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A Bigger Splash, F/IT 2015 von Luca Guadagnino
A Bigger Splash, F/IT 2015 von Luca Guadagnino

Swimmingpool

Von den Untiefen der menschlichen Natur

| Morticia Zschiesche |

Die „Swimmingpool-Filme“ von Ozon, Deray, Deville und Guadagnino im Vergleich.

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Die Leinwand schimmert einen langen Moment einfach nur in klarstem Azurblau. Erst dann fährt die Kamera vom wolkenlosen Himmel auf einen mächtigen verästelten Baum, auf dem weiße Tauben turteln, und Sally Stephens fordert im Titelsong sanft singend über die Hammond-Orgel hinweg „Ask yourself why“. Zu Recht, denn was man sieht, ist lediglich das Spiegelbild eines Baumes in einem Element ganz anderer Natur: Dem Wasser, Urbild von Schöpfung und Tod zugleich, domestiziert im heimischen Swimmingpool, so blau wie der Himmel, irisierend in der Mittagsglut und mit machtvollen Tiefen unter seiner Oberfläche.

Wie ein harmloser Sommer-Pool die Abgründe der menschlichen Natur freisetzen und soziale Gefüge auf den Kopf stellen kann, ist das Thema von La Piscine. Mit diesem Film ist dem Franzosen Jacques Deray 1969 ein Vexierspiel gelungen, das eine Art eigenes Genre begründet und zu weiteren wichtigen Produktionen in den folgenden Jahrzehnten angeregt hat. Allesamt Publikumserfolge, verbinden diese „Swimmingpool-Filme“ darüber hinaus zahlreiche ähnliche Motive, die eine nähere Betrachtung lohnenswert machen. Derays La Piscine, gedreht am Sehnsuchtsort Côte d’Azur, nimmt dabei als Vorbild eine exponierte Stellung ein. Der Regisseur besetzte das zu diesem Zeitpunkt bereits im echten Leben getrennte Traumpaar Romy Schneider und Alain Delon als Marianne und glücklosen Autor Jean-Paul, die in ihrem hüllenlosen sexuellen Miteinander vom Ex-Freund Mariannes, dem erfolgreichen Komponisten Harry (Maurice Ronet), und seiner nymphenhaften Tochter (Jane Birkin) gestört werden. Sich immer weiter aufladende erotische Irritationen zwischen den Paaren führen in flirrender Hitze zu Eifersucht und schließlich zum Mord am mutmaßlichen Nebenbuhler Harry. Jean-Paul ertränkt ihn im Pool, ohne dafür später von der Polizei zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Ein offizielles Remake inszenierte der Sizilianer Luca Guadagnino 2015 mit A Bigger Splash. Für die weibliche Hauptrolle wählte er überraschend die ätherische Tilda Swinton als Rockstar Marianne aus und ließ sie aufgrund ihrer Heiserkeit im Film allein ihre Körpersprache einsetzen. Auch Guadagninos Fotograf Paul (Matthias Schoenaerts) kann sich vor der Kulisse der Vulkaninsel Pantelleria von der virilen Omnipräsenz seines Rivalen Harry (Ralph Fiennes) nur durch einen Mord im alkoholgeschwängerten Affekt befreien und bringt damit die brodelnde Stimmung zum Überkochen. Und ebenso wie im Original weint ihm die vermeintliche Tochter, die aufreizende Penelope (Dakota Johnson), kaum eine Träne hinterher. Der nächtliche Mord im Pool bleibt ungesühnt.

Angeblich ohne direkten Einfluss von La Piscine entstand 2003 der französische Thriller Swimming Pool von François Ozon. Charlotte Rampling gibt die spröde englische Schriftstellerin Sarah, die im südfranzösischen Luberon in der Villa ihres Liebhabers und Verlegers John (Charles Dance) ihren Roman vollenden will. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob die Begegnung mit seiner unehelichen, lasterhaften Tochter Julie (Ludivine Sagnier) und deren Mord an ihrem Lover Franck Sarahs Fantasie entsprungen oder real geschehen ist. Auch hier liefert der funkelnde Pool im Garten den Figuren durchgängig ihre Bühne und führt in der Hitze der Nacht zum unaufgeklärten Verbrechen.

