synonymes

Filmkritik

Synonymes

| Roman Scheiber |
Gleiches mit Ähnlichem vergelten: ein Flüchtlingsfilm als Symbolgeflecht.

Es gibt eine Szene noch ziemlich zu Beginn, da kauft der junge Yoav, der aus Israel nach Paris geflüchtet ist, in einer Buchhandlung ein Wörterbuch. Ein guter Franzose will er werden und perfekt Französisch sprechen. Wenig später wird er zu Émile, der ihn zusammen mit seiner Freundin Caroline aufgelesen, verköstigt und eingekleidet hat, über sein Herkunftsland schimpfen: Von abstoßend bis widerwärtig reiht er Synonyme aneinander, um seiner Verachtung Ausdruck zu verleihen. Doch Émile sagt: „Du musst dich für ein Wort entscheiden!“

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Nadav Lapids autobiografischer Film Synonymes trifft durchaus eine Entscheidung, wenngleich eine schräge. Der Titel ist wörtlich zu nehmen, alles hier steht für etwas Gleiches oder Ähnliches – die Figuren, die Situationen, die Dialoge. Lapid erzählt die Geschichte seiner einstigen Flucht, berichtet noch einmal vom Hass auf sein arrogantes kleines Land und von der Kälte, die ihm in der fremden, überdimensionalen, egozentrischen Großstadt entgegenschlägt. Buchstäblich nackt ist Yoav nach einem Bad in einem leeren Apartment, weil ihm sein Gewand gestohlen wurde. Symbol für einen Gestrandeten, der nichts hat. Aber Erfrieren hat ja auch Tradition in seiner Familie, wie er zu Émile sagen wird. Mit dem oberflächlich helfenden Bobo-Pärchen entwickelt sich eine Dreiecksgeschichte, die entfernt an Bertoluccis The Dreamers erinnert. Doch wo dort Gefühle überschäumen, herrscht hier emotionale Verfremdung.

Lapids Erzählweise genießt den Vorzug gedanklicher Klarheit, steht aber in merkwürdigem Kontrast zur Fahrigkeit und nachgeraden Kasperlhaftigkeit seines Hauptdarstellers Tom Mercier (der hier sein Debüt gibt). Und sie hat einen groben Nachteil, bei der auch deutliche Anklänge an die Nouvelle Vague nicht helfen: Wenn Charaktere nur Spielfiguren in einem Planspiel darstellen, strahlen sie keine echten Gefühle aus. Wenn Synonymes, statt einen emotionalen Kern herauszuschälen, bloß einzelne Erzählfäden zu einer parabelhaften, an Stellen surrealen Tour de Force für seinen Helden vernäht, fühlt er sich leblos an. Man versteht die Wut des damaligen Immigranten Lapid, doch man kann sie kaum nachempfinden. Die Abwärtsspirale, in die Yoav geschickt wird, ist eine theoretische, der existenzielle Abgrund, der sich vor ihm auftut, hat keine fühlbare Fallhöhe. Einzig Caroline, die zwischenzeitig mit ihm ins Bett geht, lässt sich am Ende zu einem Gefühlsausbruch hinreißen. Verachtung ist, was sie für ihn übrig hat. Es war eine kühne Entscheidung der Berlinale-Jury, den Film mit einem Bären zu vergolden.