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TV-Serien – „Treme“, meisterliches Nachfolgeprojekt von „The Wire“

"Fuck You, You Fuckin’ Fucks"!

| Alexandra Seitz |

Im Widerstand: „Treme“, die herausragende „Post-Hurrikan-Katrina“-Serie von David Simon und Eric Overmyer, gibt sich mit der Erkundung eines Stadtviertels zwar vergleichsweise bescheiden, zielt aber trotzdem aufs große Ganze. Die erste Season jetzt auf Sky Atlantic HD.

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New Orleans, Louisiana. Three months after.“ Das Insert zu Beginn der ersten Episode der HBO-Serie Treme setzt das Wissen um Katrina voraus. Setzt voraus, dass man um den gewaltigen Hurrikan weiß, der im August 2005 auf die Golfküste der USA traf. Und setzt voraus, dass man um die katastrophalen Folgen weiß, die er nach sich zog. Dass die Dämme brachen, die New Orleans hätten schützen sollen, und ganze Stadtviertel Land unter gingen. Dass die Welt zunehmend kopfschüttelnd dabei zusah, wie eine selbsterklärte Supermacht sich als unfähig erwies, den Menschen in Not vor Ort zu helfen. Dass im Zuge dieser mörderischen Unfähigkeit einmal mehr erschütternd klar zutage trat, wo der Hammer hängt: Wer kein Geld hat, hat die Arschkarte. Und wer dazu noch schwarz ist, der bekommt sie mit Goldrand.

Die Ereignisse rund um Katrina ließen die ohnehin immer nur notdürftig kaschierten, in Rassen- und Klassenzugehörigkeit wurzelnden Konflikte innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft aufs Hässlichste eskalieren. Und selbst wer schon lange nicht mehr dazu bereit war, der Propaganda des „Land of the Free, Home of the Brave“ zu folgen, sah sich angesichts dessen, was sich in New Orleans abspielte, mit ganz neuen Formen des Entsetzens konfrontiert.

Was Katrina in und mit New Orleans angerichtet habe, sei „a man made catastrophe! A federal fuck-up of epic proportions, and decades in the making!” So schimpft Creighton Bernette (John Goodman), Hochschullehrer, Schriftsteller und eine der Hauptfiguren der ersten Season von Treme, als er am Ufer des Lake Pontchartrain einem britischen Fernsehteam ein Interview gibt. Gefragt, warum man eine derart stark beschädigte Stadt wieder aufbauen solle und ob New Orleans seine beste Zeit nicht ohnehin längst hinter sich habe, wird der schwergewichtige Bernette ungemütlich.

Doch mit seiner bösen Frage steht der Reporter nicht allein. Es ist mittlerweile unstrittig, dass die politischen Kräfte die demografischen Veränderungen aufgrund der erzwungenen Abwanderung zehntausender armer und/oder schwarzer Menschen aus den zentral gelegenen Vierteln von New Orleans dazu nutzen, der Stadt ein neues Gesicht zu geben. Das Verfahren ist als Gentrifizierung bekannt und bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Infrastruktur, die auf die Bedürfnisse der so genannten sozial schwachen Schichten zugeschnitten war, nicht wieder hergestellt wird. Stattdessen wird eine neue, teurere installiert, die andere, wohlhabendere Schichten anzieht. Das Ergebnis ist überall auf der Welt das gleiche: Heile Welt in der Innenstadt, Marginalisierte an den Rändern.

