mick vor einer fleischigen Magnolie abzulichten, leider hintanstellen – ganz abgesehen davon, dass es wahrscheinlich in ganz Bratislava keine Magnolien gibt.

Stattdessen steuern wir ein Einkaufscenter an. Auf der Rückbank von Mick Blues Auto liegt der aktuelle Playboy. Eigentlich ist das klischeehaft, dennoch wirkt es bei ihm nicht aufgesetzt. Der Mann hat Spaß an dem, was er tut, und trägt diese Grundeinstellung selbstbewusst nach außen. Wir reden über eine Preisverleihung der Erotik-Szene, die der Branchen-Star nicht goutiert.

„Also eine Farce“, versuche ich seine Erzählungen zusammenzufassen.

„Ich würde eher sagen: Ein Affenzirkus! Schließlich bin ich nur Pornodarsteller“, lächelt mich Mick an. Ich komme mir vor wie ein gespreitzter Möchtegern-Intellektueller.

In einem kleinen Lokal, das slowakische, mexikanische, italienische und undefinierbare Spezialitäten unter bekannten Schauspielernamen („Hugh Grant-Teller“) anbietet, möchte ich dann ein paar Details über die Branche hören.

Mick Blue kennt das Geschäft mit dem Sex schließlich wie kein anderer. Als einziger männlicher Pornostar Österreichs jettet der Grazer durch die ganze Welt, um für die renommiertesten Produktionen der Szene zu arbeiten. Vor allem in den USA schätzt man die Dienste der „steirischen Eichel“ (© Falter).

Dort haben Unternehmen wie Vivid und Digital Playground vorgemacht, dass sich mit der professionellen Vermarktung von Pornografie ein lukratives Geschäft abseits des Undergrounds machen lässt. Die Zeiten, in denen sich Produktionen ihre fetten Erlöse durch unseriöse Geschäftspraktiken gefährden lassen, sind, zumindest im Mainstream-Porno, vorbei. „Geschäft kann ich nur machen, wenn ich gesetzeskonform arbeite, ansonsten sitze ich eh nach ein paar Monaten im Gefängnis – nur Verrückte wollen das“, hat mich schon Thomas Janisch über die Philosophie der modernen Erotik-Branche aufgeklärt. Nachsatz: „Die Kriminellen im Zusammenhang mit Pornografie sind in erster Linie Lehrer, Pädagogen und Priester, die sich Kinderpornos runterladen.“

Mick Blue sieht das ganz ähnlich: „ Porno und Mainstream-Film bauen eine Brücke und es wird sich zeigen, wer schneller das andere Ufer erreicht.“

Dann kommt die Eispalatschinke mit viel Schlagobers und wir reden über andere Dinge. Schließlich möchte ich doch noch wissen, wie das so ist, mit der Brutalisierung des Porno-Marktes, die sich vor allem in der extremen Unterwerfung der weiblichen Darsteller niederschlägt. Man merkt, dass Mick Blue diese Frage nervt. Die stahlblauen Augen, Inspiration für seinen pornotypischen Künstlernamen, fixieren mich, das gute Gesprächsklima kühlt kurzfristig ein wenig ab. Das ist durchaus sympathisch. Denn Mick Blue möchte offenbar nicht in diesem Teich fischen: „Ich muss echt nicht sehen, wie eine Frau eine Watschen kriegt oder gewürgt wird. Bei der Firma, wo ich tätig bin, habe ich die Auflage, nichts zu machen, was irgendwie‚ violent ist. Wir glauben, dass der Mittelweg besser ist, als die massive Degradierung der Frauen, weil hier nur eine Nische bedient wird“, klärt er mich über sein Tagesgeschäft auf. Als echter Softie erweist sich der österreichische Darsteller bei der Beschreibung seiner Arbeitsmethoden: „Gute Darsteller respektieren eine Frau. Aus psychologischer Sicht ist es dann leichter zu drehen und die Szene kommt umso realer rüber. Das heißt: 50% harter Penis – 50% Know-how und Psychologie.“