Nur am Rande in diese Liste einzureihen ist die französische Produktion von Michel Deville, die von einem Mord am Swimmingpool und einem am offenen Meer erzählt. Eaux profondes von 1981, gedreht auf Jersey, beruht auf dem Buch „Deep Water“ von Patricia Highsmith und handelt von der jungen Melanie (Isabelle Huppert), die direkt vor den Augen ihres Mannes, des Privatiers und Parfumeurs Vic (Jean-Louis Trintignant), ihr aufreizendes Spiel mit Männern treibt, bis dieser seinen Mordgelüsten Taten folgen lässt – und ungeschoren davon kommt.

Mikrokosmos westlicher Gesellschaften

Ob mit explizitem Verweis auf oder unbewusster Orientierung am Original eint diese Filme weitaus mehr als der ungesühnte Mord im Pool und die suggestive Inszenierung des blauschimmernden Quells vor dem Sommerhaus in Traumkulisse. In allen Fällen haben wir es mit dem Blick auf einen Mikrokosmos westlicher Gesellschaften zu tun und beobachten in der Versuchsanordnung eines Kammerspiels, wie die degenerierten Figuren, allesamt Kreative und Wohlhabende, in ihrer Freizeit nach und nach alle Hemmungen fallen lassen. Kleidung spielt dabei eine Schlüsselrolle und wird in allen Filmen in den zentralen Szenen oft symbolhaft in weiß, schwarz oder rot gehalten. Notdürftig verdeckt sie die Nacktheit, die sich immer wieder durch rutschende Träger, fallende Oberteile oder hingeworfene Unterhosen ihren Weg bahnt. Oder sie dient als „fremde Haut“, welche die Schriftstellerin Sarah in Swimming Pool in Form eines der Nymphomanin Julie gehörenden, roten Kimonos überstreift, um in ihre Rolle zu schlüpfen. Anfänglich Symbol lästiger Zwänge, die es abzulegen gilt, erhält die Kleidung nach den Morden allmählich ihre ursprüngliche Bedeutung zurück, repräsentiert sie doch Konvention und gesellschaftliche Rollenverteilung. Umso schwerer wiegt ihr Gewicht als Indiz für das Verbrechen, wenn die Kleider der Ermordeten unter großer Anstrengung zum Verschwinden gebracht werden müssen. Deray stellt diese Bedeutsamkeit am überzeugendsten dar, wenn Marianne Hose und Hemd des ermordeten Harry im Keller des Hauses zwischen einem undurchdringlichen Astgewirr sucht – die unbeherrschbare Natur ist in das Haus gedrungen und schwelt im Untergeschoss des Bewusstseins seiner Bewohner.

Darüber hinaus wird die trügerische Idylle der Zweisamkeit in allen Filmen zunächst dekonstruiert, um ihre Verlogenheit am Ende wieder obsiegen zu lassen, wenn auch auf Kosten von Recht und Moral. Die Gesellschaft und mit ihr der Unfriede dringen in das künstliche Sommervakuum ein, zunächst in Form der Nebenbuhler und Liebhaber, die Erfolg, Jugend, Potenz und Konkurrenz darstellen, gleich ob auf weiblicher oder männlicher Seite, und damit tief in die Wunden der Einzelnen treffen. Die Gesellschaft im weiteren Sinne mit ihrer ganzen Oberflächlichkeit bildet sich wiederum in nächtlichen Partyszenen oder gelangweilten Gesellschaftsspielen ab. Sie ist es, die nicht nur die Morde, sondern auch deren Vertuschen zulässt. Selbst die Inspektoren als Repräsentanten des Gesetzes schauen am Ende einfach weg, ohne Zweifel daran zu lassen, dass sie um die wahren Schuldigen wissen.

