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Bis ans Ende der Nacht

Bis ans Ende der Nacht | Interview

Tanz auf dem Vulkan

| Pamela Jahn |
Christoph Hochhäusler setzt sich mit seinem Krimidrama „Bis ans Ende der Nacht“ erneut über Genregrenzen hinweg. Ein Gespräch über Begrifflichkeiten, Schlagermusik und die Frage, wie man im deutschen Film zurechtkommt.

Sein Ziel als Filmemacher, hat Christoph Hochhäusler einmal geschrieben, sei es „ein Kino zu schaffen, das das Leben intensiver macht.“ Seit seinem Regiedebüt Milchwald vor zwanzig Jahren arbeitet er unermüdlich daran. Fünf Spielfilme (darunter die Fernsehproduktion Eine Minute Dunkel, 2011) sind bisher entstanden. Selbstverständlich ist sogar diese relativ überschaubare Zahl nicht. Der 1972 in München geborene Regisseur eckt im deutschen Kino gerne an mit seinen Werken, weil sie ein persönliches Engagement des Publikums fordern, weil sie klug und eigensinnig sind. Und weil sie sich frei im Grenzbereich zwischen Genre- und Autorenkino bewegen, im Niemandsland zwischen jenen zwei Welten, die bis heute noch immer viel zu oft als unvereinbar gelten.

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Bis ans Ende der Nacht, Hochhäuslers neuester Versuch über die verschiedensten filmischen Spielformen die Realität herauszufordern, konkurrierte im Februar bei der Berlinale im Wettbewerb; Thea Ehre erhielt für ihre schauspielerische Leistung einen Silbernen Bären als beste Nebendarstellerin. Im Film spielt sie Leni, eine Transfrau, die für ein Drogendelikt zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde und nun auf eine vorzeitige Entlassung hofft, weil sie sich zur Kooperation mit der Polizei bereit erklärt hat. Gemeinsam mit dem schroffen, schwulen Undercover-Ermittler Robert (Timocin Ziegler) soll sie helfen, den Drogendealer Victor Arth (Michael Sideris) zu überführen. Geplant ist, dass das fingierte Paar über einen Tanzkurs zu dem Kriminellen und seiner Freundin (Ioana Iacob) Kontakt aufnimmt. Es klappt, die vier verstehen sich, allerdings etwas zu gut. Andererseits wird die Beziehung zwischen Leni und Robert durch seine Gefühle für die Person, die sie vor ihrer Umwandlung war, auf die Probe gestellt wird. Mal leichtfüßig, mal brutal, aber mit dem größten Respekt für seine Figuren blickt Hochhäuslers raffinierter Noir-Krimi hinter die sorgfältig errichteten Fassaden seiner Protagonisten und Protagonistinnen, untersucht Fragen der Freiheit und Identität. Dazu singen Zarah Leander, Hildegard Knef und Esther Ofarim von der Liebe und vom Leben, bis die Nacht überwunden ist und der Morgen graut.

 

Interview

Herr Hochhäusler, im Programmheft der Berlinale, wo „Bis ans Ende der Nacht“ im Wettbewerb lief, hat man Sie als Marionettenspieler bezeichnet. Finden Sie die Beschreibung treffend?
Christoph Hochhäusler:
Ich hatte das Gefühl, dass es nett gemeint war. Was stimmt, ist, dass ich gerne spiele, mit den Erwartungen des Publikums, mit den herrschenden Konventionen, und was mich überhaupt sehr fasziniert, ist, wie etwas Lebloses, wie eine Marionette durch die Suggestion im Zuschauer lebendig wird.

In Ihrem Film geht es um ein ungleiches Paar, Robert ist ein verdeckter Ermittler, Leni gerade aus der Haft entlassen – er ist schwul, sie trans. Wie verändert das für Sie als Regisseur die Dynamik der Figur in der Geschichte?
Für mich ist es eigentlich eine normale Liebesgeschichte. Ich will damit sagen, das sind letztlich Hindernisse, die es in jeder Beziehung gibt. Natürlich ist das sozusagen eine modernere Identitätskonstellation, der Konflikt ist sichtbarer. Aber im Endeffekt sind es Menschen, die an einer Vorstellung vom Anderen festhalten, gegen die Wirklichkeit. Und das gibt es überall. Insofern habe ich auch nicht das Gefühl gehabt, ich hätte einen Film „über“ trans* Personen gemacht, sondern einfach einen Film, in dem eine Transfrau eine Hauptrolle spielt, und das hat Konsequenzen. Aber für mich als Regisseur ändert sich dadurch nichts Wesentliches. Die Fragen nach Identität und Freiheit, die in allen meinen Filmen virulent sind, beschäftigen mich weiter, auch wenn ich wie in diesem Fall das Buch nicht geschrieben habe.

