ray Filmmagazin » Filmfestivals » Fräulein- und andere Wunder

Sarajewo Filmfestival – Fräulein- und andere Wunder

Fräulein- und andere Wunder

| Duško Dimitrovski |

Das gut besuchte Sarajewo Film Festival stellte in der zwölften Auflage vergangenen August seine Bedeutung in Südosteuropa nachdrücklich unter Beweis.

Werbung

Gezeigt wurden 165 Lang- und Kurzfilme, im Programm waren Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme, die mehr als tausend Gäste, Journalisten, Künstler und Politiker aus der ganzen Welt anzogen.

So konnten unter anderen die  Regisseure Mike Leigh, Abel Ferrara und Béla Tarr und die Schauspieler Nick Nolte, Emily Watson und Valeria Golino in Sarajewo begrüßt werden. Mike Leigh hatte das Festival bereits öfter besucht und wurde dieses Jahr mit dem „Herz von Sarajewo“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Highlights des Festivals waren etwa die Tributes an den amerikanischen Regisseur Abel Ferrara und an den ungarischen Filmemacher Béla Tarr. Sie boten die Möglichkeit, beinahe schon klassische und auch äußerst rare Werke dieser beiden unabhängigen Regisseure zu sehen. Gezeigt wurden u.a. Ferraras The Hold Up (1972), Could This Be Love? (1973), Ms. 45 (1981), King of New York (1990), The Funeral (1996), Bad Lieutenant (1992) und Mary (2005), sowie Tarrs kompromisslose avantgardistische Werke Damnation (Kárhozat, 1988) , Family Nest (Családi tüzfészek, 1979), Hotel Magnezit (1978), Macbeth (1982), City Life (1990), Prologue (2004) und natürlich sein Opus Magnum Sátántangó (1994) – in beinahe sieben Stunden zeigt dieser Film auf visuell sehr expressive Weise die Zerstörung einer landwirtschaftlichen Gemeinde im heutigen Ungarn.

Das Festival zeigte aber auch, dass es immer mehr Koproduktionen zwischen verschiedenen Ländern der Region gibt, nicht zuletzt dank einer Förderungsinitative des Sarajevo Film Festivals namens CineLink. Diese Initiative unterstützt die Produktion von Spielfilmen, die sowohl künstlerischen Anspruch haben als auch finanziellen Erfolg versprechen und einen internationalen Vertrieb finden sollen. Dieses Jahr werden drei Projekte unterstützt: Nedžad Begovi´cs The Day When the Winter Began (Bosnien und Herzegowina), Bogdan Mustatas und Catalin Mitulescus A Heart Shaped Ballon aus Rumänien und Blaz Kutins Lara aus Slowenien. Weiters wird ein Stipendium vergeben, es geht an Mirolsav Mogorovi´c aus Serbien, der bereits den Film From Belgrade With Love produziert hat. Die Wiener Firma Synchro Film & Video ermöglicht den drei Projekten gratis die Postproduktion ihrer Filme im Wert von je 2.500 Euro. Eine Zusammenarbeit mit den Filmfonds Wien und der Filmförderung Baden-Württemberg wurde angekündigt.

Der Hauptpreis der Jury unter dem Vorsitz von Jasmila Zbanic, der Regisseurin des Filmes Grbavica, ging zu Recht an Andrea Staka Gospodjica (Das Fräulein), eine Koproduktion zwischen Bosnien und Herzegowina, Deutschland und der Schweiz. Staka erzählt die Geschichte dreier Frauen (Mirjana Karanovi´c, Marija Skari´ci´c und Ljubica Jovi´c) aus verschiedenen Generationen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen, eine aus Serbien, eine aus Bosnien und Herzegowina und eine aus Kroatien, und nun als Gastarbeiterinnen in der Schweiz leben. Die Frauen sind mit ihrem Leben gleich unzufrieden, aber diese Unzufriedenheit drückt sich auf verschiedene Weise aus. Alle drei warten auf eine Veränderung ihrer Situation, die allerdings nicht eintrifft. Trotz eines kleinen Drehbuchfehlers erhielt Gospodjica wegen der hervorragenden schauspielerischen Leistungen der Hauptdarstellerinnen den Preis als bester Film der Region. Der Film ist der Debütfilm von Regisseurin Andrea Staka, er wurde zuletzt schon in Locarno ausgezeichnet: „Gospodjica ist ein sehr persönlicher Film, der sich mit meinen beiden Welten befasst. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, habe dort eine wunderbare, ruhige Kindheit verbracht, dennoch ist das ehemalige Jugoslawien die Heimat meiner Familie. Meine Eltern stammen aus Bosnien und Kroatien.
Als in den 90er Jahren der Krieg ausbracht, hat sich ihr Leben verändert. Ich musste hilflos zusehen, wie meine Familie davon betroffen war. Der Film wirft einen intimen Blick in das Leben dreier moderner Frauen, die nun in der Schweiz leben, und aus verschiedenen Regionen stammen, die nicht mehr existieren. Ich wollte die Entwurzelung in unserer Gegenwart erkunden, in der sich immer mehr Menschen wie Flüchtlinge zwischen den Kulturen bewegen, wie Wanderer, oder einfach heimatlose Menschen“, betont die Regisseurin.

Als bedeutendste Filme der Region, die beim Sarajewo Film Festival 2006 gezeigt wurden, müssen folgende besonders hervorgehoben werden: aus Rumänien 12:08 East of Bucharest von Corneli Porumbouia und Paper Will Be Blue von Radu Muntean, sowie Sve dzaba (Alles kostenlos) von Anton Nuic und Put lubenica (Der Weg der Wassermelone) von Branko Schmidt aus Kroatien. 12:08 East of Bucharest erinnert in sehr minimalistischer Sprache und mit visuellen Effekten an die letzten Tage des rumänischen Diktators Ceausescu. Das ganze Land beobachtete an den Fernsehgeräten, wie die aufgebrachte Menge  Ceausescu zwang, mit dem Hubschrauber aus Bukarest zu fliehen. In einer ruhigen Stadt östlich der Hauptstadt, 16 Jahre nach dem historischen Tag, lädt der Besitzer eines lokalen Fernsehsenders zwei Gäste dazu ein, sich an diese Momente des revolutionären Ruhmes zu erinnern.  Die Live-Sendung zeigt jedoch, dass die Protagonisten weniger Helden als Opportunisten waren, die erst auf die Straße gingen, als sich die dramatischen Ereignisse in Bukarest bereits abzeichneten. Der junge Regisseur verbindet auf gekonnte Weise die beiden Medien Film und Fernsehen, arbeitet ihre Gemeinsamkeiten, aber auch ihre Unterschiede heraus. Auch Paper Will Be Blue befasst sich auf semi-dokumentarische Weise in sehr dunklen Farben mit dem Zerfall des Ceausescu-Regimes. Die beiden kroatischen Filme handeln auf unterschiedliche Weise (intim bei Nuic, klassisch bei Schmidt) vom Krieg im Nachbarland Bosnien und Herzegowina, was sie aber gemeinsam haben, ist ihre Vitalität und ihre formale Korrektheit.