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The Favourite

Three Women

| Jörg Schiffauer |
Yorgos Lanthimos arbeitet erstmals ohne eigenes Drehbuch und in historischem Setting. Mit den Ausnahmekönnerinnen Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone in den Hauptrollen fügt „The Favourite“ sich dennoch nahtlos in seinen Werkkatalog.

Ein bisschen wie eine härtere Version von Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ wirkt der Beginn von Yorgos Lanthimos’ erstem „Historienfilm“: Als die verarmte Herzogin Abigail (Emma Stone) im frühen 18. Jahrhundert am englischen Königshof eintrifft, wird ihr von Cousine und Queen-Beraterin Sarah Churchill (Rachel Weisz) bloß ein Arbeitsplatz in der Küche zugeteilt. Während sich der Adel „oben“ in Intrigen und Dekadenz ergeht, herrschen „unten“ Mobbing und Mühsal. Doch die junge Frau versteht es schnell, die Gunst von Königin Anne (Olivia Colman) zu erwerben – eine selbstgemachte Salbe lindert die Pein der wenig attraktiven und gehbehinderten Monarchin. Abigail steigt in der Gunst der Königin und somit auch sozial. Doch ist die junge Frau tatsächlich selbstlos? Oder in Wirklichkeit eine skrupellose Machtstrategin, die allen nur das sagt, was sie hören wollen? Bei Sarah tauchen jedenfalls schnell Zweifel auf, ein Kampf um die Gunst der Königin entbrennt. Für Sarah, die auch heimlich eine Beziehung mit Anne unterhält, nicht nur eine Frage von Macht, sondern auch des Herzens. Letztlich scheint alles auf eine Frage hinauszulaufen: Muss wahre Liebe ob ihrer Aufrichtigkeit Schmerzen bereiten? Na ja, vielleicht tut sich noch eine zweite Frage auf: Sind Frauen ebensolche Schweine wie Männer?

Lanthimos’ erster Film nach Fremd-Drehbuch (Deborah Davis, Tony McNamara) fügt sich mit einem eigenwilligen Blick auf soziale (Macht-)Strukturen und Menschliches, allzu Menschliches, recht gut in seinen Kanon ein. The Favourite ist aufgrund eines etwas größeren „Realismus“ auch leichter zugänglich als andere Filme des Griechen, beispielsweise The Lobster oder besonders Dogtooth, doch bedeutet dies keinen Mangel an Substanz. The Favourite ist Satire, extraschwarz. Hier wird auf Pointe gespielt, beinahe jeder Satz gleicht einem brutalen Aperçu. Derbe Ausdrücke wie „cunt“ oder „fuck“ gibt es ebenfalls regelmäßig zu hören – Macht und Liebe als Triebkraft am Hof. Erpressung findet hier auf mehreren Ebenen statt: emotional wie durch Gewaltandrohung – und Sex. Annes Satz „I like it when she (gemeint ist Abigail, Anm.) puts her tongue inside me“ drückt ebenso Vergnügen aus, wie er Sarahs Eifersucht provozieren will. Ganz ohne Tiere geht es auch in diesem Lanthimos nicht: So hält Queen Anne zahlreiche Hasen, einen für jedes bei der Geburt verstorbene Kind. Kuscheltiere als Ausdruck von Tragik.

Die Räume der Macht und der Ohnmacht weiß Lanthimos effektiv in Szene zu setzen, beispielsweise mit Steadycam-Fahrten durch lange Gänge; besonders ins Auge stechen aber die zahlreichen Fischauge-Einstellungen, mit denen die Perspektiven teilweise ins Extreme verzerrt werden. Natürlich kommt man in diesem Genre um Barry Lyndon (1975), Kubricks visuelle Maßstäbe setzendes Moralstück nach Thackeray, nicht herum. So erweisen die zahlreichen Kerzenlicht-Szenen in The Favourite dem Vorbild ebenso Reverenz wie die Tonspur, die unter anderem mit melancholischer Kammermusik von Händel (aber auch mit Komponisten der Moderne, darunter Messiaen) unterlegt ist. Der Amerikaner und der Grieche, sie treffen sich in ihrem kühl überzeichneten Blick auf das britische Klassensystem. Zudem mag The Favourite manchen Betrachter entfernt an Patrice Lecontes Historien-Satire Ridicule (1996) erinnern.

Von solchen Überlegungen abgesehen ist The Favourite vor allem der Film der drei Hauptdarstellerinnen, die ihre Rollen mühelos meistern: Olivia Colman wurde für ihre intensive, völlig uneitle Darstellung der traurig-einsamen Monarchin in Venedig mit dem Coppa Volpi ausgezeichnet, eine Oscar-Nominierung scheint in Reichweite. Doch auch Emma Stone zeigt hier so viele Facetten wie selten zuvor – mit dieser Rolle scheint der endgültige Durchbruch ins Charakterfach gelungen. Die stets großartige Rachel Weisz schließlich brilliert als Frau, die ihre Verletzlichkeit resolut zu verbergen weiß. In den Nebenrollen besticht besonders Nicholas Hoult als homosexueller Adeliger Harley, der sich zwar aufs Intrigieren versteht, dem das Weib aber ein ewiges Rätsel bleibt.

Gegen Ende geht dem Film leider ein wenig der Atem aus – dem Drehbuch scheint nicht ganz klar zu sein, wie man den Konflikt auflösen sollt – doch vermag dies den Gesamteindruck kaum zu trüben.

 

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