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Nosferatu

Vampire

Symphonie des Raumes

| Benjamin Moldenhauer |

Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ hat auch knapp 90 Jahre nach seiner Entstehung nichts von seiner Faszination verloren.

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Man soll die Analogie von Film und Traum nicht überstrapazieren, sie neigt dazu, das Spezifische sowohl des einen wie auch des anderen Phänomens aus den Augen zu verlieren. Auf viele der Filme von F.W. Murnau aber trifft sie tatsächlich zu, diese sind im Wortsinn traumhaft. Sein Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens hat sich erstaunlich gut gehalten. Die erste „inoffizielle“ Verfilmung von Bram Stokers „Dracula“-Roman hat die Konventionen des Genres maßgeblich geprägt und war zweifellos einer der einflussreichsten Filme der Stummfilmzeit. Die Bilder haben etwas Entrückendes, eine Atmosphäre, die bei kaum einem anderen Regisseur zu finden ist. Die Faszination, die auch fast neunzig Jahre nach seiner Entstehung noch von dem Film ausgeht, speist sich aus dem virtuosen Umgang mit dem Bildraum – „Körpermelodie und Raumrhythmus“ sind es, sagt Murnau, die das Kino bestimmen. Und wie auch der Traum verweigert Nosferatu die trennscharfe Unterscheidung von Gefühlen, die Bilder evozieren zugleich Anziehung und Ekel, der Film oszilliert zwischen Komik und Schrecken. Beim heutigen Wiedersehen fällt ins Auge, wie virtuos Murnau bereits Anfang der Zwanziger Jahre die grotesken und erotischen Potenziale des Vampir-Mythos ausgelotet hat.

Während etwa Fritz Lang 1923 mit seiner Nibelungen-Verfilmung ein schwer teutonisch drauflos dröhnendes Epos fabrizierte, das die Filmkunst ein für allemal in der vor Bedeutungsschwere ächzenden deutschen Hochkulturtradition verankern sollte, kamen Murnaus Arbeiten mit einer ungemeinen Leichtfüßigkeit daher. F.W. Murnau war einer der wenigen deutschen Regisseure, die, vor allem in Der letzte Mann und Sunrise, gewillt und in der Lage waren, ihre Erzählungen mit mitunter derbem Humor zu entschlacken. Selbst Faust – Eine deutsche Volkssage (1926), der letzte in Deutschland gedrehte Film Murnaus, bevor er mit Sunrise seine Hollywood-Karriere begann, ist nicht zur tiefsinnigen Reflexion über Wesen und Schicksal des Menschengeschlechts geraten, sondern rückt mit Mut zum Kitsch die Liebesgeschichte zwischen Gretchen und Faust ins Zentrum. Die Begeisterung über die technischen Möglichkeiten des neuen Mediums ist unübersehbar, Murnaus Faust ist einer der innovativsten Filme der Zwanziger Jahre und, wie Fritz Göttler schreibt, „schwebend und skizzenhaft, offen wie Nosferatu “.

Nosferatu war zur Zeit seiner Premiere, glaubt man zeitgenössischen Berichten, in der Lage, das Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen. Zugleich hat der Film unheimlich komische Sequenzen. Murnau hat seinen Helden Hutter (Gustav von Wangenheim) als einen etwas tumben Provinzler modelliert, der erst sein heimatliches Ostseestädtchen Wisborg verlassen und nach Transsylvanien reisen muss, um das Fürchten zu lernen. Dort trifft er auf den Grafen Orlok (Max Schreck), der, so sieht es Rosa von Praunheim, „wie eine Horrortunte dem jungen Gast entgegentrippelt“. Schon nach der ersten Nacht erwacht Hutter mit zwei Bisswunden am Hals. Sein Gastgeber ist offensichtlich mit einem sinistren Sinn für Humor gesegnet. Als dem nach der ersten Blutentnahme schon etwas nervösen Helden das Foto seiner Liebsten aus der Tasche fällt, reagiert Orlok mit unverhohlener Begeisterung: „Einen schönen Hals hat Eure Frau …“ Der unheilvoll lüsterne Ausruf des Grafen hätte auch in Roman Polanskis Vampir-Persiflage The Fearless Vampire Killers or: Pardon Me, But Your Teeth Are In My Neck (1967) nicht gestört.

Die Leichtigkeit Murnaus wurde von der auf verborgene ideologische Bedeutungen abzielenden deutschsprachigen Filmkritik nach dem Zweiten Weltkrieg nicht immer so recht gewürdigt. Friedrich Geyrhofer erblickte 1971 im Rahmen eines etwas überdrehten Rundumschlags gegen das Horrorgenre in Nosferatu den Vorschein der Novemberpogrome und schlussfolgerte: „Nichts ist für den Horrorfilm charakteristischer, als dass er stets und ohne mit der Wimper zu zucken die Partei des übermächtigen Kollektivs und seiner mörderischen Vorurteile ergreift.“ Wer, anstatt in den Bildern nach Spuren eines falschen Bewusstseins zu graben, zuerst einmal schaut, was es an der Oberfläche so alles zu entdecken gibt, sieht etwas anderes. Der unter dem Einfluss des Grafen irre gewordene Häusermakler Knock entflieht aus dem örtlichen Sanatorium. Die von der Pest gebeutelten Bürger Wisborgs machen sich auf die Jagd, „Die angstdurchbebte Stadt suchte ein Opfer“, erklärt ein Zwischentitel. Wenn der koboldhafte Knock auf der Flucht vor dem Mob hinter Baumstümpfen hervorlugt und die aufgepeitschten Bürger von den Dächern der Stadt aus mit Steinen bewirft, bekommt das ganze Szenario karnevaleske Züge. Die Szene wirkt wie eine grausam-komische Persiflage auf den Wahn des Kollektivs und ist damit alles andere als die mitreißende Inszenierung eines Pogroms.

