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Filmkritik

The Card Counter

| Oliver Stangl |
Der Spieler & Schuld & Sühne

Wer in Zeiten von Superhelden-Filmen kleinere Filme dreht, braucht Selbstbewusstsein. Und das hat Paul Schrader in rauen Mengen: So hat er The Card Counter kürzlich gleich selbst zum besten Film des Jahres erklärt. Ob dem wirklich so ist, werden wir als alte Superlativ-Skeptiker an dieser Stelle nicht aufklären, aber der Film hat was.

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Zunächst zur Handlung: William Tillich reist unter dem Pseudonym William Tell von einem US-Motel zum anderen. Der ehemalige Soldat, der im berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis brutale Verhörmethoden anwandte und deshalb verurteilt wurde, hat sich hinter Gittern das Kartenzählen beigebracht. Nun gewinnt er in Casinos bewusst überschaubare Beträge, um unter dem Radar zu bleiben. Tells streng reglementiertes Leben erfährt eine Unterbrechung, als er bei einer Hotel-Tagung zufällig Major John Gordo (Willem Dafoe) sieht, jenen Mann, der ihn zum Folterer ausbildete, selbst aber nie Rechenschaft ablegen musste. Tell will schon weiterziehen, als ihn ein junger Mann namens Cirk (Tye Sheridan) um Hilfe bittet: Sein Vater sei ebenfalls von Gordo ausgebildet worden, habe danach ihn und seine Mutter misshandelt und anschließend Selbstmord verübt. Tell nimmt den Jungen mit auf Reisen und versucht, ihn vom Vorsatz brutaler Rache an Gordo abzubringen. Er ist sogar bereit, von seinen Gewohnheiten abzuweichen und für die Spieler-Managerin La Linda (Tiffany Haddish) zu arbeiten: Ein paar Monate als Promi-Pokerspieler sollen genügend Geld einbringen, um Cirk ein neues Leben zu ermöglichen. Kann Tell Cirk retten und somit selbst eine Art Buße tun?

Da sind sie wieder, die Einflüsse von Bressons Pickpocket, einem der absoluten Referenzfilme Schraders: Das Thema „ein Mann und sein Zimmer“ wird hier anhand der vielen Motels ebenso zelebriert, wie es eine Hommage an das Pickpocket-Ende gibt (und somit auch an Schraders eigenen Light Sleeper, dessen Finale ebenfalls Bresson zitierte). Und da Pickpocket bekanntlich auf Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ basiert, stellen sich die Fragen nach Schuld und Sühne wie von selbst. So ungewöhnlich die Kombination von Spielerfilm und Kriegstraumabewältigung auch ist – der Film punktet zudem mit einem ruhigen, geradezu meditativen Rhythmus –, so vorhersehbar und konstruiert wirkt manches Element.

Doch hat Schrader mit Oscar Isaac ein Ass im Ärmel: Seine Performance als Gequälter, der sich einem strikten Kodex unterworfen hat, ist magnetisch und intensiv. Wer sich – trotz mancher Gambling-Weisheit – keinen klassischen Spielerfilm erwartet, sondern moralische Einzelgängerdramen schätzt, bekommt ein Full House in die Hand.