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Franz-Josef Spieker als Mönch in „Kuckucksei im Gangsternest“
Franz-Josef Spieker als Mönch in „Kuckucksei im Gangsternest“

Franz-Josef Spieker

Tempel der frustrierten Träume: Das Verschwinden des Franz-Josef Spieker

| Stephan Eicke |
Als Assistent von Stanley Kubrick sowie Douglas Sirk und als Mit-Unterzeichner des Oberhausener Manifests und Regisseur des einst populären Films „Wilder Reiter GmbH“ war er in den 1960er-Jahren in aller Munde. Dann drehte er zwei Flops, floh ins Ausland. Kollegen und ehemalige Unterstützer hatten ihn aus den Augen verloren, bevor er im Alter von 44 Jahren angeblich Opfer eines grausamen Ritualmordes auf Bali wurde. Bis auf einen zehnminütigen Kurzfilm – „Süden im Schatten“ – ist keines seiner Werke auf DVD oder über Mediatheken erhältlich. 2023 hätte er seinen 90. Geburtstag gefeiert. Wer war diese einstige Nachwuchshoffnung des deutschen Films, die zum Phantom geworden ist?

Franz-Josef Spieker löste sich langsam auf. Seine Konturen verblassten, bevor er verschwand. Profilstärke hat ihm seine Arbeit verliehen, nicht sein Charakter, der Freunden und Kollegen bereits zu Lebzeiten verschlossen blieb. „Er war sehr rücksichtsvoll und korrekt“, erinnert sich Regisseurin und Schauspielerin Margarethe von Trotta. „Er war immer freundlich und höflich, ist nie ausfällig geworden. Aber ich kam nicht an ihn ran. Ich habe mit vielen Regisseuren gedreht als Schauspielerin und eigentlich ist mir das bei allen mehr gelungen als bei ihm.“

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Zahlreiche Kollegen und andere Weggefährten Spiekers teilen diesen Eindruck. Wer nach dem Typ des einst erfolgreichen Filmemachers fragt, bekommt von allen Gesprächspartnern die gleiche, kurz angebundene Antwort: „Ich empfand ihn als sehr ruhig und bedächtig“, echot Galerist Klaus Lea. „Er war ein genauer Mensch. Ein freundlicher, ruhiger Typ.“ „Er war ein sehr ruhiger Typ, sehr zurückhaltend“, stimmt Produzent Michael Fengler zu. „Er war keiner, der große Sprüche gemacht hat.“ „Er war ein ziemlich verschlossener Mensch“, sagt Filmemacher Rob Houwer, bevor er nach einigem Zögern hinzufügt: „Nachdenklich. Sehr begabt. […] Lieblich naiv, aber ein großer Denker. Heute würde man sagen ein bisschen weltfremd.  Durchgeistigt wäre ein anderes Wort. Er war ein bisschen verträumt.“ Sollte ihn diese Naivität später zu Fall bringen? Produzent Joachim von Vietinghoff ergänzt: „Ich fand ihn sehr smart. Er war ironisch – sonst hätte er diese Geschichten sich nicht einfallen lassen. Es ist ja auch ein gewisser Galgenhumor, der in seinen Filmen vorkommt. Den hatte er. Wir haben viel gelacht. Ich erinnere mich an ein Gesicht, wo immer ein leichtes Schmunzeln drauf war.“1

Das Alte muss weg
Die Biografie Franz-Josef Spiekers lässt sich am besten im Kontext des Neuen Deutschen Films betrachten; in den Bestrebungen junger Künstler, gegen „Papas Kino“ aufzubegehren und Neues zu schaffen. Das staubige Nachkriegskino der Schmonzetten, produziert von Alt-Nazis, sollte ersetzt werden durch einen innovativen Autorenfilm, wie er bereits in Frankreich Einzug gehalten hatte. Die Zeichen standen gut für die jungen Wilden: Die deutsche Filmwirtschaft schrumpfte. Ihre Krankheit ebnete den Weg der Autoren, sich Gehör zu verschaffen. In den späten 50er-Jahren begannen sich in München kleinere Gruppierungen zu treffen – unter anderem die DOC 59, die sich mit Gleichgesinnten zusammenschloss, um schließlich Anfang 1962 auf den Westdeutschen Kurzfilmtagen das „Oberhausener Manifest“ zu verkünden. Diese Kurzfilmer, 26 an der Zahl, hatten sich zum Ziel gesetzt, den Neuen Deutschen Spielfilm zu schaffen. Franz-Josef Spieker gehörte ebenso dazu wie Alexander Kluge und Edgar Reitz.

Die Oberhausener Gruppe 1962

Die Oberhausener Gruppe 1962

Doch Spieker war in mehrerer Hinsicht eine Ausnahme in der Gruppe als einer, der früh von Hollywood-Größen lernte und US-amerikanische Sensibilitäten in seinen Filmen einzubinden verstand. Spieker stellte die Unterhaltung in den Vordergrund, denn er wusste: Nur wer sich unterhalten fühlt, ist empfänglich für seine Botschaften, die Enttarnung gesellschaftlicher Strukturen. Dies gelang ihm unter anderem, indem er Elemente des amerikanischen Gangsterfilms übernahm, wie in „Wilder Reiter GmbH“ und Kuckucksei im Gangsternest offensichtlich wird.

1933 in Paderborn geboren, verliebte er sich schnell in den Film. Besonders Billy Wilders zynische Mediensatire Reporter des Satans (Ace in the Hole) beeindruckte ihn zutiefst. Bereits während seiner Schulzeit arbeitete er als Filmkritiker für die „Westfalenzeitung“, verfasste seinen Abituraufsatz als Kritik an der Überheblichkeit der Künste. Das Studium der Theaterwissenschaft langweilte Spieker schnell. So war es sein Glück, dass er am Institut für Filmwesen in München Géza von Radványi kennenlernte, der mit „Mädchen in Uniform“ einen der populärsten deutschen Kinofilme drehte und als dessen Assistent Spieker tätig war. Für München als Stadt des Films war es eine blühende Zeit. Hollywoodstars wie Douglas Fairbanks jr. kamen in die bayerische Metropole, um Fernsehproduktionen zu verwirklichen. Douglas Sirk drehte in München Interlude und heuerte Spieker als Assistent an. 1958 verwirklichten sie gemeinsam Zeit zu leben und Zeit zu sterben (A Time to Love and a Time to Die) in Westberlin.

Das Handwerk der Mentoren
Am prägendsten für Spieker war jedoch seine Assistenzarbeit für Stanley Kubrick, der in München Wege zum Ruhm (Pathos of Glory) produzierte. Der junge Paderborner sollte sich zeitlebens mit Dankbarkeit an jene Zeit erinnern, doch bleiben seine Erinnerungen theoretisch und kühl. Persönlich wird Spieker in einem längeren Essay über seine Arbeit mit Kubrick an keiner Stelle: „Wie ein Schachspieler die kompliziertesten Kombinationen durchdenkt, bevor er seinen Zug macht, legte Kubrick jede Bewegung seiner Kamera und jeden Schritt seiner Schauspieler fest, bevor sein „action!“ seine Kompositionen aus Spannungen und Bewegungen mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufen ließ. Nicht ein Moment selbst der kompliziertesten Einstellung, den er dem Zufall überließ, wenn er die Verhältnisse Raum – Akteur und der Akteure untereinander in immer neue Wechselwirkungen stellte, ständig variierende Beziehungen und Proportionen schuf, die das Ergebnis einer gründlichen Vorarbeit und präziser Kameraführung sind.“

Wege zum Ruhm

Wege zum Ruhm

Von Kubrick lernte Spieker das Handwerk. Er sollte sich zeitlebens als Filmemacher sehen, der ebenfalls vom Optischen, dem Bild, ausging. Von Géza von Radványi wiederum lernte er den souveränen Umgang mit Schauspielern, die er für die jeweilige Szene in Stimmung zu bringen vermochte. Durch „Wege zum Ruhm“ sollten sich Türen öffnen: Während der Dreharbeiten lernte der Paderborner, der sich mittlerweile in München zuhause fühlte, Schauspieler Timothy Carey kennen. Carey verpflichtete Spieker als Kameramann und ermutigte ihm dazu, mit ihm in Los Angeles ein Drehbuch zu entwickeln, das jedoch nie verfilmt werden sollte. Spiekers Monate in Kalifornien waren prägend, wie er später zugab: „Amerika war damals ein großes Erlebnis für mich, eine Welt, die mir um vieles unmittelbarer, faszinierender und grausamer erschien, in der vieles offen zu Tage lag, was bei uns noch unter einer Schicht von Konventionen und Kulturrelikten verborgen ist oder weniger deutlich wird.“2 Spieker versäumte keine Gelegenheit, an Filmsets die Arbeit seiner Vorbilder eingehend zu studieren. Oft war er bei den Dreharbeiten zu Spartacus als stiller Beobachter anwesend.