Am Set in Bad Ischl geht’s dann doch ein bisschen weniger schöngeistig zu. Gemeinsam mit dem eher unbekannten Österreicher Markus Waxenegger „tobt sich der heimische Superstecher während einer Doppeldecker-Szene in der herrlichen Pussy und dem prächtigen Arsch“ von Vivian Schmitt aus. Die Anwesenheit eines Journalisten stört beim Dreh keinen. Schließlich ist man es gewohnt, vor Wildfremden zu arbeiten. Auch in den Pausen geht es eher leger zu: Vivian Schmitt sagt nackt „Hallo“, Markus Waxenegger forciert manuell seine Standhaftigkeit, und mittendrin bereitet ein Visagist andere Darsteller auf ihren Einsatz vor. Alles ist sichtbar und dennoch unecht. Der prognostizierte Schock ob so viel tabuloser und verrohter Sexualität bleibt aus. Zu professionell ist die Abwicklung, zu selbstverständlich das Zusammenspiel des Teams, zu stringent das Image der Darsteller. Keiner fällt aus der Rolle, darum wird auch rund um den Dreh nur über Sex gesprochen. Lediglich das Finale der Szene hat einen Hauch von Authentizität und findet deshalb auch ganz verschämt vor verschlossenen Türen statt. Schließlich soll der Orgasmus der Darsteller, in der Pornowelt „Cum-Shot“ genannt, planmäßig über die Bühne gehen. Bei der Ejakulation in den Mund oder auf die Brust der Darstellerin darf wirklich nichts schief gehen – gilt doch das klar erkennbare „Abspritzen“ als ultimativer Beweis für den Endverbraucher, dass wirklich alles im Namen der hemmungslosen Erregung stattgefunden hat. Laut Mick Blue muss ein echter Star gerade hier unbedingt bestehen: „Wenn der Regisseur genug hat, solltest du in der Lage sein, in den nächsten fünf Minuten zu kommen – denn für diese Professionalität wirst du bezahlt.“

Inside Renee Ponero

Bezahlt wird in Bad Ischl auch die Performance von Renee Pornero. Die gebürtige Grazerin komplettiert die Austro-Phalanx und bereitet sich während der schweißtreibenden Arbeit ihrer österreichischen Kollegen auf eine Szene mit dem Schweizer Warren vor, dem unter dem Pseudonym Will Steiger eine große Karriere im Porno-Biz prophezeit wird.

Renee Pornero ist in vielerlei Hinsicht eine interessante Protagonistin der Szene. Mit ihren 26 Jahren hat sie mehr als 200 Filme gedreht, die vor allem aufgrund der ausgefallenen Analszenen Bewunderung in der Porno-Community genießen. Wir treffen uns das erste Mal in einer Pizzeria. Trotz der formlosen Zusammenkunft beweisen hochhackige Stiefel und aufreizende Kleidung, dass Renee den Faktor „Image“ sehr hoch bewertet. Nicht umsonst ist sie der Darling von Wiener und Co., die gerne mal ein laszives Foto oder eine kleine Reportage über das österreichische Starlet bringen.

Renee ist meine allererste Berührung mit der Branche. Dementsprechend überfordert bin ich mit den ungezwungenen Erzählungen über ausgefallenen Verkehr, Geschlechtskrankheiten und Sexspielzeug. Mühsam winde ich mich zwischen investigativen Fragen, pseudowissendem Gehabe und blankem Entsetzen. Noch spielt Renee mit mir, etabliert ihre Rolle als tabulose Sexgöttin, die in den extremsten Genres der Porno-Welt – von „Double-Anal-Penetration“ bis Fetisch – mitmischt.

Irgendwann scheint ihr klar zu werden, dass ich weder ein ATV-Reporter auf Quotenjagd noch ein Notgeiler mit journalistischem Vorwand bin. Ab diesem Zeitpunkt kommt Leben in die kokettierenden Erzähl-Schablonen, die sich schon so oft im Umgang mit Medien bewährt, aber nie wirklich Einblick gegeben haben. Intelligenz, Ironie und Selbstreflexion erobern das Gesprächszenario – mir sitzt neben Renee Pornero auch noch jene Person gegenüber, deren Vorname ich hier nicht schreiben darf.

In unseren weiteren Gesprächen wird es immer wieder dieses Hin und Her geben. In vertrauensvollen Momenten kommen Erzählungen wie „Ich hatte mal eine Szene mit zwei Männern, die dermaßen brutal war, dass ich Angst hatte, die tun mir etwas. Wie ich ‚Cut’ geschrien und zum Weinen angefangen habe, ist die Kamerafrau zu mir gekommen und hat mein Gesicht aufgenommen. Sie meinte: ‚Ja das ist gut. Mach weiter.’ Und ich habe mir nur gedacht: Ihr seid’s alle wahnsinnig.“ Dann reden wir wieder über das Geschäft, über Renees zweites Standbein als Webdesignerin und die eigenen Filmprojekte, von denen einige kurz vor der Realisierung stehen.