Hatten Sie trotzdem Bedenken, dass dieser Aspekt ablenken könnte von der eigentlichen Geschichte, um die es im Film geht?
Ich glaube, wenn man den Film unbefangen anschaut, ohne schon vorher eine Agenda zu haben, dann kann man die beiden Figuren einfach als Charaktere sehen, ohne all dieses politische Gepäck. Obwohl ich das nicht grundsätzlich ablehne. Ich bin nur nicht geeignet, einen Propagandafilm zu machen. Ich wollte auch keinen Film sozusagen zur Stunde drehen.

Welche Bilder von Männlichkeit oder Weiblichkeit sind es, die Sie interessieren?
Das ist mir irgendwie eine zu große Frage. So gehe ich ja nicht vor. Mein Interesse gilt in erster Linie den Figuren. Und auch hier gab es zunächst einen Charakter, Robert. Und die Überlegung war, wer muss ihm begegnen, damit daraus eine Geschichte wird. Danach haben wir lange gesucht. Insofern hat man am Ende eines solchen Prozesses gar nicht das Gefühl, dass man unter Kontrolle hat, wer genau die Figuren sind. Sondern man reagiert auf einen Impuls und merkt, das wird immer lebendiger, das will etwas. Mit anderen Worten: Das ist ein Prozess, in dem ich eben nicht Marionettenspieler bin, um im Bild zu bleiben, in dem Sinne, dass alle Fäden bei mir zusammenlaufen. So ist es nicht.

Sie haben es bereits angesprochen, Sie haben erstmals ein Drehbuch verfilmt, das nicht aus Ihrer eigenen Feder stammt. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Film von der Vorlage, die Sie von Florian Plumeyer erhalten haben?
Ich habe die Entwicklung lange begleitet, und das ging so lange, bis ich gesagt habe, wir machen das jetzt. Insofern habe ich indirekt schon Einfluss gehabt auf dieses Gefüge. Die Zusammenarbeit fing als Mentorenschaft an. Als wir uns kennenlernten, hat Florian noch Drehbuch studiert und war auf der Suche nach einem Berater für sein Abschlussbuch. Erst im Anschluss haben wir darüber geredet, ob wir weiter an der Geschichte arbeiten wollen, zu zweit.

Was hat Sie an der Figur von Robert gereizt?
Dass er so ein Bündel an Widersprüchen ist und auch irgendwie im Widerstand mit der Zeit steht. Und ich finde es immer interessant, wenn jemand gegen seine eigenen Interessen handelt. Deshalb war es bei der Besetzung auch unheimlich wichtig, jemanden zu finden wie Timocin Ziegler, der es verstand, eine unglaubliche Sensibilität in die Figur zu bringen, so dass man eigentlich das Gefühl hat, er hätte seine Seele verloren, was die Verlorenheit der Figur unterstreicht. Ich glaube, das braucht es, weil man ihn sonst einfach nur ablehnen würde und sich denken würde: Was für ein Arsch. Das ist er zwar trotzdem, aber eben nicht nur.

Stichwort Zeit: Eine weitere Hauptrolle im Film spielt die Musik und ein Soundrack, der vordergründig aus alten Schlagern besteht. Wann und warum haben Sie sich dafür entschieden?
Sehr früh. Zeitweise war die Idee bereits in den Plot integriert, das fanden wir dann irgendwann zu künstlich. Aber ich wollte immer deutsche Populärmusik verwenden, die von der Absolutheit der Liebe erzählt, um das in Konflikt zu bringen mit der eher harschen Realitätsebene des Films und mit einer Liebe, die alles andere als absolut und dauerhaft ist.

Sind Sie selbst ein Schlagerfan?
Überhaupt nicht. Aber es war toll, die Musik auszuwählen. Ich kannte die meisten Lieder vorher nicht. Ich habe diese Musik nie gehört. Für mich hat sich eine ganz neue Welt erschlossen. Zugegeben, ich hatte keine sehr hohe Meinung vom deutschen Schlager, und eigentlich trifft es der Begriff Populärmusik auch besser. Aber das sind ja tolle Geschichten und Gesichter und Stimmen. Gerade jemand wie Esther Ofarim hat mich total verzaubert – was für eine große Künstlerin!

