Mit „The Fountain“ erhebt sich Regisseur Darren Aronofsky in lichte Höhen filmischer Erzählkunst.
Der Mensch ist das einzige Wesen, das um seine Sterblichkeit weiß. Wir wissen, dass wir sterben werden. Erfahren wird der Tod aber lediglich am Tod eines anderen. Wir selbst erfahren den Tod nur als etwas, was uns bevorsteht. Wir wissen, dass wir zu einem Ende kommen werden und darüber hinaus nicht denken können. Nur wie wir mit unserer Angst umgehen sollen, nicht mehr zu sein, das wissen die meisten von uns nicht.
Dieser stark komprimierte Grundgedanke findet sich in Martin Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit. Heidegger (später wegen seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus heftig umstritten) wollte das „Dasein“ des Menschen erfassen. Nach ihm ist das Dasein strukturiert von Zeitlichkeit – und Endlichkeit. Der Mensch mag sein Dasein bis zu einem gewissen Grad frei entwerfen können. Definiert ist er jedoch durch „Das Sein zum Tode“: Die Angst vor dem Tod wird zur Angst davor, als Mensch da sein zu müssen.
Mit derlei existenziellen Fragen begann sich der heute 38-jährige New Yorker Filmemacher und Harvard-Absolvent Darren Aronofsky vor rund sieben Jahren ausführlich zu beschäftigen. Persönliche Bekannte Aronofskys waren lebensgefährlich erkrankt. Ihm kam die Idee, die Angst vor dem Tod in den Wunsch nach Unsterblichkeit umzudenken, und daraus einen Film zu machen. Über seine damaligen Gedanken sagt Aronofsky: „Die Menschen beten darum, jung zu bleiben, und bestreiten, dass der Tod ein Teil des Lebens ist. Wir sind die meiste Zeit damit beschäftigt, unsere körperliche Hülle intakt zu halten, und vergessen dabei, auch unseren Geist zu nähren. Daraus entsprang eines der zentralen Themen des Films: Macht der Tod uns menschlich? Wenn wir ewig leben könnten, würden wir unsere Menschlichkeit verlieren?“
The Fountain knüpft drei Zeitebenen und Episoden ineinander, um seine Kernfrage als Fantasy-Puzzle vor dem Publikum auszulegen. Der Held aller drei Geschichten ist ein Suchender: Zu Beginn des 16. Jahrhunderts sucht der spanische Eroberer Tomas im Dschungel Mittelamerikas nach einer Opferstätte der Maya. Dort hofft er den Quell ewigen Lebens zu finden. Seine geliebte Königin Isabel droht der Inquisition zum Opfer zu fallen; nur das Geheimnis der Unsterblichkeit könnte ihre Macht sichern.
Die zweite Episode kreist um einen kahlköpfigen Mann mit tätowierten Armen. Die Tattoos erinnern an Baumjahresringe. Irgendwo, irgendwie, irgendwann in der Zukunft treibt der Mann in einer geräumigen Blase durch Zeit, Raum oder eine andere Dimension, kommuniziert via Fingerspitzen mit einem uralten Baum, praktiziert seltsame Yoga-Riten und wird nur von Erscheinungen einer strahlend weißen Frau aus seiner Kontemplation gerissen.
Hinweise darauf, was das bedeuten könnte, finden sich in der Gegenwart des Jahres 2006. In der dritten Episode sucht der Krebsforscher Tommy Creo verzweifelt nach einem Serum, das seiner geliebten Frau Izzi das Überleben sichern soll. Izzi selbst hat sich mit ihrem nahen Tod bereits abgefunden. Statt gegen die Krankheit zu kämpfen, schreibt sie einen Roman – über die aussichtslose Odyssee des spanischen Eroberers Tomas zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
Eine historische Abenteuerphantasie, ein Liebesmelodram, ein Stück Science Fiction: Drei Genres auf demselben Blatt. Die drei Episoden von The Fountain haben nicht zufällig dieselben fabelhaften Hauptdarsteller (Hugh Jackman und Rachel Weisz), sie atmen denselben Geist. Sie sind bis in feine Verästelungen ingeniös ineinander verwachsen, von einander durchdringenden Bildmotiven durchzogen und mit einer wundersam konzentrierten Farbdramaturgie aus Gold (für den Irrtum) und Weiß (für die Wahrheit) versehen: Kino als erkenntnistheoretische Augenweide.
