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Takva – Gottesfurcht

Takva – Gottesfurcht

| Daniela Sannwald |

Özer Kiziltan erzählt eine universale Geschichte über den Fundamentalismus.

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Mauern, Zäune, Straßenbelag sieht Muharrem, wenn er mit gesenktem Blick und eiligen Schritten, die Schultern hoch-, den Kopf ein wenig eingezogen, seiner Wege geht. Für ihn besteht seine Heimatstadt Istanbul aus Hauswänden, die ihm den Blick versperren, so lange nicht ein offenes Tor eine unerwartete Durchsicht erlaubt. Auf eine Reihe von Schaufensterpuppen, die Damenwäsche vorführen, zum Beispiel. Dann zieht Muharrem den Kopf noch mehr ein, und hastet mit erhöhter Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Tagsüber arbeitet er als Faktotum bei einem kleinen Kaufmann, abends geht er heim, kocht sich eine bescheidene Mahlzeit und trifft sich dann mit seinen Glaubensbrüdern im Orden, dem er als weltliches Mitglied angehört. Die haben diesen beflissenen Diener Gottes seit langem beobachtet und Gefallen an ihm gefunden; er scheint ihnen vertrauenswürdig genug, um mit einer nicht einfachen Aufgabe betraut zu werden: Er soll die Mieten für die im Besitz des Ordens befindlichen Wohnungen und Geschäfte kassieren. Man verpasst ihm neue Anzüge, ein Handy und schließlich sogar ein Auto mit Chauffeur. Und Muharrem lernt, dass man einem Raki-Trinker, der regelmäßig bezahlt, als Mieter den Vorzug gibt vor einer armen, kinderreichen Frau mit einem kranken Mann, die das Geld gerade nicht aufbringen kann. Das, was er bisher für gottgefällig hielt, scheint keine Gültigkeit mehr zu besitzen, und doch arbeitet er jetzt im Auftrag Gottes. Sein Zusammenbruch ist eine Frage der Zeit. Takva ist ein düsterer, bedrohlicher Film, der ein weitgehend unbekanntes Istanbul zeigt: Außenbezirke, Brachen, bescheidene Wohnviertel, die sich um Moscheen ducken. Eine graue Wolkendecke hängt dicht über der Stadt, es regnet ständig, als ob der Himmel dazu beitragen wollte, Muharrem nach seinen, ihn gelegentlich plagenden, unzüchtigen Träumen reinzuwaschen; alles scheint gut, solange er noch in seinen billigen Schuhen mit abgewetzter Aktenmappe durch die Pfützen stapft, aber sobald er vor Nässe und Kälte geschützt im Fond der Limousine sitzt, verliert er den Kontakt zu denjenigen, die er bisher als seinesgleichen wahrnahm. Dem großartigen Schauspieler Erkan Can gelingt es, die Persönlichkeitsveränderungen, die dies bei einem schlichten, gutmütigen Mann hervorrufen muss, bis in die Nuancen hinein zu verdeutlichen. Damit repräsentiert er all die harmlos-tumben Opfer fundamentalistischer Splittergruppen, denen man allenfalls ihre Schwäche zum Vorwurf machen kann.