Auch die Grenzen zwischen Horror und Erotik bringt Nosferatu ins Schwimmen. Murnau hat die erotischen Ambivalenzen des Vampirfilms gleich zu Beginn im Genre verankert. Geht man von der uns heute geläufigen Gleichung Vampirbiss = Sex aus, ist der Graf mindestens bisexuell, die den Helden in Bram Stokers Romanvorlage traktierenden Vampirfrauen tauchen in Nosferatu nicht auf. Wenn die darbenden Jungfrauen für Bela Lugosi, Christopher Lee oder Gary Oldman das Schlafzimmerfenster öffnen, lässt sich das ja ohne Weiteres nachvollziehen. Der mit Glatzkopf, überdimensionierten Vorderzähnen und Fledermausohr äußerst nagetierhaft daherkommende Max Schreck aber ist von einer geradezu erhabenen Hässlichkeit. So unansehnlich und abjekt wie in Nosferatu durfte Dracula danach nie mehr sein. Trotzdem ist da offensichtlich eine große Anziehung zwischen Hutters Ehefrau Ellen (Greta-Schröder Martay) und dem Grafen Orlok. Immerhin setzt die vorgeblich auf die Heimkehr ihres Mannes Wartende sich an einen mit Grabkreuzen bestückten Strand und blickt sehnsuchtsvoll aufs weite Meer – und das, obwohl ihr lieber, aber eben auch etwas tumber Gatte zu Pferde nach Wisborg zurückkehren wird. Mit dem Schiff hingegen kommt Graf Orlok und mit ihm die Ratten und die Pest.

Dass der Vampir nicht nur den Tod bringt, sondern auch Lust verspricht, bleibt in Nosferatu allerdings nur angedeutet. Das Bild aus dem Skript Henrik Galeens, das Ellens Opfertod ins unverblümt Leidenschaftliche hätte kippen lassen, hat Murnau selbst gestrichen: „Nosferatu erhebt den Kopf. Er ist taumelig fast vom Genuss. Ellens Augen in fürchterlichster Angst. So darf er nicht fort, der Nosferatu. Sie schlingt die Arme um ihn. Und er kann nicht widerstehn. Sein Kopf senkt sich wieder über sie.“ Man darf vermuten, dass Murnau mit der Streichung nicht den eventuellen Einwänden der Zensur vorgreifen, sondern die Szene in der Schwebe halten wollte.

Das Motiv der 1922 auf der Leinwand noch neuen vampiristischen Erotik konnte sich schnell als Genrekonvention etablieren. Die klassische Phase des Genres kennt kaum eine Vampirfigur, die ohne erotische Konnotation auskommt. Dass der klassische Horrorfilm nahezu obsessiv um Begehren und Tabus kreist, ist nicht verwunderlich in einem Jahrhundert, in dem die Vorstellungen darüber, was ein Mensch ist, was ihn glücklich und vor allem was ihn unglücklich macht, maßgeblich von den Ideen Sigmund Freuds beeinflusst waren. Ob der ganze Komplex Verbot/Überschreitung/Bestrafung heute noch die narrative Prämisse für die besten Geschichten abwirft, darf man bezweifeln. Zuletzt ließen sich im Genre vorsichtige Anzeichen einer Ent-Erotisierung ausmachen. Thomas Alfredsons wundervoller Let the Right One In (Schweden 2008) inszenierte den Vampir als verlorenes, geschlechtsloses Kind, das vor allem versorgt werden will.

In den Twilight-Filmen schlägt die vampiristische Erotik noch einmal eine andere Volte. Hier ernährt sich der schwerst verliebte Untote von Tierblut und beißt aus Rücksicht auf die Geliebte nicht mehr zu. Eine Plotkonstruktion, die wiederum den zahlreichen Verächtern von Twilight als Indikator für Konservatismus – kein Sex vor der Ehe! – und ewige Vorlust gilt (siehe dazu auch die vierte Geschichte dieses Dossiers auf Seite 78). Da ist sicherlich etwas dran, man kann es aber auch anders drehen. Die zur Zeit kommerziell erfolgreichste Ausformung des Mythos propagiert nicht allein Prüderie, sie erzählt außerdem von einem bestimmten Wunsch, der sich gern als Romantik verkleidet, sich aber nicht zwangsläufig in ihr erschöpft – nämlich dem, geliebt ohne verdinglicht und benutzt zu werden. Das kann man, solange der Vampirismus in Liebesbeziehungen (also das Ausbeuten und Verbrauchen des anderen, so lange bis man genug hat und ihn gleichsam ausgeblutet zurück lässt) nicht nur auf den Leinwänden nach wie vor verbreitet ist, ruhig einmal ernst nehmen; auch wenn einem Stephenie Meyers Kein-Sex-vor-der-Ehe-Propaganda gehörig an den Nerven zerren kann. Aber ohne ein Gespür für Ambivalenzen und widerstreitende Gefühle wird man – im Horrorgenre wie im Leben – ja eh nicht sonderlich glücklich.