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Filmkritik

The Works and Days (of Tayoko Shiojiri in the Shiotani Basin)

| Alexandra Seitz |
Ein Tag im Kino, ein Jahr in Japan. Und noch viel mehr …

Wir platzen in eine fröhlich betrunkene Männerrunde, die sich über den sogenannten und offenbar legendären „White-Penis-Incident“ amüsiert. Einer tritt den Heimweg an, lange graben sich die Scheinwerfer des Autos, dem die Kamera folgt, durch die nächtliche Finsternis. Es wird im Verlauf von The Works and Days (of Tayoko Shiojiri in the Shiotani Basin) noch mehrere solcher Sake-befeuerten Runden geben. Wie überhaupt so manches immer wiederkehrt: Hantieren in der Küche, Feldarbeit, Grabpflege, Fahrten mit dem Bus, kurze Schwätzchen mit den Nachbarn, die mit dem Austausch von Feldfrüchten einhergehen. Variationen des Ewiggleichen. Keine besonderen Vorkommnisse. Ewig gleiche Vorkommnisse, in denen Besonderheit liegt. Irgendwann setzt Tayoko Shiojiris Stimme ein; es ist, als lese sie aus ihrem Tagebuch vor, eine Sammlung knapper Notizen dessen, was geschehen ist und was sie unternommen hat. Wir erfahren, dass ihr Mann Jinji offenbar krank ist. Und mit der Zeit auch, dass es nicht besser werden will.

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Es ist verführerisch, dieses Wunderwerk, das C.W. Winter und Anders Edström mutig und zuversichtlich dem Kino schenken, als Dokumentarfilm zu sehen. Doch gezielt und sparsam eingesetzte Irritationen stören diese Annahme. Also lockert sich der Griff, weitet sich der Blick, öffnen sich die Sinne, wird in der dezidierten Abwesenheit von Kunstwollen das liebevoll Sorgsame ersichtlich, das hier dem allgemein Links-Liegengelassenen zuteil wird: Kleiderbügel, die ungenutzt von der Decke hängen; erleuchtete Fenster, die schräg in der Dunkelheit stehen; Nebel, der über den Berggipfel herabsinkt; ein Feuerlöscher, der in einer Ecke steht; Schneetreiben im Winter; an- und abschwellender Zikadenkrawall im Sommer; ein Froschkonzert, ohrenbetäubend. Und inmitten all dessen neigt sich das Leben dem Ende zu. Stirbt ein Mensch. Geht die Arbeit weiter. Findet eine Trauerfeier statt. Trägt die Erde Früchte. Nimmt die Nachbarschaft Abschied. Verschwindet ein Kulturraum.

Vierhundertachtzig Minuten. Entspricht acht Stunden. Dazu noch ein paar Pausen. Sich auf diese schiere Dauer einzulassen, auch dazu braucht es Mut und Zuversicht. Doch würden wir, die wir zuschauen, nicht unsere Zeit darangeben, wir bekämen keinen Begriff vom Verstreichen der Zeit, das wir beobachten. So aber verlassen wir am Ende nicht nur eine fremde Welt, die uns heimisch geworden ist, mit einem Gefühl der Wehmut, wir kehren auch in die eigene anders zurück.