Doch seine eigenen Filme wollte Franz-Josef Spieker in Deutschland verwirklichen. Nach mehreren Monaten in den USA kehrte er Anfang der sechziger Jahre zurück. Das Oberhausener Manifest war noch nicht entworfen. Regisseur und Produzent Rob Houwer erinnert sich an die Wiederkehr seines Kollegen: „Es ist bemerkenswert, dass er mit einer festen Freundin lebte, die er aus Amerika mitgenommen hatte, Sie war nicht weiß, sondern dunkelhäutig. Das war in München damals sehr ungewöhnlich. Es hat für uns überhaupt keine Rolle gespielt natürlich. Es war alles Liberalismus pur. Wir waren alle Hippies. Die beiden waren sehr glücklich. Ich denke, das hat sein Bild mitgeprägt. Es war nicht nur ungewöhnlich. Es war gesellschaftlich leicht befremdlich.“

Zurück in Deutschland
Als Kurzfilmer erzielte Spieker erste Achtungserfolge, von denen Doppelkonzert den aufwändigsten darstellt. Produzent Rob Houwer hatte durch den befreundeten Kulturreferenten des Goethe-Instituts den Auftrag erhalten, einen Kurzfilm über den Ausflug des Tübinger Jugendorchesters nach Nigeria zu dokumentieren. Es sollte ein denkwürdiger Aufenthalt für das kleine Team werden. Houwer fasst das Erlebnis zusammen: „Es hört sich großartig an, dass wir das Doppelkonzert von Johann Sebastian Bach gedreht haben, aber das Team war minimal. Es waren ein Kameramann, Spieker, und ich als Produzent habe auch den Ton gemacht, weil das Geld knapp war. Plötzlich standen wir mitten in der nigerianischen Wüste in der Sonne, und fragten uns, was tun wir hier in Gottes Namen? Die Dreharbeiten mögen drei Wochen gedauert haben. Es war interessant, weil Nigeria gerade unabhängig geworden war von England. Es war ein freundliches Land. Der Sänger, der da auftrat, war ein Einheimischer, ein ausgebildeter Tenor. Wir haben abends bei seiner Familie manchmal gegessen. Wir haben Mitarbeiter gehabt, Einheimische, die die Lampen gestellt haben.“ Ein Jahr später – 1964 – realisierte Spieker mit Houwer Das Malschiff, eine kurze Dokumentation über ein Flussschiff, das in Amsterdam lag und mittellosen Kindern erlaubte, ihre Kreativität auszuleben, indem sie es bemalen konnten. Spieker hatte sich mit seinem Portfolio ein Renommee als Kurzfilmer erarbeitet, doch die Finanzierung eines Spielfilms war nicht in greifbare Nähe gerückt.

Franz-Josef Spieker

Franz-Josef Spieker

Eine Frage begleitete die Nachwuchsregisseure um das Oberhausener Manifest über die Jahre als Konstante: Wie konnten sie für ihre Langfilme an eine finanzielle Förderung kommen, die sie nicht an einen bestimmenden Produzenten binden würde? Spieker und Co. schlugen vor: Man gründe selbst eine „Stiftung Junger deutscher Film“, mit der man die ersten eigenen zehn Spielfilme realisieren wollte, gefördert vom Bund mit insgesamt fünf Millionen Mark. Dieser Stiftung sollte eine Produktionsgesellschaft angeschlossen werden, deren Aufgabe es sein würde, Förderungsanträge zu prüfen. Es sollte drei Jahre dauern, bis diese Idee mit dem „Kuratorium Junger Deutscher Film“ – das bis heute existiert – umgesetzt wurde. 1965 wurden die ersten sechs Spielfilme gefördert, unter anderem Abschied von gestern (Alexander Kluge) und Katz und Maus (Hansjürgen Pohland). Spieker erhielt keine Förderung.

Jugend von heute
Ein erster Gehversuch im Kino hatte ihm 1963 zwar positive Kritiken eingebracht, beruflich jedoch nicht vorangetrieben: In jenem Jahr hatte ihn der Chef des Filmverleihs Europa, Walter Koppel, angesprochen. Dieser wollte mit sieben Nachwuchsregisseuren einen dokumentarischen Spielfilm umsetzen, der sich mit der Sexualität deutscher Jugend befasst. Hütet eure Töchter! sollte „Tatsachen sprechen, in der Absicht, das Gewissen wachzurütteln.“3 So werden in Episoden unter anderem geschildert, wie eine 17-Jährige während einer Party ihre Unschuld verliert und wie eine 15-Jährige italienische Landarbeiter verführt. Spieker und Houwer waren für jeweils zwei Episoden verantwortlich: Ersterer wirkte am Drehbuch der von Houwer inszenierten Episode Ferien mit. Houwer produzierte Der gelbe Wagen von Spieker, die sich mit Kinderprostitution in einer Großstadt auseinandersetzt. Der Zuschauer wird Zeuge, wie in einem LKW-Wrack zwischen Müllbergen Minderjährige von ihren Zuhältern an Freier vermietet werden. Ihre Eltern – so lernt man – existieren zwar, werden von Spieker jedoch nicht beachtet.

Hütet eure Töchter

Dieser haderte mit Koppels Herangehensweise an ein sensibles Thema, kritisierte den Titel des Films, Hütet eure Töchter!, gar öffentlich: „Er hat uns gar nicht gefallen – aber wenn er der einzige Kompromiß ist, dann können wir ihn in Kauf nehmen …“4 Tatsächlich war der feststehende Titel der einzige Kompromiss, und der Regisseur durfte seine Ideen ohne Zugeständnisse umsetzen. Doch eine herbe Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten: Koppel ging mit dem Europa-Filmverleih pleite, und so wurde das 1962 gedrehte und 1963 fertig gestellte Werk erst 1964 mit Kürzungen öffentlich gezeigt. Spiekers Segment, Der gelbe Wagen, bildete eine Ausnahme, denn seine knapp 12-minütige Episode wurde bereits 1963 auf den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen uraufgeführt. Als der Spielfilm ein Jahr später doch in die Kinos kam, merkte die deutsche „Filmkritik“ an, es handele sich bei Spiekers und Houwers Folgen zweifellos um die Highlights in einem misslungenen Versuch, mit anstößigen Moralisierungen die Gemüter der Öffentlichkeit zu erregen. Frieda Grafe schrieb: „Spiekers Inszenierung ist darauf aus, zu zeigen, dass diese Kinder keine außergewöhnlichen Kinder sind, dass sie ein Spiel unter Spielen treiben, dass nicht, weil etliche Faktoren zusammenkamen, ein solcher Extremfall entstehen konnte. […] Was diese Episode weit über die bereits genannten hebt, ist der implizierte Stil ihrer Darstellung, der sich jedes Moralisieren versagt.“5

Ein erster Eklat
Der Wettlauf um Fördergelder sorgte unweigerlich zu Spannungen innerhalb der Oberhausener Gruppe. Schließlich konnte nicht jedes Projekt gefördert werden. Auch Franz-Josef Spieker ging leer aus und musste sich andere Finanzierungsquellen für seine Herzensprojekte suchen. Derer hatte er einige. Doch öffentliche Institutionen haderten mit den Ideen des Münchener Freigeistes. Die Satiren „Die Erfolgreichen“, mit Elementen der Groteske, und „Die Motten“ konnten mangels Finanzierung nicht umgesetzt werden. Spiekers Frustration ist selbst nach dem Erfolg seines Debüts Wilder Reiter GmbH noch spürbar, in dem einzigen Interview, das von ihm überliefert ist: „Mir scheint, dass diese Gremien einfach immer versuchen, auf Nummer Sicher zu gehen, dass sie einem Stoff, der als Literatur schon anerkannt ist, den Vorzug gegeben vor einem originalen Stoff, einfach, weil ihnen darin das geringere Risiko zu liegen scheint, weil sie ein Alibi brauchen und vielleicht auch glauben, dass das kommerzielle Risiko geringer ist.“6

So musste sich Spieker auf andere Finanzierungsmethoden verlassen. Einige Jahre vor der Premiere des „Wilden Reiter GmbH“ hatte er Horst-Manfred Adloff kennengelernt, einen Schaumstofffabrikanten, der sich mit seiner eigenen Produktionsfirma den Traum von eigenen Filmen erfüllen wollte. „Der Adloff war ein Spinner“, erinnert sich Galerist Klaus Lea, „ein Kriegsgeschädigter, der aus französischer Kriegsgefangenschaft kam. Er hat eine Firma auf dem Land aufgemacht und die Thermopete erfunden, eine Tapete aus Styropor, aus einer Weinpresse gemacht. Das war ein großer Erfolg. Er hat die Firma verkauft und etliche Millionen dafür bekommen. Er hat auch Häuser gebaut, mit Immobilien gehandelt.“ „Die Wechsler im Tempel“ war einer seiner ersten Filme als Produzent, ein knapp 15-minütiger Kurzfilm als ätzende Kritik an der katholischen Kirche, die vor ihrer Ur-Aufführung für einen bundesweiten Eklat sorgte. Mit Adloff Co-Regisseur: Franz-Josef Spieker.

