ray Filmmagazin » Filmkritiken » Vista Mare
Vista Mare

Filmstart

Vista Mare

| Ania Gleich |
Zwischen Urlaubsindustrie und Geisterstadt

 

Werbung

Während der Kokosnuss-Mann sein Wägelchen vorbereitet, ist die Wasseraerobic-Frau schon mit einem mobilen Verstärker unterwegs durch die Menschenmassen – man kennt diese Bilder. Wie in einer Legebatterie sind die Liegestühle mit den vollautomatisierten Sonnenschirmen an der oberen Adriaküste aufgereiht. Egal ob Jesolo, Lignano, Caorle oder Bibione: Es sieht überall quasi identisch aus. Denn – so scheint es – so wollen das die Urlauber aus Deutschland, Österreich und Co.

Die Bilderflut von Vista Mare wirkt wie ein maschinelles Konzept: Modern Times, aber mit Ballermann-Chic. Das unbeabsichtigt oft parodistisch anmutende Geschehen braucht von Julia Gutweniger und Florian Kofler kaum mehr viel inszeniert zu werden; die Ironie entsteht fast von selbst. Dennoch gibt die sehr sanfte, aber bewusst provokante Aneinanderreihung von Momenten den sehr kurzweiligen achtzig Minuten den Charme einer Komödie. Konterkariert wird das Ganze durch das beklemmende Soundkonzept von Gabriela Gordillo.

Doch es sind nicht nur die Massen an halbnackten Urlaubskörpern, die Vista Mare illustriert. Vielmehr begleitet der Film den Auf- und Abbau einer ganzen Saison und vor allem deren Schattenarbeit. Vom Umbuddeln des Strands bis zur Einschulung der Animateure ist alles dabei. Das Prekariat, das diese saisonale Vergnügungsindustrie aufrechterhält, wird deutlich. Wie bei Aldous Huxley werden die einen plötzlich zu Alphas, die anderen zu Betas. Für Hungerlöhne arbeiten viele der Italiener dort in einer rechtlichen Grauzone: Wischiwaschi-Verträge und Sieben-Tage-Arbeitswochen sind der Standard. In der Off-Season werden die Adria-Strände dann zu unheimlichen Geisterstädten. Doch warum hat diese Leere etwas so Beklemmendes? Ist es, weil dieses Bild etwas sehr Existenzielles über den Menschen verrät? Die Sinnlosigkeit des Lebens als kapitalistische Leere, die wir immer weiter mit Konsumgütern befüllen wollen? Viele, die Vista Mare sehen werden, werden sich denken: „Ja ja. Das sind die Anderen – ich würde dort ja niemals hinfahren!“ Doch wenn man die Urlaubsindustrie als Metapher für den Konsumkapitalismus heranzieht, dann breitet er seine Krakenarme sowieso in alle Richtungen aus. Egal ob man als Backpacker nach Indien oder auf Safari nach Afrika fährt: Überall gibt es kleine Oasen des Konsums, zugeschnitten auf die individuellen Präferenzen. Vielleicht steht die Adriaküste also nur als Sinnbild für etwas, das uns alle betrifft. Denn vermutlich sind „wir“ gar nicht so anders als jene, die sich dort zu David Guetta und Konsorten die vierte Kokosnuss reinstellen. Es bleibt also nur noch zu sagen: Ab in den Süden!