Der gefeierte deutsche Schauspieler Sebastian Koch über seinen neuen Film „Werk ohne Autor“, über die Zusammenarbeit mit Florian Henckel von Donnersmarck und über Machtmenschen.
Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der DDR erzählt Florian Henckel von Donnersmarck in seinem jüngsten Werk aus dem bewegten Leben eines Künstlers namens Kurt. Die Handlung orientiert sich am Werdegang des Dresdner Malers Gerhard Richter, der mit dem Sozialistischen Realismus haderte und unter dem Einfluss von Düsseldorfer Avantgardisten wie Joseph Beuys seinen persönlichen Stil fand. Aufwühlend wird das Zeitpanorama vor allem aber über Kurts Konfrontation mit seinem eiskalten Schwiegervater Professor Seeband. Dieser hat als Gynäkologe viele Frauen sterilisiert oder ermordet, deren Leben die Nazis aufgrund von Behinderungen oder Schizophrenie als „wertlos“ erachteten, darunter auch Kurts Tante.
Sebastian Koch, der mit dem Regisseur schon bei Das Leben der Anderen zusammenarbeitete, spielt diesen teuflischen Mann, der in seinem ideologischen Eifer sogar massiv in das Liebesleben seiner Tochter eingreift und am Ende im Angesicht von Kurts wahrhaftigen Porträts aus dem Gleichgewicht gerät. Im In- wie im Ausland zählt Koch zu den besten und interessantesten deutschen Schauspielerpersönlichkeiten seiner Generation. Dank des großen Erfolgs des oscarprämierten Stasi-Dramas ist er zunehmend auch in englischsprachigen Produktionen gefragt, für Steven Spielberg stand er im Spionage-Drama Bridge of Spies vor der Kamera.
Interview Sebastian Koch
Herr Koch, nicht jeder Leinwand-Darsteller hat auch eine Schauspielschule besucht. Sie aber schon, und Sie haben Ihre Anfänge am Theater gemacht. Wie kamen Sie zum Film und warum sieht man Sie nicht mehr im Theater?
Sebastian Koch: Ich war in der Tat ein absoluter Theaterfreund, Theater war für mich das Wichtigste der Welt, als ich von der Schauspielschule kam. Ich fühlte mich da aufgehoben wie in einer Familie, und das kontinuierliche Miteinander-Arbeiten hat mir viel bedeutet. Filmrollen habe ich anfangs nur zur Aufbesserung meiner Gage angenommen. Das „Familientheater“ mit so großen Theatermenschen wie Peter Zadek und Peter Stein hat sich jedoch Anfang der 90er Jahre leider verloren. Nach der Wende hatte Berlin plötzlich acht renommierte Häuser, und es entbrannte ein lästiger Konkurrenzkampf. Ich war am Schillertheater, und es war nicht mehr das, was ich wollte. Dieses intensive Arbeiten, das ich im Theater nicht mehr hatte, habe ich dann im Film gesucht und das Glück gehabt, dass ich relativ früh großen Regisseuren wie Peter Schultze Rohr oder Heinrich Breloer begegnet bin.
Sie waren in „Todesspiel“ Andreas Baader.
Sebastian Koch: Das war eine relativ kleine, aber wichtige Rolle, sie beanspruchte nur sechs Drehtage. Ich hatte mich aber sehr aufwändig darauf vorbereitet, Andreas Baader ist eine sehr kontroverse Figur. Das war einer der ersten historischen Zweiteiler, die sich mit der jungen BRD und der RAF befasst haben. Kein Mensch hat sich damals so etwas zu produzieren getraut. Geschichte als Fiction, als Entertainment war noch tabu – keiner hat so richtig daran geglaubt. Erst nach dem für damalige Verhältnisse sensationellen Erfolg von vier oder fünf Millionen Zuschauern haben auch andere Produzenten den Mut bekommen, loszulegen und dieses Neuland zu betreten. Mit Heinrich Breloer begann daraufhin eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Nach Todesspiel kamen Die Manns, dann Speer und Er. Mir gefiel die Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der er zu Werke ging und dieses immense politische Interesse und Wissen. Todesspiel über die Terroranschläge im Deutschen Herbst finde ich bis heute einen seiner besten Filme.
Sie haben nicht nur Andreas Baader verkörpert, sondern auch zahlreiche andere bedeutende Figuren der Zeitgeschichte, Klaus Mann, Albert Speer, Graf von Stauffenberg. Wen würden Sie noch gerne spielen?