Bruno Dietrich, Horst-Manfred Adloff und Sabine Sinjen bei den Dreharbeiten zu „es“

Bruno Dietrich, Horst-Manfred Adloff und Sabine Sinjen bei den Dreharbeiten zu „es“

 

Die FSK sichtete den Film neun Mal, um anschließend die Entscheidung zu fällen, ihn nicht für eine öffentliche Vorführung freizugeben, da er Tatsachen verfälsche und das Religionsgefühl der Katholiken verletze.7 Adloff und Spieker hatten in ihrer Montage Bibel-Zitate über gemalte und gefilmte Diktatoren und Verbrechen gelegt, um darzustellen, welche Gräuel im Namen der Heiligen Schrift begangen worden sind. Ihr Versuch, aus „schalem Konformismus auszubrechen“ (so Spieker) fand zwar bei der FSK keinen Anklang, Presse und Kollegen wussten diesen Anspruch jedoch zu würdigen. Die „Frankfurter Rundschau“, beispielsweise, zeigte sich empört über das Urteil der FSK und eiferte, es entstehe der Eindruck einer bundesdeutschen Meinungsdiktatur.8 Nach öffentlicher Furore wurde der Kurzfilm sowohl auf Festivals als auch 1966 im deutschen Fernsehen gezeigt – trotz des FSK-Urteils. Es sollte nicht die einzige Kontroverse um Franz-Josef Spieker bleiben: Die ARD weigerte sich, sein Spielfilmdebüt „Wilder Reiter GmbH“ auszustrahlen, da in einer Szene Stempel mit der titel-gebenden Bezeichnung über die Köpfe des Papstes und Franz-Josef Strauß‘ geklebt werden. Zum ersten Mal wurde er 20 Jahre später gezeigt, auf Nord 3, bevor RTL ihn ein Mal ins Abendprogramm holte.9

Adloff und Spieker waren sich thematisch einig, religiös aber weit voneinander entfernt. Adloff war überzeugter Atheist, Spieker katholischer Kirchensteuerzahler. Laut Produzent Rob Houwer soll der Regisseur selbst einst mit dem Gedanken gespielt haben, als Mönch in einem Kloster zu leben. Im Film kann er seinen Wunsch ausleben: Spieker spielt in seinem dritten Kinowerk, „Kuckucksei im Gangsternest“, einen Mönch, der mit seinen „Jabulahabla“-Gesängen dem kriminellen Trio zunächst auf den Geist geht, dann zu ihrem Retter und anschließend angeschossen wird.

Ein Star ist geboren
Es war Adloff, der „Wilder Reiter GmbH“ mit seiner eigenen Produktionsfirma finanzierte – und damit den größten Erfolg seiner Karriere erzielte. Hauptdarsteller Herbert Fux erinnerte sich später: „Wir haben bestimmt das Dreifache eingespielt, von dem, was der Film gekostet hat. Der Adloff hat damals ganz schön Geld damit verdient, hat dann jedoch weiter produziert, bis er es wieder verspielt hatte.“10 Wilder Reiter GmbH ist ein ungewöhnlicher Film nicht nur für das Land und die Zeit, in denen er entstand. Zwar verfolgt Spieker eine narrativ konservative Struktur, lockert sie aber durch verschiedene Zutaten auf, wie sie im Deutschen Film in dieser Zusammensetzung ihresgleichen suchen. So bricht er die trockenen schwarz-weiß Bilder mit Einstellungen der Handkamera auf, die die Abenteuer des jungen Georg zeitweise wie eine Underground-Mockumentary wirken lassen. Die extremen Close-ups erinnern wiederum an John Cassevetes, dessen Independent-Werke Inspiration für viele Autoren der Münchener Gruppe waren.

„Wilder Reiter GmbH“

Über seine Figuren schüttet Spieker so viel Spott aus wie über jene Politiker in „Die Wechsler im Tempel“. Unter anderem sind das hier Adenauer, Franz-Josef Strauß, Francisco Franco und Charles de Gaulle. Niemand entkommt seiner Häme: Nicht der PR-Berater Georg, der einem talentlosen Anarchisten durch plumpe Stunts zu Plattenverträgen, Interviews und vor allem Geld verhilft. Nicht die deutsche Presse, die sich für die Auflage nur zu gerne vor den Karren spannen lässt. Nicht die inkompetente Polizei, nicht die opportunistische Unterhaltungsbranche. Der „Wilde Reiter“ ist Kim, gespielt von Herbert Fux, der in einem heruntergekommenen Haus im Wald seine Karriere plant – und sie durch bloße Skandale auch bekommt. „Wilder Reiter GmbH“ ätzt. Er klagt an, tut dies aber mit solchem Verve und Esprit, dass er die Unterhaltung über die Moralisierung stellt. Entgegen den Kassenschlagern des Deutschen Films jener Tage (und jeder Tage) durchweht „Wilder Reiter GmbH“ eine spielfreudige Anarchie in seiner Beleuchtung von späteren Phänomenen wie Paris Hilton, Kim Kardashian, Andrew Tate oder Milo Yannopoulos.

Denn die Inspiration für die Hauptfigur lag in den Influencern jener Zeit, in Marlon Brando und Timothy Carey, die mit PR-Stunts auf sich aufmerksam gemacht hatten. Letzterer war von seiner Arbeit an „Wege zum Ruhm“ entbunden worden. Produzent James Harris erinnerte sich später: „Eines Morgens wurde ich um fünf oder sechs Uhr morgens in meinem Hotel von der Polizei geweckt, die mir sagte, sie hätten einen Schauspieler aus „Wege zum Ruhm“ in Gewahrsam genommen, der behauptete, entführt worden zu sein. Sie haben ihn – mit zusammengebundenen Händen und Füßen – an einer Autobahn gefunden. Er sagte, er sei entführt worden, um das Filmstudio zu erpressen. Die Polizei musste nun bestätigen, dass es sich tatsächlich um Tim Carey handelte und dass es sich nicht um einen Stunt der Produktionsfirma handelte, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ich war völlig geschockt und glaube, dass Tim Carey das selber inszeniert hatte, um persönliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Das war fehlgeschlagen, weil die Polizei ihn jetzt festgenommen hatte, wir an diesem Tag aber mit Tim Carey drehen mussten. Tim hat nicht kooperiert.“11

Herbert Fux stellt Timothy Carey nach

Herbert Fux stellt Timothy Carey nach

Dieses Ereignis wird in „Wilder Reiter GmbH“ aufgegriffen, ebenso wie ein weiterer PR-Stunt Careys, der eine öffentliche Veranstaltung krachen ließ, indem er auf die Bühne stürmte und eine sich in einem Schaumbad rekelnde Künstlerin peinigte. Spieker gab die Inspiration zu: „Das hat Carey hier genauso gemacht, und es war sogar dieselbe Badewanne. Wir haben sie zufällig wieder aufgetan. Die Idee des Publicity-Stunt geisterte so unter den Gammlern in Hollywood herum. Die Jungen, die Karriere machen wollten, redeten dauernd davon, dass sie einen tollen Publicity-Stunt vorhatten, der dann meistens aus irgendeinem Grund nicht funktionierte. Einer wollte zum Beispiel Marilyn Monroe kidnappen. Das scheiterte dann daran, dass er ihre Adresse nicht rausbekam.“12

Innere Zerrissenheit
Spiekers Spielfilmdebüt war nicht nur ein kommerzieller Erfolg, sondern brachte ihm auch Bewunderung und Respekt von Kollegen ein. Die „Oberhausener Gruppe“ hatte sich längst in Lager geteilt – auf der einen Seite standen Künstler, die größten Wert auf Unterhaltung legten, auf der anderen Autorenfilmer, denen es um eine politische Botschaft ging. Spieker – zusammen mit Peter Schamoni – war einer der wenigen, die durch „Wilder Reiter GmbH“ von beiden Seiten akzeptiert wurden, indem er Unterhaltung mit Anspruch zu verbinden wusste. Volker Schlöndorff war nur einer der Kollegen, die von der Showbusiness-Satire eingenommen waren: „Ich war bei der Premiere. Wir waren alle begeistert, weil der Film sofort übersprang zum Publikum. Das war eine so tolle Stimmung im Saal, mit begeistertem Applaus.“

Wilder Reiter GmbH

Für Schauspieler Eckart Aschauer markierte „Wilder Reiter GmbH“ das Kino-Debüt. Später sollte er unter dem Namen Philipp Sonntag in populären Serien wie „Lindenstraße“ und „Sturm der Liebe“ mitwirken sowie eine kleine Rolle in Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ übernehmen. Sonntag und Spieker waren Mitbewohner, bevor sie Kollaborateure wurden. Der am Theater engagierte Darsteller hatte keine Bleibe, und so zog er für einige Monate in die Wohnung des Regisseurs in der Franz-Joseph-Straße in Schwabing. Als ein Apartment im selben Haus frei wurde, zog Sonntag eine Etage tiefer. „Er war ruhig“, schildert er, „hat immer gemalt und war nachts sehr lange wach, um zu malen. Da gab es auch immer Joints, das fanden wir damals noch lustig. Ich habe die ersten Joints mit Spieker geraucht. Wir waren alle mehr oder weniger Hippies.“ Die anarchische Hippiekultur wird nicht nur indirekt in Spiekers Satiren deutlich, sondern auch direkt, vor allem in „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ und „Kuckucksei im Gangsternest“, die mit knallbunten Spät-60er-Partys und Orgien enden.