Hat sich Ihr Bild von der Populärmusik seit dem Film verändert?
Es ist zwar nicht so, dass ich die Musik ständig und überall höre. Aber es gibt schon ein paar Stimmen, die jetzt Platz in meinem Alltag haben.

Ihr Film ist Liebesgeschichte, Krimi, Film noir, alles in einem. Wo würden Sie ihn am ehesten verorten?
Der Film noir ist ja ein sehr offenes Genre, mehr einem Gefühl verpflichtet als bestimmten Regeln oder Motiven. Was mich fasziniert an Noirs wie Out of the Past von Tourneur, Whirlpool von Preminger oder Crime Wave von André De Toth, ist das Gefühl der Verlorenheit, der moralischen Ambivalenz, der Undurchdringlichkeit der Nacht sozusagen. Alle Gewissheiten stehen auf dem Spiel. Die Identitätsfragen in unserem Film passen gut dazu, finde ich. Aber in welches Genre mein Film genau gehört, ist mir nicht wichtig.

Und dieses Changieren zwischen Genre- und Autorenkino, das sich durch Ihre komplette Filmografie zieht, was fasziniert Sie persönlich so sehr daran?
Im Grunde könnte man argumentieren, dass es gar kein anderes Kino gibt als Genre-Kino, weil jede Art des Erzählens auf bestimmte Muster aufgebaut ist. Diese Muster sind mal enger und mal weiter, klar. Aber grundsätzlich finde ich interessant an dem, was ich unter Genre verstehe, dass es eine Erwartung des Zuschauers gibt, mit der man rechnen kann. Oder besser gesagt: Mit der man nicht nur rechnen, sondern auch spielen kann. Und da ich von einem Kino träume, das sehr selbstbewusste, sehr aktive Zuschauer hat, kommt mir das entgegen.

Warum tut sich der deutsche Film Ihrer Meinung nach immer noch so schwer mit dem Genre?
Ein Grund sind sicherlich die Strukturen, in denen es sehr, sehr viele Torwächter gibt. Der Finanzierungsprozess dauert viel zu lange. Das allein spricht gegen den „schmutzigen“ Film. Das ist gar kein böser Wille sozusagen, aber es ist einfach in der Summe ein sehr kompliziertes, sehr bürokratisches System, wo bestimmte Formen keinen Platz haben. Meine Hoffnung ist, dass sich das bald ändert.

Wünschen Sie sich manchmal, woanders hinzugehen, um Filme zu drehen?
Klar, wenn es einen Ort gäbe, wo es einfacher ist. Mein nächster Film spielt in Belgien, wir drehen auf Französisch, nächste Woche geht es los.

Erst haben Sie neun Jahre lang keinen Film gedreht, dann filmen Sie gleich zwei Projekte hintereinander. Wollen Sie jetzt wieder richtig durchstarten?
Das wollte ich immer. Ich habe immer versucht, Filme zu machen. Ich habe nie aufgehört oder bewusst eine Pause eingelegt. Ich habe einfach weiterentwickelt. Manche Projekte sind halb finanziert gewesen und dann ist die Finanzierung weggebrochen. Es gab mindestens zwei Projekte in der Zeit, die beinahe zustande gekommen wären. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer. Vielleicht war ich zu ehrgeizig. Vielleicht waren die Projekte zu groß, die dann nicht geklappt haben. Aber der nächste Film wird in Belgien entstehen, und da kann ich zumindest jetzt schon sagen, einfacher ist es dort auch nicht.

Haben Sie nach Ihrem letzten Film, „Die Lügen der Sieger“, das Gefühl gehabt, dass Sie vor der Zeit waren? Heute schaut man Geschichten über politischen Journalismus und Korruption natürlich noch einmal mit einem ganz anderen Bewusstsein, als das vielleicht 2014 der Fall war.
Das Timing ist immer schwierig, weil ein Film so lange braucht. Man kann nie wissen, in was für eine Situation er dann hineingeboren wird. Aber ja, wenn Sie das sagen, vielleicht war es so.

Sie waren bis vor ein paar Jahren auch als Regiedozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin tätig. Was raten Sie heute jungen angehenden Filmemachern, wenn Sie gefragt werden, wie man im deutschen Film zurechtkommt?
Wenn ich das wüsste. Ich versuche, ehrlich zu sein: Es ist schwierig, aber es lohnt sich. Für mich ist Filmemachen etwas, das existenziell ist, und wenn das so ist, wenn man sich nicht vorstellen kann, jemals etwas anderes zu tun, dann ist am Ende kein Preis zu hoch.