Sebastian Koch: Mich hat das eher immer irritiert, Biografien nachzuerzählen, weil man doch immer eine Vorlage hat, die man zwar interpretieren kann, aber die im Großen und Ganzen doch festgelegt ist. Eine Figur frei zu erfinden, macht einfach mehr Spaß und ist doch sehr viel phantasievoller in meiner Arbeit als Schauspieler.
In „Werk ohne Autor“ spielen Sie einen mörderischen Arzt, der inspiriert ist durch ein reales Vorbild. Aber an diesen Heinrich Eufinger würde sich vermutlich kaum jemand erinnern, wenn sein Name nicht im Zusammenhang mit der tragischen Familiengeschichte Gerhard Richters aufgetaucht wäre. Wie bedeutsam war für Sie die Auseinandersetzung mit dieser Biografie?
Sebastian Koch: Wie Sie sagen, ist die Figur, die ich spiele, nur inspiriert durch Eufinger, es gibt aber natürlich auch andere Inspirationsquellen für diesen Seeband-Charakter, gleichwohl habe ich mich mit ihm sehr beschäftigt. Es hat mich aber nicht interessiert, ihn zu kopieren oder gar so auszusehen wie er. Letztlich konnte ich die Figur mit dem Regisseur, den ich sehr schätze, selber entwickeln, vor allem auch die äußere Erscheinung. Professor Seeband tritt stets sehr akkurat auf – keine Falte im Anzug, überkorrekte Haltung, strenger Scheitel.
Auf dem Porträt, das der Maler Kurt von ihm am Ende macht, sieht dieser Professor Seeband diabolisch aus. Wie böse ist dieser Mann?
Sebastian Koch: Er ist schon ein ziemlich bösartiger Zeitgenosse. Um ihn aber zu beschreiben, würde ich ihn vielmehr als sehr streng bezeichnen. Die Strenge und das Streng-mit-sich-selber-und-Anderen- Sein entspringt einer Ideologie, die viel mit Macht, Dominanz und Kontrolle zu tun hat. Gefühl, Empathie, Wärme, Intuition – das sind alles Wörter, die er aus seinem Leben verbannt hat. Vermutlich hat er selber als Kind so etwas nie erlebt. Eine protestantisch-calvinistische Erziehung – Hände auf die Bettdecke, kalte Duschen und eiserne Disziplin waren wichtiger als Umarmungen oder verständnisvolle Worte. Mit 16 bis 18 Jahren sind diese Jungs euphorisch in den Krieg gezogen mit dieser Ernst-Jünger-Romantik im Gepäck, und dann liegen sie da im Schützengraben, aller Hoffnung beraubt, von schrecklichem Tod und unendlichem Leid umgeben. Sie sind von wollenden Siegern zu Opfern geworden. Ich glaube, das könnte ein Wendepunkt gewesen sein, an dem ein Charakter wie Seeband sich geschworen hat, niemandem jemals mehr Macht über sich zu geben. Das ist eine Entscheidung, die sehr einsam macht und Konsequenzen hat.
Muss man sich, um so einen eiskalten Mann überzeugend darzustellen, mit ihm identifizieren oder reicht eine scharfsichtige Analyse, wie Sie sie eben gegeben haben?
Sebastian Koch: Ich muss Seebands Gedankenwelt verstehen. Bei ihm ist kein Halbsatz zu viel. Er trägt sich beim Reden mit keinen Gedanken rum. Bei ihm ist alles ganz zielgerichtet, ökonomisch. Sprache benutzt er als Waffe, er kann sein Gegenüber damit vernichten. Jedes Wort sitzt. Er weiß wie ein Schachspieler genau, wie der andere reagiert, ist schon zwei, drei Schritte voraus und hat eine absolute Kontrolle über sich, über die anderen, über die Situation. Wenn Seeband einen Raum betritt, sinkt die Temperatur um zwei Grad, man weiß, dass er da ist.
An einer Stelle, wo Seeband der Frau des Kommunisten bei der Geburt hilft, fragt der Russe ihn, warum er das tut. Er antwortet: „Weil ich es kann.“ Eine ehrliche Antwort oder reines Kalkül?