Die innere Zerrissenheit Spiekers als Katholik und Hippie spiegelt sich nicht nur in seiner Arbeit wider, sondern beeinflusste auch sein Privatleben in der Beziehung zu Margret, einer ehemaligen Sekretärin der Produzenten Walter Krüttner und Rob Houwer. Margret war aus dem Osten geflohen, nachdem sie in Bautzen eingesessen hatte. Sie war extrovertiert und auch Fremden gegenüber warmherzig – das Gegenteil von Spieker, der zurückgenommen blieb und sich von der Ehe in seinen Bedürfnissen nicht beschnitten sehen wollte. Mitte der 70er zogen beide in die Heckscherstraße in Schwabing. Ihre Ehe war da bereits zerrüttet. Klaus Lea war ein enger Vertrauter Margret Spiekers: „Spieker und Adloff sind im Streit auseinandergegangen. Es ging weniger um Geld, sondern eher darum, dass der Adloff ihn bestimmen wollte – und dass er hinter der Margret her war. Da hat der Franz-Josef ihn mal die Treppe hinuntergestoßen, in der Wohnung der Heckscherstraße. […] Sie hat selten was von Franz-Josef erzählt. Sie hat nur von seinen Liebschaften erzählt.“

Franz-Josef Spieker als Mönch in „Kuckucksei im Gangsternest“

Franz-Josef Spieker, Hannah Schygulla, Rainer Basedow und Philipp Sonntag in „Kuckucksei im Gangsternest“

Franz-Josef, Margret, und die Frauen
Wenn in jener Zeit der Hippie-Kultur um 68 die freie Liebe auch als höchstes Ideal angesehen wurde, so zog sie gebrochene Herzen und frustrierende Enttäuschungen mit sich. Während einige sich kurzweiligen Liebschaften genüsslich hingaben, mussten andere entdecken, dass offene Beziehungen ihrem Wunsch nach emotionaler Bindung konträr entgegenstanden. („Es war die Zeit von „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment““, resümiert Philipp Sonntag). Im Kreis um Franz-Josef Spieker war es nicht anders. Produzent Joachim von Vietinghoff kann Spiekers Fremdgehen nicht bestätigen, merkt gleichzeitig aber an: „Er war kein Kind von Traurigkeit.“

Die charakterlichen Unterschiede zwischen Margret und Franz-Josef wurden auch jenen deutlich, die beide nur flüchtig kennenlernen sollten. Margarethe von Trotta drehte unter der Regie des Filmemachers 1970 „Drücker“, eine Auftragsproduktion für den WDR: „Ich erinnere mich noch an seine Frau. Mit der habe ich viel mehr Kontakt gehabt, die fand ich auch sehr nett. Sie war extrovertiert. Margret war direkt, mit der konnte man reden. Die war auch lustig.“ Trotta war besonders erfreut über die Präsenz Margrets am Set, da sie mit Franz-Josef als Regisseur haderte und sein Verhalten ihr gegenüber auf ein gestörtes Verhältnis zu Frauen zurückführte: „Was mich sehr amüsiert aber gleichzeitig auch verärgert hat: Als Schauspielerin wollte man auch mal eine Großaufnahme haben. Wir haben eine Großaufnahme angesetzt, aber dann hat Spieker immer gesagt, „Diese Kette ist ja auch noch schön, die will ich auch noch sehen.“ Dann ist er weiter weg gegangen mit der Kamera. „Ah, der Gürtel, der ist ja auch wirklich sehr gut“, und schon war man unten. Und dann hatte er noch die Schuhe im Blick, und plötzlich hatte man wieder eine Gesamtaufnahme und keine Großaufnahme. So war das mehrmals, dass er immer wieder einen Abstand hergestellt hat, auch weil er auf die Psyche gar nicht so eingehen wollte. […] Ich habe mir damals überlegt, „Was hat der Mann? Hat er ein Problem mit Frauen? Mag er sie nicht oder kann er einfach mit ihnen nicht gut?“ Er konnte gut mit seinen Schauspielern, mit [Werner] Enke und Sonntag. Mit ihnen hat er sich sehr gut verstanden.“

Die Figurenzeichnung der Frauen in seinen Filmen ist entlarvend. Die Frauen in „Wilder Reiter GmbH“ sind blasse Randfiguren – eine Mutter, eine Nonne, die Schaustellerin im Schaumbad, und zwei Prostituierte. Es sind die Prostituierte, die Spiekers Häme als einzige entkommen; bis eine von ihnen doch dem Versprechen von Reichtum erliegt. Die einzige entscheidende weibliche Figur in „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ ist die sexuell frustrierte Frau des Majors, deren Aufgabe es ist, den Hauptcharakter Jürgen zum Mann zu machen und ihn auf diese Weise von seinem Wunsch abzubringen, zum Militär zu gehen. Hannah Schygulla spielt in „Kuckucksei im Gangsternest“ eine Prostituierte ohne eigene Agenda, die in einer menage a quatre gefangen wird und sich von drei Gangstern missbrauchen lässt. Spiekers wie üblich passive Hauptfigur ist hier eine Frau, die nur anfangs aufbegehrt, ehe sie sich den Macho-Gebaren der unbeholfenen Verbrecher in einem Anflug von Stockholm-Syndrom hingibt.

Danebenstehen, schweigen, beobachten
Die Passivität wird ihrer Figur zum Verhängnis, ist aber im Spiekerschen Universum die Norm. Während die passive Hauptfigur in „Wilder Reiter GmbH“ der unbedarfte Georg (Bernd Herzsprung) war, wird sie in Spiekers nächstem Film, „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ von Werner Enke als Jürgen dargestellt. Enke sollte kurze Zeit später zu europaweiter Bekanntheit aufsteigen, als „Zur Säche, Schätzchen“ in die Kinos kam, eine turbulente Komödie, geschrieben von Enke und Lebensgefährtin May Spils. Der Film, der auch Uschi Glas zum Star machte, ist bis heute einer der kommerziell erfolgreichsten Werke der deutschen Filmgeschichte. Nachdem Enke sich für die Rolle des Georg in „Wilder Reiter GmbH“ erfolglos beworben hatte, erhielt er schließlich die Zusage für Spiekers nächste Satire: „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ verballhornt die Bundeswehr und stellt mit Jürgen einen jungen Mann in seinen Fokus, der sich nichts sehnlicher wünscht, als Fallschirmspringer zu werden. Sein Pech ist, dass er aufgrund eines Lungenleidens ausgemustert und in ein Sanatorium geschickt wird. Dort begegnet er zahlreichen skurrilen Figuren, von denen die einzig vernünftige die Frau des Majors ist, mit der Jürgen nach einigem Zögern anbandelt.

Werner Enke

Werner Enke

Als Bewunderer Spiekers war Werner Enke dankbar für die Rolle, wenn auch gehemmt, wie er zugibt: „Ich glaube, er war selber mal in einem Sanatorium und hat damit die Dinge aufgearbeitet, die er erlebt hat. Das hat er komisch verarbeitet. Ich spielte also quasi ihn. […] Spieker stand selber im Hintergrund und beobachtete. Die Hauptfiguren waren eher passiv. Ich wollte mehr aktive Sachen machen. Das wollte er aber nicht. Er war sehr bestimmt. Ich hatte ihm einen Haufen Vorschläge gemacht, die er aber nicht angenommen hat. Er hat alles so gelassen, wie er es wollte. Es gab da nichts zu bereden.“ Auch haderte Enke in anderer Hinsicht mit seiner Figur: „Ich war im Grunde eine Fehlbesetzung. Das ist einer, der unbedingt zur Bundeswehr will. Ich bin aber gegen die Bundeswehr. Ich wollte da nie hin.“

Als Satire auf die Bundeswehr funktioniert „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ aber nicht. Zwar legt Spieker genüsslich den Militärfetischismus offen, indem der Major und die Soldaten ihre sexuellen Begierden auf den Beruf verlagern („Mein Mann erzählt am Abend von seinen 42 Abschüssen“, beklagt sich die Frau des Majors), verzichtet aber darauf, die Figur des Jürgen auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Die Person, die sich nichts sehnlicher wünscht, als den Fallschirmjägern beizutreten, bleibt durchweg passiv, seine Motivation scheint ausschließlich von seiner sexuellen Frustration zu rühren. Eine Verwandlung durch die „wüsten Köpp“, wie Enke sie beschreibt und denen seine Figur in dieser episodenhaft angelegten Geschichte begegnet, bleibt ihm verwehrt. So findet der Film nie seinen Rhythmus und lebt stattdessen von kurzen Momenten der Absurdität und der augenzwinkernden Hommage (Spieker zollt Hitchcock Tribut, indem er Jürgen und die Frau des Majors von einem Hubschrauber auf offenem Feld verfolgen lässt). „Mit Eichenlaub und Feigenblatt verrät den verspielten kreativen Geist seines Schöpfers nur in kurzen Einstellungen: Wenn Jürgen Marihuana raucht, erlauben dessen Halluzinationen, Trickszenen einzusetzen. Da verwandelt sich Jürgen in ein Comicbuch-Monster, sieht ein gackerndes Huhn in der Tür stehen, und fährt mit seinem Bett durch den Frühlingswald. Hier scheinen die Qualitäten Spiekers durch, die sein Erstlingswerk als reiches Füllhorn an Ideen ausgezeichnet haben.