Doch genug davon. Treme ist keine Serie, die politische Propaganda macht. Treme ist eine Serie, die eine politische Haltung vertritt, dabei aber weder indoktriniert noch nervt. Es ist für das Serienuniversum – angesiedelt in Tremé, District 4 von Mid-City, einem der ältesten Viertel von New Orleans und wichtiges Zentrum kreolischer und afroamerikanischer Kultur – selbstverständlich, eine politisch motivierte Position innezuhaben, die nicht erst lange erklärt oder legitimiert werden muss. Weil sie sich aus der Situation der jeweiligen Figur und den Ereignissen, die ihre Geschichte bilden, unmittelbar ergibt. Nicht zuletzt deswegen hat Treme es außerhalb der USA ein wenig schwer, denn wer kennt sich hier schon aus mit der dortigen Lokalpolitik? Oder wer weiß auch nur auf Anhieb, was eine Second Line ist und was es mit Sashaying oder Mardi Gras Indians auf sich hat? Nicht, dass einem dergleichen kulturelle Phänomene von der Serie – die ohnehin mit größtmöglicher und immer wieder faszinierender Sicherheit, quasi-dokumentarisch in die Wirklichkeit des gegenwärtigen, schwer verwundeten New Orleans ausfranst und hinüberfließt – in ihrer ganzen historischen Dimension nicht nahe gebracht werden würden. Aber es sind Rituale, aus denen sich die Identität der Stadt speist, und als solche sind sie zunächst einmal einfach nur da. Beziehungsweise kehren allmählich zurück mit den Bewohnern, die sie wieder aufnehmen und wieder beleben, als sie daran gehen, ihr Viertel, ihre Stadt wieder in Besitz zu nehmen.

Und so beginnt denn auch Treme mit den Vorbereitungen zu einer Second Line, einer blaskapellengeführten Parade, der ersten im Viertel nach Katrina. Und wirft einen gleich mitten hinein. Statt Überblick und Ordnung Detailaufnahmen, Kameragewa­ckel, stark dialektgefärbtes Gemurmel allenthalben, Fetzen von Musik und Gesprächen, ein Haufen Leute, die sich in froher Erwartung des Kommenden versammelt haben. Und schon geht’s los, die Bläser stoßen in die Hörner, der Haufen setzt sich in Bewegung, tanzt die Straße entlang, sashaying. Man lernt die ers­ten Figuren kennen: Posaunist Antoine Batiste (Wendell Pierce), der nie Geld, aber immer eine dicke Hose hat. DJ Davis McAlary (Steve Zahn), der davon träumt, ein ernst zu nehmender Musiker zu sein. Küchenchefin Janette Desautel (Kim Dickens), die um das Überleben ihres Restaurants kämpft. Kneipenbesitzerin Ladonna Batiste-Williams (Khandi Alexander), die nach ihrem in den Wirren von Katrina verschwundenen Bruder sucht. Anwältin Toni Bernette (Melissa Leo), die ihr dabei hilft. Wenig später trifft auch Dickschädel Albert Lambreaux (Clarke Peters, wie Wendell Pierce aus dem Stammpersonal von The Wire) – seines Zeichens Big Chief des Mardi Gras Indian-Stammes „Guardians of the Flame“ und traditionellerweise „the prettiest“ – in der Nachbarschaft ein und geht unter den missbilligenden Blicken seiner Tochter umstandslos an den Wiederaufbau.

Alle schaffen, alle werkeln. Es wird geräumt, gekehrt und gesäubert. Gekocht, gegessen und getrunken. Gefeiert, getanzt und musiziert. Immer wird musiziert. Der Reichtum der zu Gehör gebrachten Stile ist enorm, die Liste der Musiker, die sich in Gastauftritten oder Nebenrollen die Ehre geben, ist einschüchternd: Kermit Ruffins, Allen Toussaint, Dr. John, Steve Earle, Sammie „Big Sam“ Williams, Donald Harrison Jr., Troy „Trombone Shorty“ Andrews, Paul Sanchez, Ron Carter, „Uncle“ Lionel Batiste, Lloyd Price, Irma Thomas sowie die Formationen The Pine Leaf Boys, Galactic, Soul Rebels Brass Band, Treme Brass Band, Rebirth Brass Band u.v.a.m. Treme ist mit Sicherheit eine der musikalisch stärksten Serien weit und breit, und für jeden, der dem Jazz auch nur ein wenig abgewinnen kann, ein Muss.

Eine große Stadt, sagt Creighton Bernette, bevor er das Mikrofon des ignoranten britischen Journalisten in hohem Bogen in den Pontchartrain schleudert, sei eine Stadt, die die Fantasie der ganzen Welt anzuregen in der Lage sei. Eine Stadt, die in der Vorstellungskraft der Menschheit Heimat und Leben habe. Eine Stadt wie New Orleans.