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Shin Godzilla

Shin Godzilla / Shin Gojira

| Jörg Buttgereit |

Der dritte Reboot der Serie als Sinnbild für die Reaktorkatastrophe von Fukushima.

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Ein seltsames Unterwasserwesen hat von im Hafen von Tokyo versenktem Atommüll gefressen und damit in sich eine unaufhaltsame Mutationskettenreaktion ausgelöst. Das radioaktiv strahlende Monster (oder kaiju, wie man gigantische Lebewesen dieser Art in Japan nennt) kommt an Land und entwickelt sich in einer Zeitraffer-Evolution vom kriechenden Amphibienungetüm zum 118 Meter großen, aufrecht stehenden Shin Gojira (Die japanische Schreibweise des Wortes „shin“ im Filmtitel lässt mehrere Deutungen zu. Man kann den Titel sowohl als der „neue“, als auch der „wahre“ oder gar der „göttliche“ übersetzen). Das unkontrollierbare Monster steht in diesem nunmehr dritten Reboot der Serie überdeutlich als Sinnbild für die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Seelenlos und unaufhaltsam wie der Tsunami von 2011 ergießt das kaiju seinen radioaktiv glühenden Körper auf das Festland bis nach Tokyo. Gojira ist das Salz in der Wunde. Das manifestierte Schuldeingeständnis einer sonst so stolzen Nation. Japanisch bis ins Mark.

Noch immer knabbert Japan am Gesichtsverlust gegenüber der Weltöffentlichkeit. Im Film opfert man deshalb nun den japanischen Regierungschef dem Monster. Der Hubschrauber, der den Premierminister und seinen Stab evakuieren soll, wird von Gojiras atomarem Feueratem im Flug pulverisiert. Ein ehrenvoller Abgang sieht anders aus. Doch einfache Schuldzuweisungen liegen den Regisseuren Anno Hideaki und Higuchi Shinji fern. Vereint nimmt man den Kampf gegen die radioaktive Bestie in der Hauptstadt auf. Nur durch Kühlung kann die Kernschmelze des monströsen Organismus in Schach gehalten werden. Das Gemeinschaftsgefühl der Japaner wird gestärkt durch ein zynisch anmutendes Angebot der Amerikaner. Sollte es Japan nicht gelingen, das strahlend gefährliche Ungetüm herunterzukühlen, soll zum Wohle der Menschheit eine amerikanische Atombombe über Tokyo abgeworfen werden. Die würde Gojira vermutlich töten. Und Tokyo mit Sicherheit dem Erdboden gleichmachen. Was 2011 in der Realität im Angesicht der Kernschmelze in Fukushima Daiichi als unmöglich galt, funktioniert jetzt im Film ganz vorbildlich: Die Millionenmetropole wird evakuiert.

Erst als die Bevölkerung in Sicherheit ist, kann man sich der Bändigung des von innen brodelnden Ungeheuers widmen. Der Beschuss mit modernen Waffen löst eine farbenfrohe Kettenreaktion der Zerstörung und Verstrahlung aus. Das Atommonster wird schließlich unter einstürzenden Wolkenkratzern besinnungslos begraben und mit einer Kühlflüssigkeit schockgefroren. Ein letztes Aufbäumen des kaiju noch, und es erstarrt zu einem gigantischen Mahnmal inmitten der Trümmer der verstrahlten Hauptstadt. Shin Gojira ist ein überaus bitterer Film, der vornehmlich für ein japanisches Publikum gemacht ist. Für den Export nach Amerika wurde er um 20 Minuten gekürzt und Godzilla Resurgence betitelt. Der Film ist eine für japanische Verhältnisse ungewöhnlich selbstkritische Zustandsbeschreibung der Hilflosigkeit gegenüber der immer noch bedrohlichen Lage in Fukushima. Trivial relevantes Befindlichkeitskino, wie es nur von der Monsterinsel Japan kommen kann.

 

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