Eine Produktion wie ein Autounfall
Dabei ist es erstaunlich, dass man dem Film seine katastrophale Produktion nicht anmerkt: „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ sollte den Produzenten Walter Krüttner in den Ruin stürzen. Der beschwerte sich später in einem Interview: „Spiekers Film wurde ein Totalverlust  und kostete mich sage und schreibe zehn Jahre meines Lebens, bis ich die Schulden abbezahlt hatte und überhaupt wieder daran denken konnte, etwas zu produzieren.“13 Die Kosten für die Produktion waren aus dem Ruder gelaufen, beliefen sich bei Fertigstellung auf fast eine Million D-Mark. Eine horrende Summe nicht nur im Vergleich zu „Wilder Reiter GmbH“, der knapp ein Drittel dieses Betrags gekostet hatte. Doch Verzögerungen, Nachdrehs, Tonprobleme und eine dadurch aufwändige Nachsynchronisation hatten die Kosten explodieren lassen. An dem Desaster trug Walter Krüttner eine Mitschuld, wie Joachim von Vietinghoff betont, der vom Produzenten als Set-Aufnahmeleiter engagiert worden war: „Krüttner war ein Chaot. Er hat Hollywood gespielt. Er hat gedacht, Produzent zu sein ist doch toll. Er hat eine Rolle gespielt und nicht verstanden, dass Produzieren auch ein Handwerk ist. Er hat das Handwerk nicht verstanden, aber die Rolle gut gespielt. […] Es war furchtbar ein unprofessionell geplanter und durchgeführter Dreh. Franz-Josef hatte klare Vorstellungen davon, was er gerne machen würde. Wir waren am Starnberger See und haben in einer aufgelassenen Villa eine Party gedreht. Wir kamen morgens zum Drehort und da war nicht ein Komparse. Ich bin da aufgewachsen, also habe ich gesagt, „Ich fahre jetzt los“, und habe innerhalb von zwei Stunden 40 Komparsen aufgetrieben. Solche Geschichten gab es zuhauf.“

 

Bild: Walter Krüttner mit Neven du Mont (Credit: Bundesarchiv)Bildunterschrift: Walter Krüttner mit Neven du Mont (© Bundesarchiv)

Walter Krüttner mit Neven du Mont (© Bundesarchiv)

Nach dem Dreh stellte sich heraus, dass der Ton unbrauchbar war. Komponist Hans Loeper war engagiert worden, die Musik für „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ beizusteuern, doch musste er gegen widrige Bedingungen arbeiten, wie er später verbittert anmerkte: „Der war tontechnisch versaut. Ich habe den Film sehr gut gekannt, habe aber die Sprache nicht einmal verstanden. Das ist arg daneben gegangen.“14 Und tatsächlich wurden Loepers Beiträge nicht genutzt. Erich Ferstl, mit dem Spieker bereits für „Wilder Reiter GmbH“ kollaboriert hatte, sprang ein und lieferte die Filmmusik, arrangiert für Trompete und Gitarre.

Nachdrehs und Neusynchronisation waren kostspielig und bescherten nicht nur Krüttner schlaflose Nächte, wie sich Werner Enke erinnert: „Krüttner hatte irgendwann kein Geld mehr. Franz-Josef war bei mir und fragte mich, „Kannst du nicht auf deine Gage verzichten?“ Ich hatte aber nie Geld. May Spils hat mich immer über Wasser gehalten. Ich hab erst ab „Schätzchen“ Geld verdient. […] Wir haben nachsychronisiert. Dann war irgendwann das Geld alle. Dann hat mir [meine Kollegin] Ursula Barlen einen Tipp gegeben. Sie hat gesagt, „Du musst deine Rolle jetzt einfach halb-sychronisieren. Und dann musst du sagen, „Jetzt musst du mir das Geld geben, sonst synchronisiere ich nicht weiter.“ Das war eine böse Erpressung, aber ich habe doch noch die Hälfte meiner Gage, 7.000 Mark bekommen, von meiner Ursprungsgage.“

Bild: Mit Eichenlaub und FeigenblattBildunterschrift: Mit Eichenlaub und Feigenblatt

Mit Eichenlaub und Feigenblatt

Eine letzte Chance
Nach dem überragenden Erfolg von „Zur Sache, Schätzchen“ entschied sich Enke, nie wieder für andere Regisseure vor der Kamera zu stehen, sondern stattdessen mit Partnerin May Spils seine eigenen Filme zu entwickeln. Sein Filmhit stand in starkem Kontrast zur Rezeption von „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“, mit dem sowohl Krüttner als auch Spieker auf die Nase fielen. Die Komödie war ein finanzieller Misserfolg, die mit Spieker mehrere Dinge machte: Zum einen entschloss er sich, nie wieder für einen Produzenten zu arbeiten, zum anderen hatte er Geldprobleme, die ihn dazu veranlassten, Werner Enke um eine Leihgabe von 50.000 D-Mark zu bitten. Dieser lehnte ab, da er das Geld zu jener Zeit selber nicht besaß. Spieker wandte sich an seine Tante, die ihn finanziell unterstützte, und verließ sich auf die Gutmütigkeit von Paramount. Nach dem durchschlagenden Hit „Wilder Reiter GmbH“ war die amerikanische Firma auf den jungen Regisseur aufmerksam geworden.

So kam eine Zusammenarbeit für Spiekers nächsten Film, „Kuckucksei im Gangsternest“ zustande. Paramount co-finanzierte die Produktion im Austausch für die exklusiven Verleihrechte. Mit seiner eigenen Firma Cinema 80 entwickelte Spieker den Stoff, der in vielerlei Hinsicht „Wilder Reiter GmbH“ ähnelt. Auch hier steht ein moralisch verwirrter Bandenführer im Mittelpunkt – gespielt von Herbert Fux – der mit seinen Schergen, Rainer Basedow und Philipp Sonntag, in einer Ruine Überfälle plant. Da bringt ein Neuzugang in Form einer jungen Prostituierten – Hannah Schygulla – die etablierte Ordnung durcheinander. Die Frau, die einen Anschlag des Trios überlebt hat, wird zunächst als sexuelles Spielobjekt gefangen genommen, ehe sie sich als fester Bestandteil der Gruppe etabliert. „Kuckucksei im Gangsternest“ lebt dabei nicht von einer Geschichte, sondern von episodenhaft aneinandergereihten Beobachtungen der sich wandelnden Gruppendynamik. Die Assistenten des Bosses engagieren sich, ihren Brotgeber zu stürzen, schließen sich dann jedoch notgedrungen wieder zusammen, um der Polizei zu entfliehen, die sie in ihrem Versteck aufgespürt hat. Aus den Raubeinen werden Hippies, die in ihrer neuen Bleibe Orgien feiern, ehe sie auf einem Schlauchboot in einem Flusslauf ihr Finale erleben.

Hannah Schygulla in „Kuckucksei im Gangsternest“

Hannah Schygulla in „Kuckucksei im Gangsternest“

Zwar bietet Kuckucksei im Gangsternest eine charmante Hannah Schygulla in einer ihrer ersten Hauptrollen, bevor Rainer Werner Fassbinder zu einem Star machen sollte, doch hängt der Film als Ganzes nicht zusammen. Die Hoffnung Paramounts, den Erfolg von Wilder Reiter GmbH als zynisch-grelle Satire wiederholen zu können, sollte sich nicht erfüllen. Herbert Fux war, so behauptete er, von Anfang an skeptisch: „[Spieker] hat aber den generellen Fehler gemacht – und da kommt wieder die deutsche Mentalität zum Ausdruck –, nicht mit diesem Genre, diesem kritischen Realismus, weiterzumachen. Italiener, Franzosen oder Amerikaner wären nach diesem Erfolg bei dieser Linie geblieben. Er aber sagte: „Das interessiert mich nicht mehr, ich will Strukturen entlarven.“ Und ich fragte: „Was machst du?“ „Ich entlarve jetzt Strukturen. Das männliche und das weibliche Prinzip als Grundtypen. Das muß jetzt bildlich dargestellt werden.“ Sag‘ ich: „Ja und, was wird das?“ „Das wird ein interessanter Film, du brauchst ja nicht mitzumachen, wenn du nicht willst.“ Wir hatten kurze Zeit eine Auseinandersetzung, dann meinte ich: „Na gut, vielleicht geht’s. Wenn die Paramount sich sowas einsteckt, wundert mich zwar…“ So kam die Figur zustande, welche ein Mittelding zwischen Hitler, Nosferatu, Golem und Napoleon war.“15

