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The Black Dahlia – To Live and Die in L.A.

To Live and Die in L.A.

| Reinhard Jud |

Der 58-jährige James Ellroy gilt als der härteste und kompromissloseste (Kriminal-) Autor der USA.Seine düsteren und sprachgewaltigen Romane spiegeln immer auch den Kampf mit seinen eigenen Dämonen wider.

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James Ellroys Erfolgsgeschichte: Kind einer zerrütteten Ehe, die Mutter wird ermordet, als er elf Jahre alt ist. Er gerät aus der Bahn, bricht die Schule ab, verfällt dem Alkohol und Amphetaminen, arbeitet in einem Pornoladen in Hollywood, haust in billigen Hotels. Mitte 20 verliert er den Verstand. Er erwacht auf dem Dach über der Wohnung eines Freundes und kann sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Es folgen Krankenhausaufenthalt und Entzug, er beginnt Kriminalromane zu schreiben, erregt damit zunehmend Aufsehen.

Mit einer Serie von Büchern über das Los Angeles der 40er und 50er Jahre, das „L.A. Quartett“, sprengt er die Grenzen des Genres. Die anschließende Trilogie über die Zeit tiefer gesellschaftlicher Umbrüche zwischen 1959 und 1972 verlegt er in die Sphäre amerikanischer Hochpolitik. Ende der 90er Jahre kommt Curtis Hansons Verfilmung seines Romans L.A. Confidential in die Kinos, und es gibt eine Oscar für die Darstellerin Kim Basinger. Kürzlich, beim Filmfestival in Venedig, erfolgte die Premiere der Verfilmung von The Black Dahlia, dem ersten Teil des „L.A. Quartetts“, und schon seit einiger Zeit wird die Herausgabe von Police Gazzetta, dem Abschluss seiner Trilogie angekündigt, das Buch erscheint aber nicht. Noch nicht.

2003 sitzt James Ellroy in einem Hotelzimmer in Los Angeles. Er steht kurz davor, ein zweites Mal den Verstand zu verlieren. American Tabloid, sein Roman über John F. Kennedy und die Kubakrise ist ihm noch leicht von der Hand gegangen. Beim Nachfolgeband The Cold Six-Thousand, einer immensen Steigerung mit den Themen Robert Kennedy, Vietnam und noch mehr Drogenlieferungen als während der Kubakrise, hat er sich körperlich eindeutig übernommen. Die Folge ist anhaltende Schlaflosigkeit. Die Promotiontour durch die USA und Europa, nicht zuletzt das Geifern von Journalisten nach markigen Sprüchen, führt zum Nervenzusammenbruch. Die Ärzte verschreiben ihm Psychopharmaka, Ellroy gerät in Abhängigkeit.

Ein einsamer Raum, draußen die Millionenstadt. Die Vorstellung von einem medikamentensüchtigen Erfolgsschriftsteller in einem luxuriösen Hotelzimmer erinnert an Hollywood Babylon von Kenneth Anger. An Fotos von verglühenden Stars und Starlets, von Regisseuren im letzten Drogentaumel. Selbst das Familiendrama ist inkludiert, denn Ellroys Ehe befindet sich im Stadium der Zerrüttung.

Ellroy hatte Los Angeles bereits Anfang der 80er Jahre verlassen. 3000 Meilen entfernt schrieb er in einem abgelegenen Kellerbüro in Eastchester im Norden von New York eine dreiteilige Serie um den Polizeidetektiv Lloyd Hopkins, der seinen ersten Einsatz 1965 bei den Unruhen von Watts erlebt, und sein „L.A. Quartett“, dessen letzter Band White Jazz 1992, im Jahr der Rodney King-Riots erschien. White Jazz ist in einem Ausmaß dunkel und apokalyptisch, dass er, auch wenn der Begriff Meilenstein angebracht erscheint, thematisch und stilisitisch kaum in den Bereich der Vorstellbarkeit der Masse mittelständischer Kriminalschriftsteller gelangen wird.

Ellroy meinte damals, mit seiner Heimatstadt abgeschlossen zu haben. Sie erschien ihm zu hässlich und zu gefährlich, um jemals wieder ein Buch darüber schreiben zu können. Er besiegelte seine zweite Ehe mit der angehenden Literatin Helen Knode und leistete sich nach einem Vertrag mit dem angesehenen Verlag Alfred Knopf ein Haus in Connecticut in Nachbarschaft zu New Yorker Celebrities wie Lou Reed.

Noch einmal aber sollte er über seine Vergangenheit schreiben. Dreharbeiten zu meinem Dokumentarfilm brachten ihn zum ersten Mal bei Tageslicht, davor war er bereits einmal nachts mit dem Auto hingefahren, an den Fundort der Leiche seiner Mutter am Sportplatz der Arroyo Highschool im Industrieviertel von El Monte im Osten von Los Angeles. Er beauftragte einen Detektiv zur Lösung des ungeklärten Falls, begleitete ihn bei Recherchen, die wiederholt ins Nichts führten und verfasste My Dark Places mit den Zentralfiguren James und Jean Hilliker Ellroy. Das verstörte Kind und dessen Mutter, Schönheitskönigin aus Wisconsin, Krankenschwester mit Neigung zu Männern und Alkohol, ermordet am Ende einer ausgedehnten Zechtour.

Ellroy lebte damals bereits in Kansas City und kultivierte gemeinsam mit seiner Ehefrau weiterhin den zurückgezogenen Lebensstil. Er konzentrierte sich auf The Cold Six-Thousand und begann mit Vorarbeiten zum nächsten Band Police Gazzetta über die erste Amtsperiode von Richard Nixon, die Eskalation des Krieges in Südostasien und die bürgerkriegsähnlichen Zustände in den USA. Nach dem Nervenzusammenbruch suchte er neuen Frieden in einem Haus in Carmel an der Westküste, bereits gefährlich nahe an Los Angeles. Besuche und das Auffrischen von Freundschaften konnten nicht unterbleiben, er unterzog sich einer Entziehungskur, um die Abhängigkeit von den Tabletten zu unterbinden, die Ehe ging in Brüche.

Im Mai 2006 kehrte James Ellroy endgültig wieder zurück nach Los Angeles. Er lebt in der alten, mittlerweile zu Koreatown mutierten Nachbarschaft zwischen Beverly und Wilshire Boulevard, an der Western Avenue zwischen Downtown und Hollywood. Nicht weit von der ehemaligen Wohnung seines Vaters, in die er nach dem Tod der Mutter gezogen war. Am Beverly Boulevard, an der Ecke zur Norton Avenue, die er mit dem Fahrrad zum Fundort der Leiche der Schwarzen Dahlie hinunterfuhr: Norton Avenue, 39. Straße.

„I love You, I hate You, I need You“, schreibt er über seine anhaltende Affäre mit der Stadt. Und er schwört, im Anschluss an seinen nächsten Roman Police Gazzetta bis an sein Lebensende nur noch über Los Angeles zu schreiben. Gut für Los Angeles, gut für mich.

Reinhard Jud war in den späten 80er Jahren Chefredakteur der Zeitschrift FilmLogbuch. Seither arbeitet er als Regisseur, Drehbuchautor und Dramaturg. 1993 drehte er den weltweit viel beachteten Dokumentarfilm James Ellroy – Demon Dog of American Crime Fiction.