In einem sind sich die beiden Welten mittlerweile einig: Die Nähe zur Erotik-Branche möchte Renee Pornero nie ganz ablegen. „Weil ich mir schon einen Namen aufgebaut habe und diesen auch nutzen möchte, wenn ich schon Österreichs einzige Darstellerin bin. Mich stört nur, wenn ich mich die ganze Zeit rechtfertigen oder die Erwartungen anderer erfüllen muss.“

Schon in der Schulzeit posierte sie für Hardcore-Aufnahmen. Über eine Gogo-Bar mit Live Pärchen-Show ging es dann 2001 direkt in die Branche. Renee Porneros Freund begleitete die ersten Schritte, wenngleich die neue Profession für beide nicht einfach war. „Er hat gesehen, was ich vor der Kamera so tue, und wollte das privat dann auch von mir. Ich hatte aber ein Problem mit dieser Inszenierung und wollte nicht, dass mir auch noch privat jemand sagt, wie ich Sex haben soll.“ Mick Blue kennt ebenfalls die Partnerschaftsprobleme eines Porno-darstellers. Sein Resümee fällt dennoch positiv aus: „Das Beziehungsleben ist nicht einfach, weil es eben sexuellen Kontakt mit anderen Frauen gibt. Aber es findet sich doch immer ein Weg, Vereinbarungen zu treffen, mit denen es funktioniert.“

Gut funktionieren dürfte es auch zwischen dem „Schweizer Junghengst“ Will Steiger und seiner pornografisch versierten Nebendarsteller-Freundin. Auf der Terrasse des ÖKM-Hauptquartiers stehen die beiden cirka 20 Zentimeter vor mir, massieren ihre erogenen Körperregionen und tauschen leidenschaftliche Zungenküsse aus. Renee Pornero gesellt sich zu mir. Ich bin froh, dass sie heute auch dabei ist und mit mir abseits des Geilheits-Fakes plaudert. Irgendwie merkt man an ihrem Styling, dass sie der Porno-Welt schon ein bisschen entwachsen ist. Anstatt neonfarbener Netz-Teilchen darf sie stilis-tische Qualitätsware tragen – ein echtes Privileg, das durch die freie Wahl ihres Szenenpartners noch aufgefettet wird. Wie ich so betreten vor Will und seiner Freundin stehe, tue ich Renee wohl Leid. Sie weiß, was die beiden zu dieser kleinen Privatshow bewegt. „Pornodarsteller haben ein Aufmerksamkeitsdefizit“, erklärt sie mir tröstend.

Trotzdem oder gerade deshalb würde man dem unverbrauchten Will und seiner jungen Kusspartnerin gerne zuraunen, dass manchmal auch ein keusches Feigenblatt Charme haben kann.

Porno-Literatur

„Pornoland“ von Stefano De Luigi
Gemeinsam mit dem Journalisten Martin Amis hat der italienische Fotograf Stefano De Luigi einen Bildband veröffentlicht, der abseits moralisierender Betrachtungen einen faszinierenden Einblick in die Tabu-Welt Porno gibt. Ohne jemals eine explizite Abbildung zu instrumentalisieren, manifestiert sich durch De Luigis Bilder die Verrohung der Porno-Industrie. Als stiller Beobachter offenbart er einen Lebensstil, der irgendwo zwischen „extrem interessant“ und „extrem abstoßend“ angesiedelt ist.

 

„XXX – 30 Porno-Stars im Porträt“ von Timothy Greenfield-Sanders
Während Terry Richardson in seinen Fotoarbeiten zum Thema Pornografie eher artificial ist, baut dieser Band auf Reduktion und Einfachheit. Zwei Fotos nebeneinander, einmal „zivil“ und einmal nackt, von Superstar Jenna Jameson bis Porno-Opa Ron Jeremy – quasi ein pornografischer Kunst-Gonzo. Texte von Lou Reed, John Malkovich und Salman Rushdie machen das Buch nicht nur sehens- sondern auch lesenswert.