„Unangenehm“
Paramount sollte ihre Entscheidung schnell bereuen, wenn auch die Produktion zuverlässiger organisiert wurde, als es bei Mit Eichenlaub und Feigenblatt der Fall gewesen war. Kuckucksei im Gangsternest fiel sowohl bei der Kritik als auch an den Kinokassen durch. Ähnlich schmerzhaft wie seine Rezeption dürfte die Arbeit mit jenen Schauspielern gewesen sein, die Spieker einst als Vertraute betrachtet hatte. Das Set war geprägt von Spannungen und offenen Auseinandersetzungen, die sowohl bei Philipp Sonntag als auch bei Joachim von Vietinghoff Spuren hinterließen. Ersterer erinnert sich: „Der Basedow hat in der Kneipe Simplicissimus immer ganz laut gesagt, „Den mag ich nicht“, wenn ich reingekommen bin. Diese Aversion ist entstanden beim „Kuckucksei“. Er hat immer gesagt, ich sei ein Narzisst, was ich vielleicht auch war.“ Sonntag lächelt verschmitzt und zuckt mit den Schultern, bevor er fortfährt: „Aber nur körperlich, nicht geistig. Ich glaube, das war schon eine Anti-Sympathie-Attacke, dieser Vorwurf. Der Mensch braucht Feindschaften.“

Herbert Fux und Hannah Schygulla in „Kuckucksei im Gangsternest“

Herbert Fux wiederum konnte Hannah Schygulla nicht ausstehen und ätzte direkt über sie, wie er Jahrzehnte später ohne Reue zugab: „Zur Schygulla haben wir gewöhnlich gesagt: „Du bayrische Kuh, red‘ einmal gescheit. Man versteht dich überhaupt nicht“, weil die so einen harten bayrischen Dialekt gesprochen hat. (Imitiert Schygulla) „Uhöuhuhoheu“. Schon damals hatte sie ein vollkommen steifes Gesicht. Bei Fassbinders erstem Film wurde sie dann ja als Medium genommen, sozusagen. Sie ist mir aufgefallen, weil sie im Gesicht nichts darstellen konnte – sie hatte keine Regung im Gesicht. Fassbinder hat sie dann zu einer Kultfigur gemacht, obwohl sie nicht spielen konnte. Wie der Berger, der nur durch Visconti aufgelebt ist. Da war ja nichts, null war da.“16

Vietinghoff ruft sich die Dynamik innerhalb der Gruppe mit Graus zurück ins Gedächtnis: „Entscheidend war, dass diese drei extrem unterschiedlichen Charaktere, die Hauptdarsteller, den Film gestört haben. […] Basedow und Fux waren ziemlich crazy. Die waren unangenehm beim Drehen. Die haben gefrotzelt. Der Basedow hat die Leute immer mies gemacht, das Team runtergemacht. Die haben sich privat so gehackt. Das hat den ganzen Dreh und auch den Film gestört. Die haben letztendlich auch gegen Franz-Josef gearbeitet. Das war ein Ensemble, das nicht funktioniert hat. Bei so einem Film muss alles zusammenkommen. Fux war durch Wilder Reiter GmbH ein Star, eine Kultfigur. Als Kultfigur ist er in den Film rein, aber das sollte nicht sein. Er sollte seine Rolle spielen. Stattdessen hat er seine Figur weiter gespielt.“

Die Bruchlandung von Kuckucksei im Gangsternest war auch deshalb so schmerzhaft, weil die Zeichen zunächst gut gestanden hatten: Der Film war vollständig finanziert, Spieker hatte bei allen kreativen Entscheidungen freie Hand, und mit Hannah Schygulla eine starke Leinwandpräsenz an seiner Seite. Ohnehin hätte die Produktion ein intimes Familienfest werden können: Spieker war wiedervereint mit Fux, Basedow und Sonntag; hatte mit von Vietinghoff einen befreundeten Produktionsleiter hinter sich stehen; spielte selbst einen Mönch, und überließ eine kleine Rolle Susanne Schimkus, der ehemaligen Produktionssekretärin seines einstigen Gegners Walter Krüttner. Schimkus war nicht nur die Partnerin Vietinghoffs, sondern hatte ihre gute Freundin Schygulla gar für die weibliche Hauptrolle empfohlen.

Die Kritik wendet sich ab
Die Freunde blieben Spieker zwar, doch seine einstigen Unterstützer wandten sich nach der Premiere von Kuckucksei im Gangsternest enttäuscht von ihm ab. Die einstige Nachwuchshoffnung des Neuen Deutschen Films hatte ihre Erwartungen nicht erfüllen können, und ihrem Ärger machten sie nun Luft. Den Stimmungswandel in der Presse verdeutlicht nichts besser, als ein Vergleich der Besprechungen in der „Filmkritik“  – der deutschen Cahiers du Cinéma. Über Wilder Reiter GmbH schrieb man da: „“Wilder Reiter GmbH“ ist der erste deutsche Cineastenfilm. […] Als echter Cineastenfilm ist Spiekers Film natürlich auch ein Film über den Film, der seine eigene Erscheinungsweise bricht sowohl durch die Darstellung von optischen Phänomenen als auch durch die Darstellung der Schwierigkeiten, die Geschichtenerzählen heute mit sich bringt. […] Der ganze Film ist eine einzige Aufforderung, dem Augenschein zu misstrauen; das heißt, er warnt den Zuschauer auch vor sich, vor dem Film selber. […] Außer einem Film über Film ist der Wilde Reiter so auch ein Film über Interpretation.“17

Entschieden verhaltener viel die Rezension für Mit Eichenlaub und Feigenblatt aus: „Die extreme Typisierung und Reihung markanter Kennzeichen, die eine politische Mentalität satirisch signalisieren sollen, bleiben allzusehr im Äußerlichen, Habituellen und Physiognomischen verhaftet und erzeugen nicht mehr als manchmal komische, oft aber schale Theatereffekte. […] An die Stelle von Geschichte treten Schreckbilder oder Witzfiguren, die man idiosynkratisch ablehnen oder belachen kann, daher nicht mehr begreifen zu müssen glaubt.“18

Die ausgesprochen aggressive Reaktion auf Kuckucksei im Gangsternest setzt die steil nach unten laufende Kurve in der Rezeption fort, als sähe die „Filmkritik“ sich persönlich von Spieker betrogen: „Welcher Spieker-Epigone – denkt man, wenn man ratlos und geschmerzt im Kino sitzt – hat denn da verblasste Erinnerungen an den Wilden Reiter zu einem plattfüßigen Eunuchen-Klamauk rund um die schöne Hannah Schygulla verarbeitet? Siehe, es war Spieker selbst; schon immer unsicher, ob er sich für Figuren oder Situationen interessieren sollte, hat er sich diesmal für ein klares Weder-Noch entschieden.“19

Nicht länger vermittelbar
Franz-Josef Spieker stand am Ende einer einst vielversprechenden Karriere. Joachim von Vietinghoff hätte gerne weitere Filme mit seinem mittlerweile engen Freund gedreht, doch die Geldgeber ließen sich nicht überreden: „Der Schaden war immateriell, weil man seine Verrücktheiten dann nicht mehr sehen wollte. Wilder Reiter GmbH war noch ein Renner, zumindest im kleinen Sinne. Der wurde anerkannt. Dann war es das einfach nicht mehr. […]  Ich konnte ihn nicht vermitteln irgendwo – und er sich selber auch nicht.“ War Franz-Josef Spieker seiner Zeit zu weit voraus? Was ihm blieb war der Respekt seiner Kollegen, wie Alexander Kluge betont, als er auf die kommerziellen Enttäuschungen angesprochen wird: „Er war gerade durch „Wilder Reiter“ angesehen unter uns. Wir haben ja auch eine Rangordnung gehabt. Da galt er nicht als erfolglos. Wenn man kommerziell erfolglos ist, ist man in der Filmgeschichte noch längst nicht erfolglos. Das lag nicht an den Filmen, sondern dass er früh war – in der Zeit vor Fassbinder noch. Später wäre er längst stärker beachtet worden.“

Franz-Josef Spieker (links) mit einem Ei in der Hand

Franz-Josef Spieker (links) mit einem Ei in der Hand (© Oliver Fries)

Spiekers Misserfolge nährten seine Ablehnung gegenüber der deutschen Filmwirtschaft, die seine Kunst nicht zu schätzen wusste. Spieker sollte noch einige Jahre in Deutschland bleiben und sich mit Auftragsarbeiten über Wasser halten. Einen Achtungserfolg erzielt er 1970 mit seinem knapp einstündigen Fernsehfilm Drücker, den er für den WDR in Zusammenarbeit mit Otto Jägersberg verantwortete. Ähnlich wie in Wilder Reiter GmbH und „Mit Eichenlaub und Feigenblatt“ nimmt Spieker auch hier das konservative Bürgertum aufs Korn – dieses Mal in Form eines Melodrams, in dessen Zentrum der „Drücker“ Hugo als Klinkenputzer steht. Der schließt einen Vertrag mit einem Postbeamten ab, in dessen 17-jährige Tochter er sich alsbald verliebt. Hugos Vergangenheit als Verkäufer von Enzyklopädien lässt der Regisseur hier in Rückblenden aufleben, verweigert seinem tragischen Helden aber ein Happy End: Sein Bedürfnis nach Sicherheit ist stärker als jenes nach Freiheit. Hugo kehrt an den heimischen Herd und somit in die Abhängigkeit zurück, nachdem die Tochter seines Kunden ihn als Spießer entlarvt hat.