Post Matrix Science Fiction
Der Sozialphilosoph Günther Anders war der Meinung, der Mensch „veralte“ angesichts des rasend schnellen technischen Fortschritts, mit dem er als evolutionär gewachsenes Mängelwesen nicht mithalten könne. Soll heißen: Der Mensch stelle immer mehr ausgefeilte Apparate her, die seine kognitiven und emotionalen Fähigkeiten übersteigen. Das Gefälle zwischen Mensch und Gerät werde umso größer, je weniger der Mensch die strukturierende Kraft der Maschinen durchschauen kann. Während die Technik selbst zum Subjekt der Geschichte werde, sei der Mensch gegenüber den Wirkungsweisen und Effekten seiner Geräte blind geworden.
Das Kino hat in diesem Zusammenhang traditionell ein Doppelgesicht. In seinem maschinellen Aspekt selbst ein brauchbarer Gradmesser für den technischen Fortschritt, hat es andererseits immer wieder versucht, den Mythos der Maschine weiterzuspinnen, Bilder dafür zu finden und über die Folgen elaborierter Technik für den Menschen zu reflektieren – von Fritz Langs Metropolis (1927) über Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) bis zu Steven Spielbergs Artificial Intelligence: AI (2001). Ein jüngeres Beispiel, auf das Darren Aronofsky in Verbindung mit The Fountain selbst verweist, ist der visuell zweifellos stilbildende Aufklärungs-Blockbuster The Matrix (1999), ersonnen und konzipiert von den Brüdern Larry und Andy Wachowski. „Mit The Fountain wollte ich einen metaphysischen Post-Matrix-Science-Fiction-Film schaffen“, sagt Aronofsky.
In The Matrix haben längst die Maschinen die Herrschaft über die Menschen übernommen, die Menschen aber wissen das nicht: Sie dümpeln als blinde Kohorten lebender Batterien in fruchtwasserwarmen Wannen, sind nichts als Energiespender in einem von einer künstlichen Intelligenz kontrollierten utilitären Kreislauf, während sie von der Einmaligkeit ihrer Existenz nur träumen dürfen. Ein Erlöser muss her, in dem ein göttlicher Funke schlummert.
In The Fountain sitzt ein technikgläubiges Individuum im Gefängnis seines eigenen unerfüllbaren Wunsches. Tommy ängstigt sich so sehr vor dem bevorstehenden Verlust seiner Liebsten, dass er nicht mehr imstande ist, ihre Gegenwart auf sich wirken zu lassen. Statt mit Izzi im Schnee spazieren zu gehen, flüchtet er ins Labor, um weiter an einem Heilmittel für sie zu arbeiten. Erlösen kann er sich nur selbst. Die Erkenntnis reift langsam, genährt vom (in allen drei Episoden leitmotivischen) Baum des Lebens, begleitet vom nahenden Tod eines Sterns im Xibalba-Astralnebel, dort, wo die Maya den Sitz der Unterwelt vermuteten. Toms Transzendenz vollzieht sich schließlich weniger in der Technik als in der Natur: in der (Frucht-)Blase einer phantastischen Dimension, in der die menschliche Seele mit dem Kosmos in eins fällt.
Während der erkenntnistheoretische Ansatz von The Matrix sich irgendwo zwischen Spezialeffekthagel, coolen Comicbild-Manierismen und Martial-Arts-Design verliert (es wurde an das Action-Publikum und die Fortsetzungen gedacht, wo Platz für weitere philosophische Versatzstücke frei zu halten war), wird die The Fountain zugrunde liegende Idee unter vergleichsweise bescheidenem Einsatz digitaler Hilfsmittel formuliert. Und wo The Matrix die Stringenz seiner Gedanken zugunsten eines cartoonesk überfrachteten Action-Plots suspendiert, da trifft The Fountain eine klare Entscheidung, indem er abseits reiner Vernunft einen gewagten mystischen Resonanzraum eröffnet. Eine starke Love Story gibt es da wie dort: In The Matrix wird die Romanze von den Einsen und Nullen des Cyberspace bestimmt; in The Fountain spießt sie sich herzzerreißend an der Vernunft.
Rausch und Erhellung
Der berüchtigte Friedrich Nietzsche war nicht gerade ein Apologet des Fortschrittsoptimismus. Geschichte interpretierte er als Die Wiederkehr des ewig Gleichen, das Leben war ihm Phänomen der Beliebigkeit und Quell der Insuffizienz. Einzig in der Kunst sah Nietzsche einen wesentlichen Ausdruck des Lebens. Kunst, im Sinn der Erzeugung von Scheinwelten, erschien ihm als legitimer Selbstbetrug um des Lebens willen: „Wir haben die Kunst, um nicht an der Wahrheit zugrunde zu gehen“, lautet einer seiner pointierten Aphorismen.