Noch einen Schritt weiter geht Guadagnino im Jahr der Flüchtlingswelle 2015 und treibt die Bigotterie auf die Spitze. Er lenkt den Blick vom Swimmingpool auf das offene Meer, das nicht nur im Film, sondern auch an der realen italienischen Küste viele ertrunkene Flüchtlinge an die Strände gespült hat. Was liegt näher als Flüchtlingen auch die Schuld am Mord zu geben, denn „den Pfad am Haus kann ja jeder nutzen.“ Guadagnino legt damit seine Fährte klarer als die anderen Regisseure in die Wirklichkeit und hinterfragt die Gewichtung von Menschenleben. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wahrlich „a bigger splash“ als auf dem Bild von David Hockney, der den Moment des Eintauchens in den Swimmingpool darstellt, bei dem nicht mehr bleibt als ein leichter Spritzer über der gebrochenen Oberfläche.

Machtpositionskämpfe

Die Männer und ihre Rivalität stehen nur scheinbar im Mittelpunkt der Figurenkonstellation. Diese archaisch ausgelebten Instinkte finden Ausdruck in rasenden Autofahrten, übertriebenen Wettschwimmen oder verbalen Selbstdarstellungen, bei denen man meint, den Speichel fließen zu sehen – ein aggressives Brunftverhalten zur Revierverteidigung, bei dem es nur einen Überlebenden geben kann. In allen Filmen findet sich zudem eine Tochter, die als (noch) schwaches Abbild des jeweiligen (Über-)Vaters gezeichnet wird. In ihr wird das Fehlerhafte, Lasterhafte oder sogar Kriminelle weiterleben, ob durch Sozialisation oder Gene weitergegeben. Gerade die Vater-Tochter-Beziehung ist in allen Filmen in besonderer Weise ausgearbeitet. Sie wird negativ wie in Swimming Pool oder positiv wie in Eaux profondes überhöht oder hat in La Piscine und mehr noch in A Bigger Splash sogar inzestuöse Anklänge, auch oder gerade weil hier die Vaterschaft nicht final bewiesen wurde. Die fast erwachsenen Töchter in drei der Filme rangeln aber auch um ihre Position als Frau, nehmen zu Anfang den Platz der ehemaligen älteren Geliebten ein und gehen nun in offener Konfrontation mehr oder weniger erfolgreich einen Schritt weiter, um auch deren aktuelle Männer zu erobern.

Das Ausspielen jugendlichen Sexappeals gegenüber der erotischen Laszivität der reiferen Frau durchzieht die Filme, ohne zunächst Partei für eine der beiden Seiten einzunehmen. Ambivalent wird die Rolle der (älteren) Partnerin erst gegen Ende der Filme, hängt alle Entscheidung, ob das Verbrechen ans Licht kommt, doch an ihr. Durch ihr Wissen von der Täterschaft gelingt es ihr auf zweifelhafte Weise, wieder ihre angestammte Rolle an der Seite des Mannes einzunehmen und ihre persönliche Machtposition auszubauen. Dabei entstehen große Filmmomente: Wie Romy Schneiders Marianne Jean-Paul plötzlich „mit anderen Augen“ ansieht und ihn mit ihrem Blick schließlich zu Fall bringt. Wie Charlotte Ramplings Sarah ihren von Julie geliehenen roten Kimono öffnet, um den Gärtner Marcel von der frisch verscharrten Leiche abzulenken. Wie Isabelle Hupperts Melanie ihren Mann Vic geschickt an der Steilküste durch seine Reaktion auf die vermeintlich an Land gespülte Leiche überführt.

Und immer wieder schimmert der Swimmingpool durch die Szenen, gibt mit irritierender Leichtigkeit die Möglichkeit zum Mord, fängt die Leichen auf und lässt die Beweise „verschwimmen“. Am Ende von La Piscine sehen wir zuerst den Baum aus der Anfangsszene wieder, diesmal richtig herum im Bild, während der Swimmingpool im Trüben liegt und keinen Einblick gewährt. Postfaktisch war schon 1969, und gesellschaftlicher Realitätsverlust bleibt bis heute aktuell.