Die „Stuttgarter Zeitung“ sah in ihrer Kritik eine vielversprechende Zukunft für Spieker als angesehenen Fernsehfilmer: „Franz Josef Spiekers Einstand ins Fernsehfilmgeschäft hätte kaum ansehnlicher ausfallen können. Was der eigenwillige Kinofilmer (…) aus Otto Jägersbergs satirisch angelegtem Roman ‚Nette Leute’ machte, war ein Prachtstück bester Fernsehkost: amüsant, verspielt, und mit jenem Schuß überdrehter Unterhaltsamkeit, der genußreichen Beschaulichkeiten immer wieder nur so zum Spaß überraschend aggressive Brocken in den Weg legt.“20 Doch Spieker lehnte eine Zusammenarbeit mit Fernsehanstalten nach „Drücker“ kategorisch ab. Die Vorgaben des WDR sah er als eine Art der Zensur, die ihn dazu veranlassten, in einem Artikel für den „Spiegel“ seinem Ärger Luft zu machen. Der WDR war an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert.

Flucht
Franz-Josef Spieker fokussierte sich mit seiner Firma Cinema 80 auf die Produktion von Kurzfilmen. Um Geld zu verdienen, ließ er sich 1973 vom Bayerischen Rundfunk dazu überreden, zwei Episoden der Kindersendung „Das feuerrote Spielmobil – Geschichten mit Philipp Sonntag und seinem Traummobil“ zu schreiben und zu inszenieren. Sein enger Freund Eckart Aschauer war damit zum Fernsehliebling geworden. Sein Künstlername Philipp Sonntag war ihm von niemand Geringerem als Spieker vorgeschlagen worden. Spiekers Einfluss auf Sonntags Karriere und somit auch auch auf das „feuerrote Spielmobil“ ging darüber hinaus. Das Traummobil, das Sonntag in der Serie fuhr – ein Ford Transit – wurde von Spieker auf dem Hof des Bayerischen Rundfunks in Unterföhring bemalt. Es ist das einzige Mal, das eine seiner Malereien öffentlich zu sehen war. Bestrebungen, seine abstrakten Kunstwerke auszustellen, gab es nicht.

Philipp Sonntag in seinem Traummobil (© BR)

 

In der Heckscherstraße lebten Margret und Franz-Josef eher nebeneinander statt miteinander. Ihre Ehe erodierte langsam. Spieker wandte sich verstärkt der Arbeit im Ausland zu, reiste nach Indien und Asien, um dort Kurzfilme zu drehen – Pashupatinath Abendraga zum Beispiel über ein Ritual an Tempelstätten des Hinduismus. Während Margret ihn zunächst noch auf seine Reisen ins Ausland begleitete, sollte ihr Mann bald alleine in das Flugzeug steigen. Klaus Lea, der die Wohnung in der Heckscherstraße renovierte, erinnert sich an die Zeit der Friktion: „In der Zeit kam der Franz-Josef gerade aus Indien zurück. Er blieb nur ein paar Tage, wollte nur ein paar Dinge erledigen und war schon wieder weg. Er hatte nicht vor, in Deutschland zu bleiben. Er hatte die Filmerei, das Geschäft hier, ziemlich satt. Er hatte eine Liebschaft, und das mit Margret war auch auseinandergegangen. Es ging einige Jahre gut. Zu der Zeit als ich die Wohnung renovierte, war sie drauf und dran da schon auszuziehen und eine kleinere Wohnung zu nehmen.“

Margret war einst seine stärkste Unterstützung gewesen, hatte ihm im Büro unter die Arme gegriffen, Drehs mit organisiert und auch kleinere Rollen in seinen Filmen übernommen. Doch berufliche Frustrationen, Franz-Josefs Affären, und finanzielle Probleme belasteten die Ehe. Während Franz-Josef nach Asien reiste, um Filme zu drehen, blieb Margret in München – und sah sich in der Pflicht, jene Verantwortungen zu übernehmen, für die sich ihr Mann nicht zuständig sah. Klaus Lea sieht das Verhalten des Filmemachers kritisch: „Sie hatte Ärger mit dem Finanzamt, die Tiefenprüfung gemacht haben. Ständig waren Beamte da und haben die Bücher kontrolliert. Sie hat viel Ärger gehabt. Dem Ärger ist Franz-Josef aus dem Weg gegangen. Er wollte nichts damit zu tun haben.“

Enttäuschte Hoffnung, bestätigte Verbitterung
Die Prüfung der Bücher von Cinema 80 konnte erfolgreich abgeschlossen werden, vergrößerte aber den Riss zwischen Margret und Franz-Josef. Dieser sollte einen letzten Achtungserfolg mit seinem Kurzfilm Persönlichkeitstest erzielen, der 1977 mit dem Filmband in Silber ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr rechnete er öffentlich mit der Bewegung Neuer Deutscher Film und auch den aus seiner Sicht zweifelhaften Erfolgen des Oberhausener Manifests ab, als er in der „FILM-Korrespondenz“ schrieb: „Alles, was beim Manifest herauskam, war das „Kuratorium Junger deutscher Film“, ein äußerst schwaches Instrument in den Händen deutscher Oberlehrer. Grundsätzlich änderte sich nach Oberhausen in Struktur und Haltung der Branche nichts – nur, dass es ein kleines Reservat für einige Filmemacher gibt. Der Fehler war, dass die Unterzeichner des Manifests die Praxis nicht anderen hätten überlassen dürfen. Mich selbst sehe ich im Abseits und durch das derzeitige Förderungssystem etwas frustriert: 13 Spielfilmprojekte habe ich in diesen Jahren eingereicht, alle wurden zurückgewiesen. So habe ich jetzt Dokumentationen in Asien gedreht, mich mit dortigen Themen befasst – vielleicht, dass daraus einmal ein Spielfilm kommen wird…“21

Alexander Kluge hat Verständnis für Spiekers Frustration und zeichnet ein Bild der damaligen Filmwirtschaft in Deutschland, die den einst jungen Wilden stets misstraut hat: „Wir haben 1962 angefangen. „Wilder Reiter“ ist in der ersten Welle noch mit dabei. 1967-68 folgte die Gegenreaktion der Filmbranche, der Filmwirtschaft. Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft ist im Wesentlichen amerikanisch beherrscht. Es ist die neue UFA. Da bin ich ganz auf der Seite von Spieker. Das „Kuratorium Junger Deutscher Film“ kann nicht viel Mist gemacht haben, denn die haben immer nur den ersten Film eines Regisseurs gefördert und niemals mehr als mit 50.000 oder 100.000 D-Mark. Das war keine große Finanzierungsquelle. Die Filmförderungsanstalt, die wir das Schnulzenkartell nannten, hatte sich als Gegenreaktion etwas Einfaches ausgedacht, indem sie an der Kinokasse eine Abgabe erhoben haben. Jede Kinokarte zahlt 20 Pfennig. Das Geld wird verteilt auf Filmemacher, deren vorheriger Film erfolgreich war. Wer nicht 200.000 Mark schon verdient hat, fällt aus der Förderung ganz heraus. Das ist gegen den 100.000 Mark-Zuschuss vom Kuratorium ein sehr beachtlicher Betrag. Diese Förderung wiederum hat alle Preise in der Filmbranche wie eine auf die Branche bezogene Inflation angehoben, sodass an der Inflationierung der Preise im Filmgeschäft alle teilnehmen. Aber an dem Ausgleich, nämlich der Filmförderung, nehmen nur die teil, die einen großen Erfolg haben; jene, die über 200.000 Mark einnehmen. Diese Schwelle kann nur erreichen, der einen Verleihvertrag hat und von den Kinos angemietet wird. Da können weder Spieker noch ich dabei sein. Das war die Wiedererstellung der Altbranche mit begrenzten Mitteln.“

