ray Filmmagazin » Filmkritiken » The Photograph
The Photograph

Filmkritik

The Photograph

| Manuel Simbürger |
Stark besetztes und überraschend zurückgenommenes Romantik-Melodram über die Suche nach der Wahrheit und den Mut zur Vergebung.

Die Fotografin Christina Eames (Chanté Adams) hat ihre Arbeit seit jeher über ihr Privatleben gestellt. Die Jugendliebe, der spätere Ehemann und sogar die eigene Tochter mussten sich stets mit dem zweiten Platz begnügen. Die Liebe zur Fotografie, aber auch der Drang zur großen Karriere war größer und einnehmender. Berühmt geworden ist Christina, der Preis dafür war allerdings ein hoher: Ihre große Liebe Isaac (Y’Ian Noel) ließ sie bereits in den 1980ern in New Orleans zurück, um Manhattan zu erobern; eine vertrauensvolle und liebesvolle Beziehung zu ihrer Tochter konnte und wollte sie nie aufbauen, zu einengend war ihr das Konzept Familie. Jahrzehnte später stolpert der aufstrebende New Yorker Journalist Michael Block (LaKeith Stanfield) über ein Foto von Christina aus den Achtzigern – und entschließt sich prompt, mehr über die Frau hinter der Linse herauszufinden (dass Michael in seinem Job alle Freiheiten der Welt zu haben scheint, darf und sollte man als Zuseher mit einem wohlwollenden Lächeln ignorieren). Bei seiner Recherche trifft er nicht nur auf Isaac, sondern auch auf Christinas mittlerweile erwachsene Tochter Mae Morton (Issa Rae) – und erfährt, dass die Fotografin vor kurzem ihrer Krebserkrankung erlag. Zwischen Michael und Mae sprühen von der ersten Sekunde an die Funken – und Mae, die als Kuratorin im Queens Museum in New York arbeitet, erzählt von den beiden Briefen, die ihre Mutter ihr hinterlassen hat, die aber immer noch ungelesen in der Schublade liegen. Zu verwirrend sind Maes innere Konflikte, sie ist traurig, aber auch wütend auf ihre entfremdete Mutter und hat vor allem viele Fragen. Zwischen Mae und Michael entflammt schnell ein lichterloh brennendes Feuer der Gefühle – doch auf Michael wartet ein Job in London.

Werbung

Dramatisch, aufwühlend, traurig, ein bisschen lustig, emotional, melancholisch, aber dabei stets bodenständig, niemals ausufernd und vor allem zu ganz viel Liebe zu den Charakteren: Drehbuchautorin und Regisseurin Stella Meghie (Du neben mir) liefert mit The Photograph eine moderne Großstadt-Romanze ab, die große Gefühle nicht scheut, aber dabei niemals in Klischeefallen tappt. Hier stehen afroamerikanische Menschen aus Fleisch und Blut im Mittelpunkt, jenseits der Stereotypen, die in den vergangenen Jahren in diversen Filmen zu sehen waren: In The Photograph wird nicht geflucht, Michael ist kein drogensüchtiger Verbrecher und Mae keine überarbeitete Mehrfachmutter, die verzweifelt versucht, ihren sozial-ärmlichen Verhältnissen zu entkommen. Stattessen präsentiert uns Meghie zwei emotional reife, beruflich erfolgreiche und trotz – oder gerade aufgrund von – so manchen Charakterschwächen durch und durch sympathische Protagonisten, die ihre Hautfarbe weder verleugnen noch zum Thema machen. Auf unnötiges Drama verzichtet Meghie, ihr Mut zum Weniger ist hier eindeutig mehr. Sowohl Rae als auch Stanfield geben eine überzeugende Performance ab, die Chemie zwischen ihnen ist über die Leinwand hinaus greifbar. Gepaart mit chilliger Jazz-Untermalung von Robert Glasper und eingefangen in wunderschönen Bildern (der Film heißt schließlich The Photograph!) werden Mae und Michael zu einem der glaubwürdigsten Romantik-Pärchen der jüngeren Filmgeschichte.

Ein Meisterwerk ist The Photograph jedoch nicht geworden. Das parallele Erzählen zweier Liebesgeschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen (den Achtzigern und der Gegenwart) kommt zum Teil zu unvermittelt daher, die dramaturgischen Möglichkeiten, die sich hier ergeben hätten, werden nicht in vollem Ausmaß genutzt. Die Nebenfiguren sind sympathisch, tragen aber nicht allzu viel zur Story bei. Apropos Story: Es dauert ein wenig, bis man sich an den gemächlichen Groove des Erzählten gewöhnt hat, besonders in der ersten Hälfte des Films wandert der Blick des Zusehers gern mal Richtung Armbanduhr. Und die Überraschung des groß angelegten Twists bleibt auch aus – den kann man sich nämlich von Beginn an denken.

The Photograph ist eine ans Herz gehende und allen voran bodenständig-minimalistische Liebesgeschichte über Vergebung und den Mut, nach der Wahrheit zu suchen, jenseits jeglicher Klischeefallen. Stark besetzt, überaus elegant inszeniert, mitunter aber mit Längen und ungenutzten dramaturgischen Chancen.