Sebastian Koch: Beides. Eine ehrliche Antwort, weil er es wirklich kann und dieses Leben retten will, aber auch absolutes Kalkül, weil sich ihm dadurch die Chance bietet, sein eigenes Leben zu retten. Das ist ein tolles Beispiel, an dem man Seebands Charakter wunderbar festmachen kann. Gehen wir nochmal in den Schützengraben zurück. Dieser Mann würde nie aufgeben, sich bis zum letzten Moment nicht damit abfinden zu verbluten. So etwas gibt es für ihn nicht. Und wenn es die letzte Sekunde ist, in der die Rettung kommt, er will überleben. Und wenn er nach Kriegsende in dem Lager der Sowjets ist, lernt er Russisch, wohl wissend, dass es irgendwann vielleicht eine Chance gibt, mit dieser Sprache etwas zu erreichen. Dann liegt tatsächlich die Frau des russischen Lagerkommandanten in den Wehen, er erkennt, das Kind liegt quer, und weiß sofort, da ist sie – die eine Chance. Er weiß, was los ist, aber auch, dass ihn das rettet. Er nutzt diesen Strohhalm.
Sie hatten zuvor in dem Film „Nebel im August“ ebenfalls einen Euthanasie-Arzt verkörpert, der in der NS-Zeit Menschen, überwiegend Kinder ermordet hat. Stehen diese Figuren in einer Verbindung?
Sebastian Koch: Ich würde fast sagen, dass Seeband eine Art Essenz all der Machtmenschen ist, die ich in meinem Schauspielerleben gespielt habe: Albert Speer, Dr. Faltershausen in Nebel im August, in gewisser Form auch Stauffenberg. Dass ich meine Figur in so einer Ausführlichkeit und Freiheit definieren und entwickeln konnte, das hatte ich in der Form noch nicht, vor allem mit Florian Henckel von Donnersmarck, der mich so inwendig kennt und dessen Intelligenz und Phantasie ich sehr vertraue.
Sie kennen Florian Henckel von Donnersmarck schon sehr lange.
Sebastian Koch: Ja, seit 15 Jahren. Als ich mich auf meine Rolle für den Stauffenberg-Film vorbereitet habe, sind wir zur Familie Stauffenberg gefahren, mit denen er in gutem Kontakt steht. Die Begegnung mit Stauffenbergs Witwe Gräfin Nina von Stauffenberg, die heute leider nicht mehr lebt, war für mich essenziell, um dann später diese Rolle so zu spielen. Auf diesem gemeinsamen Ausflug haben wir uns angefreundet.
2005 waren Sie einer der Protagonisten in dem oscarprämierten Film „Das Leben der Anderen“, dem ersten großen Film von Herrn Donnersmarck. Haben Sie damals geahnt, dass er so erfolgreich werden würde?
Sebastian Koch: Es war schon beim Lesen des Buches zu spüren, dass das ein großer Stoff ist und einen Nerv trifft, die Frage war damals, wie macht er das als Regisseur? Da hatten wir noch keine gemeinsamen Erfahrungen. Aber ich war schon gleich am ersten Drehtag sehr beeindruckt, weil ich gespürt habe, dass er eine genaue Vorstellung hat und eine liebevoll penetrante Kraft, diese umzusetzen. Eine unendliche Geduld und eine große Liebe zu seinen Schauspielern. Das Ergebnis beeindruckt mich nach wie vor, das war der erste Film, bei dem ich vergessen habe, dass ich das da auf der Leinwand bin, als ich ihn im Kino gesehen habe. Dank des Oscars, den der Film gewann, hat sich mir der englischsprachige Markt geöffnet, was mir die Möglichkeit gab, noch genauer und feiner Drehbücher auszusuchen.
Was macht ihn zu einem so guten Regisseur?
Sebastian Koch: Erstmal ist es die Vorbereitung. Ich bin immer früh in die Projekte eingebunden, so dass wir uns gegenseitig helfen, einander beraten und entwickeln können. Wenn das Drehbuch geschrieben ist und wir uns dann an die Figur annähern, ist es sehr hilfreich, einen klugen Geist zur Seite zu haben, der auch bereit ist, mitzusuchen, gemeinsam zu entdecken, also nicht schon fertige Schablonen im Kopf hat.
Sie haben schon mehrfach im Ausland gedreht, in Hollywood mit einer Legende wie Steven Spielberg. Gibt es in diese Richtung neue Projekte?
Sebastian Koch: Ich habe jetzt ein Jahr lang Pause gemacht und keine Drehbücher gelesen. Nach Werk ohne Autor habe ich in New York noch den Film Bel Canto mit Julianne Moore gedreht, der jetzt im September in Amerika startet, danach war Schluss – endlich mal Pause. Endlich Zeit, mich zu regenerieren, ich war ja nur noch unterwegs. Ich bin sehr glücklich, dass ich mir diese Auszeit gegönnt habe. Jetzt, so langsam öffne ich mich wieder, es sind ein paar Projekte schon im Gespräch, aber da habe ich noch nicht die Bücher gelesen, damit beschäftige ich mich im November.