Auf die alten Griechen griff Nietzsche bei seiner Unterteilung der Kunst in das Apollinische und das Dionysische zurück: Apoll, der Gott des Lichts und der Erhellung, auf der einen Seite; Dionysos, der Spezialist für Rausch und Entgrenzung, auf der anderen. Sieht man sich die zwei bisherigen abendfüllenden Regiearbeiten von Darren Aronofsky an, ist man geneigt, diesen eher bei Dionysos anzusiedeln (den eindeutig auch der Wagnerianer Nietzsche bevorzugte). Requiem for a Dream (2000) entfesselt eine ansteigend hektisch geschnittene, nervös orchestrierte und mit einem suggestiven Soundteppich unterlegte Bilderflut, um jenen Abstieg in die Unterwelt zu visualisieren, der für gewöhnlich exzessivem Drogenmissbrauch auf den Fuß folgt. Im schwarzweißen Experimentalthriller „“ (Pi, 1998) sucht der Mathematiker Max mithilfe eines Computers die Rätsel des Universums zu entschlüsseln, was ihm außer reichlich mysteriösen Begegnungen mit einer Wall Street-Börsianerin und mit einer Gruppe kabbalistischer Juden nur unerträgliche Kopfschmerzen einbringt – wovor ob der fallweise panischen Hip-Hop-Montage des Films auch das Publikum nicht ganz gefeit ist.
Mit The Fountain, wiewohl nicht ohne rauschhafte Elemente, scheint Aronofsky sich nun eher dem Apollinischen zuzuwenden. Max in Pi besiegt seine Schmerzen noch, indem er seinem Schädel mit einer Bohrmaschine zusetzt. Tommy Creo (lat.: ich erschaffe) erlöst sich von seinem Leiden, einer ungesunden Mischung aus Verlustschmerz und (alternierend medizintechnischem und ketzerischem) Machbarkeitswahn, unendlich schonender. Vor der Erhellung ist freilich nichts weniger als eine multidimensionale Odyssee zu absolvieren.
Die Blasen-Episode von The Fountain legt die Lesart einer metaphysischen „Reise ins Ich“ nahe, jedoch weder im Sinn eines narrativen Rorschach-Tests, noch einer Benutzeroberfläche für Erleuchtungssüchtige, deren Lieblingsbeschäftigung es ist, Bäume zu umarmen. Vielmehr lässt sich Nietzsches Modell des Übermenschen heranziehen (wie übrigens ansatzweise auch beim Architekten der Matrix in Matrix Revolutions, 2003), in seiner ursprünglichen Bedeutung: als Resultat von Konzentration und Askese, als Ergebnis geistiger Anstrengung und Selbstüberwindung. Übermensch ist jener, der die radikale Endlichkeit des menschlichen Daseins akzeptiert und trotzdem dem Leben etwas abgewinnen kann. Die utopischen Vorstellungen, Hoffnungen, Täuschungen und Lügen vergangener Epochen überwindet er in sich selbst.
„Bring es zu Ende!“ Wenn Izzi diesen Satz zu Tommy sagt und gebetsmühlenartig wiederholt, fordert sie ihn damit auf, das letzte Kapitel ihres noch unfertigen Romans über Conquistador Tomas und Königin Isabel zu schreiben. „Bring es zu Ende!“ bedeutet aber noch entschieden mehr – es ist der als Handlungsanleitung formulierte Schlüsselsatz dieses erstaunlichen filmischen Organons. „Bring es zu Ende!“ heißt das Mantra des Filmemachers Darren Aronofsky, der sich selbst und seinem Team (allen voran Cutter Jay Rabinowitz) insgesamt sechs Jahre Arbeit und eine packende, dialogfreie – von Tschaikowskys Schwanensee inspirierte – Finalsequenz abtrotzte, um mit The Fountain zu einem geradezu psychedelischen Ende zu kommen.
„Das Kunstwerk ist die ins Werk gesetzte Wahrheit“, schrieb Heidegger, ganz im Gegensatz zu Nietzsche. In einer Zeit, in der Gott an Bedeutung verloren hat, wird der Rückzug auf das Schöpferische, auf das Ästhetische, auf das „Künstlerische“ zu einer der wenigen Alternativen, die Rätsel um den Sinn des Seins zu thematisieren. Wem es an Interesse für existenzielle Fragen nicht mangelt (nicht zuletzt für die Frage, ob Gott vielleicht in uns selber ist), kann zum Beispiel Simone de Beauvoirs Alle Menschen sind sterblich lesen, oder, besser noch, schaut sich The Fountain an. Antwort wird im Kino keine gegeben – aber womöglich eine Quelle vergangener, künftiger oder doch gegenwärtiger Erfahrung vor Augen geführt.