Unfall oder Black Magic?
Aus Spiekers Kurzfilmen sollte nie ein Spielfilm werden. Am 18. März 1978 stirbt er auf Bali. Er ist 44 Jahre alt. Der genaue Umstand seines Todes ist bis heute ungeklärt. Gerüchte ranken sich um sein Ableben, die sich gegenseitig widersprechen. Einige Quellen behaupten, er sei ertrunken. Andere versichern, er sei als Opfer eines Ritualmordes getötet und ohne Augen und Genitalien zurückgelassen worden. Sicher ist, dass er leblos am Strand gefunden wurde. Die Gerüchte rühren auch daher, dass selbst Margret Spieker die Wahrheit nie herausfinden konnte, wie sich ihr späterer Lebensgefährte Michael Schwarz erinnert: „Asien war eine seiner Traumdestinationen auch zum Filmemachen. Davon hat sie schon mal erzählt, wenn auch nicht intensiv. Das Thema um Franz-Josef war eher: Wie ist er ums Leben gekommen? Es gab tausend Gerüchte um Black Magic und alles mögliche. Die haben sich nie geklärt. Er ist irgendwo angespült worden am Strand mit Verletzungen. Manche haben gesagt, Vögel hätten ihm die Augen ausgepickt. Wir haben das auch nur aus Entfernung gehört. Die waren auch auf Bali nicht kooperativ, weil die Sorge hatten, solche Geschichten schaden dem Tourismus.“

Ehemalige Freunde und Weggefährten reimten sich eine Geschichte zusammen, die ihnen am plausibelsten erschien. So spekulierte Herbert Fux auf einer öffentlichen Veranstaltung unumwunden: „Auf Bali gab es damals noch so religiöse Sekten in Höhlen, aber heute ist das nicht mehr so. Die hat er gefilmt, was strengstens verboten war. Und da gibt es eine Version, die besagt, daß er sich umgebracht hätte, und die andere – das ist die Version, die wahrscheinlich stimmen wird –, dass sie ihn umgebracht haben, daß sie ihn erwischt haben beim Filmen. Jedenfalls ist er am nächsten Tag am Strand angespült worden, ohne Augen und ohne Genitalien. Vielleicht hat’s auch ein Fisch da abgefressen, aber ich glaube, den haben sie gekillt. Ich kann mich erinnern, daß es damals von verschiedenen Seiten Interesse gab, diese Sekten zu filmen, was keinem gelungen ist. Spieker hat sich jedenfalls in eine Höhle eingeschwindelt und die Aufnahmen gemacht.“22

Die Gerüchte wurden angefeuert durch den Umstand, dass die von Spieker auf Bali geschossenen Filmrollen schwarz zurückkamen – alle seine Aufnahmen waren gelöscht worden. Jegliche Nachweise seines möglichen Tuns waren laut Klaus Lea für immer verloren: „Margret hat es erhalten, aber es muss durch eine Zollkontrolle oder Röntgenstrahlen gegangen sein bei der Abfertigung. Die Aufnahmen waren weg, unverwertbar.“ Naheliegend ist, dass es sich um einen Kurzfilm über hinduistische Zeremonien gehandelt hat, stammt der Titel, „Nirmala“, doch aus dem Sanskrit und bedeutet Reinheit, direkt übersetzt: „ohne Flecken“.

Der frühe Tod Spiekers sendete Schockwellen durch die Filmgemeinde Deutschlands. Margarethe von Trotta fasst die kollektive Überzeugung zusammen: „Das hat uns alle sehr erschüttert, dass er am Strand gefunden wurde. Wir haben uns überlegt, was ist da passiert? Ich denke, er ist da auf eine Geheimsekte gestoßen, die ihn als Eindringling empfunden und ihn deswegen umgebracht hat. So haben wir uns das vorgestellt.“

Ein Ende im Alkohol
Ein Happy End blieb auch Margret Spieker verwehrt. In den Jahren nach Franz-Josef Spiekers Tod wurde sie von Geldsorgen geplagt, ehe sie durch das Erbe ihres Vaters zur fünffachen Millionärin wurde. Ihr Vermögen wollte sie, die zwischenzeitlich nach Berlin gezogen war, auf die Verwirklichung ihres großen Traums verwenden: eine Verfilmung von Franz Werfels Roman „Stern der Ungeborenen“. Sie kaufte die Lizenz und machte sich mit Michael Schwarz als Produzent an die Entwicklung eines Drehbuchs, die sich schwieriger gestaltete als erhofft. Das Buch war derart komplex, dass mehrere Drehbuchautoren an einer Adaption scheiterten. Zwar traf sich Schwarz regelmäßig mit Terry Gilliam, damit dieser als Regisseur die Entwicklung vorantreiben könnte, doch hatte der renommierte Filmemacher zu jener Zeit andere Prioritäten – allen voran sein Passionsprojekt „Don Quichotte“, das er umsetzen wollte. „Stern der Ungeborenen“ ist bis heute nicht verfilmt worden.

Der größere Schicksalsschlag ereilte Margret, als sie den Fehler beging, den Rest ihres Vermögens einem Anwalt aus Magdeburg anzuvertrauen. Dieser entpuppte sich als Spieler, der nicht nur ihr Geld, sondern auch das anderer Mandanten verlor. Sie verfiel zunehmend der Alkohol- und Drogensucht, die ihre Beziehungen zerstörte. Klaus Lea hat sie die letzten Jahre als enger Freund begleitet und zeichnet das düstere Bild vom Finale eines Lebens: „Sie wollte nicht alleine wohnen. Sie war auf Drogen und Alkohol. Mehr auf Alkohol als auf Shit, aber beides zusammen hat sie umgebracht – und der Kater, den sie da immer gehabt hat. Sie hätte noch ein bisschen länger leben können, wenn sie sich zusammengenommen hätte, aber sie wollte nichts tun und ist drauf gegangen. Sie ist deshalb so schnell gestorben auch, weil sie ihr ganzes Geld verloren hat. […] Das konnte sie nicht aushalten. Mit Geld wäre es noch eine Weile gegangen. Die letzten 14 Tage habe ich nicht miterlebt, da war sie bei Freunden, die sie gepflegt haben. Denen hat sie das letzte Geld gegeben, das sie noch hatte. Sie hatte noch einen Hof an der Ostseeküste. Den hat sie noch schnell verkaufen können an einen ehemaligen DDR-Offizier, der seinen Ruhestand dort verbringen konnte. Da hat sie 50.000 Euro bekommen. Das haben die beiden Frauen erhalten, die sie bis zum Ende gepflegt haben.“

Margret Spieker stirbt, kaum 60 Jahre alt, Anfang der 2000er Jahre in München. Über Franz-Josef hatte sie schon lange nicht mehr gesprochen. Die einstige Nachwuchshoffnung des deutschen Films war nicht länger ein Thema. Und so hat sich Franz-Josef Spieker langsam aufgelöst. Der ehemalige Assistent von Stanley Kubrick feierte mit Wilder Reiter GmbH einen bahnbrechenden Durchbruch, enttäuschte seine Förderer dann mit zwei Flops, die bis lange nach seinem Tod nicht im Fernsehen liefen und stattdessen schnell in Vergessenheit gerieten. Aus seinem familiären Umfeld flüchtete er, um sich intensiver mit hinduistischer Philosophie und Kultur zu beschäftigen. Als er 44-jährig auf Bali stirbt, war er in seinem Heimatland längst zu einer Randfigur um das Oberhausener Manifest geworden. Am Ende sprach nicht einmal mehr seine Witwe über ihn.

 

1 Spieker, F.-J: Stanley Kubrick, Jahrgang 28. In: F 58 Heft 1, 116
2 Patalas, E; Grafe, F. V. Franz-Josef Spieker. In: Filmkritik Heft 2/1967, 68
3 https://www.spiegel.de/kultur/thema-nummer-eins-a-2062e18e-0002-0001-0000-000045141373
4 https://www.spiegel.de/kultur/thema-nummer-eins-a-2062e18e-0002-0001-0000-000045141373
5 Grafe, F. Hütet eure Töchter! In: Filmkritik Heft 8/1964, 414
6 Patalas, E; Grafe, F. V. Franz-Josef Spieker. In: Filmkritik Heft 2/1967, 70
7 https://www.spiegel.de/kultur/brisanz-vom-stellvertreter-a-fd068255-0002-0001-0000-000046266335
8 Kniep. J. (2010) Keine Jugendfreigabe! Filmzensur in Westdeutschland 1949-1990, S. 215
9 http://www.sonderland.org/wp-content/uploads/2010/09/Programmheft2001.pdf
10 https://film.terrorverlag.de/events/fux/
11 https://www.youtube.com/watch?v=KaLnYShOsls
12 Patalas, E; Grafe, F. V. Franz-Josef Spieker. In: Filmkritik Heft 2/1967, 68
13 Lewandowski, R. (1982): Die Oberhausener – Rekonstruktion einer Gruppe 1962-1982, S. 99
14 Lewandowski, R. (1982): Die Oberhausener – Rekonstruktion einer Gruppe 1962-1982, S. 118
15 https://film.terrorverlag.de/events/fux/
16 https://film.terrorverlag.de/events/fux/
17 Grafe, F. Wilder Reiter GmbH. In: Filmkritik, Heft 2/1967, 83-84
18 Schober, S. Mit Eichenlaub und Feigenblatt. In: Filmkritik, Heft 5/1968, 131
19 Jenny, U. Kuckucksei im Gangsternest. In: Filmkritik, Heft 2/1970, 104
20 https://www.dhm.de/zeughauskino/vorfuehrung/druecker-2569/
21 FILM-Korrespondenz Nr. 3 / 8. März 1977, Seite 5
22 https://film.terrorverlag.de/events/fux/