ray Filmmagazin » Themen » „Ich habe mich für Disziplin entschieden“

Volver – Pedro Almodóvar

„Ich habe mich für Disziplin entschieden“

| Thomas Abeltshauser |

Pedro Almodóvar im Gespräch mit Thomas Abeltshauser

Werbung

Für Volver werden Sie wieder mit Lobeshymnen überschüttet. Freuen Sie sich noch darüber oder haben Sie sich schon zu sehr an diesen Zustand gewöhnt?
Natürlich bin ich darüber sehr glücklich. Ich bin kein sehr selbstbewusster Mensch, überhaupt nicht. Ich freue mich, wenn ich sehe, dass der Film vom Publikum und den Kritikern verstanden und gemocht wird. Das ist die Hauptsache. Die Reaktionen auf der Premiere in Cannes waren äußerst freundlich.

Haben Sie manchmal Zweifel daran, dass Leute Ihre Filme falsch verstehen könnten?
Ich bin immer nervös, wenn ich einen Film fertig habe, weil ich dann zum ersten Mal an das Publikum denke. Wenn ich das Drehbuch schreibe, wenn ich drehe und wenn ich im Schneideraum sitze, existiert das Publikum für mich nicht. Aber wenn ich den Film beendet habe, interessiert es mich plötzlich sehr. Dieser Film ist einer meiner kleinsten, was seinen Ursprung angeht, denn er spielt nicht in Madrid, sondern in der Kleinstadt in La Mancha, in der ich geboren wurde. Meine anderen Filme könnten überall spielen, Volver kann nur in meinem Geburtsort spielen. Deshalb hatte ich befürchtet, dass es für das Publikum zu lokal sein könnte. Aber inzwischen ist er in Spanien, in Frankreich und Italien angelaufen und überall reagieren die Leute gleich positiv darauf.

Könnte es das zutiefst Menschliche Ihrer Geschichten sein, das sie weltweit verstehbar macht?
Absolut. Das ist das spezifisch Kinematografische. Nehmen Sie zum Beispiel die japanische Kultur. Die ist grundverschieden von der, in der ich aufgewachsen bin, und trotzdem verstehe und verehre ich die Filme von Kurosawa und Ozu. Wenn man von Menschen, ihren Emotionen und ihren Beziehungen erzählt, wird man überall verstanden.

Wie wählen Sie Ihre Schauspielerinnen aus? Vor allem bei der Hauptrolle hat man das Gefühl, Sie hätten sie für Penélope Cruz geschrieben.
Ich hatte Penélope von Anfang an im Kopf, aber nicht für die Rolle der Mutter, sondern als Enkelin. Aber im Laufe der Drehbuchentwicklung änderte sich der Fokus der Geschichte. Und ich wollte eine größere Rolle für sie. Ich habe lange überlegt, ob sie eine Mutter spielen kann, aber nachdem ich die erste Drehbuchfassung fertig hatte, stand mein Entschluss fest.

Welche Anforderungen haben Sie an Ihre Darsteller? Müssen Sie ein bisschen verrückt sein?
So wie ich, meinen Sie? Nein, aber sie sollten zumindest so aussehen. Dafür sind sie schließlich Schauspieler. Wir Spa-nier sind sehr leidenschaftliche Menschen, das ist Teil unserer Wurzeln, unserer Kultur. Und meine Charaktere, auch die Parodien, sind Teil dieser Kultur. Ich brauche einfach wirklich gute Schauspieler, die so etwas darstellen können. Und ich kann mich sehr glücklich schätzen, weil sich die Schauspieler bei mir stets völlig entblößen und mit einer unglaublichen Großzügigkeit auf das Projekt einlassen, wahrscheinlich weil sie wissen, dass ich sie beschütze, dass ich ihnen helfe, wo ich kann und dass auch ich mich ihnen völlig ausliefere. Sie riskieren mit mir gemeinsam Dinge, die sie mit anderen Regisseuren nie tun würden.

Sie haben oft darüber gesprochen, dass Ihre 1999 verstorbene Mutter eine große Inspiration für Sie war. Welchen Einfluss hatte Ihr Vater auf Sie?
Mit meiner Mutter hatte ich ein viel engeres Verhältnis, auch weil sie 25 Jahre länger lebte als er. Aber selbst als sie beide noch lebten, waren sie sehr verschieden. Mein Vater war ein Mann, der sich mit der Kultur und den Traditionen des späten 19. Jahrhunderts definierte. Es gab also immer eine riesige Lücke, ein Jahrhundert, das zwischen uns und unserer Art zu denken lag. Aber obwohl ich für meinen Vater immer ein Fremder war, in der Art, wie ich denke und handle, heißt das nicht, dass mich mein Vater nicht liebte. Das Problem war, dass er mich nie verstanden hat, aber nicht, dass er mich nicht mochte. Er konnte einfach nicht verstehen, wie ich so sein und so leben konnte. Ich passte einfach nicht in sein Konzept davon, wie ein Sohn zu sein hat. Es ist schade, dass es uns nicht geglückt ist, unser Verhältnis zu klären, aber ich liebte ihn sehr und er mich. Er hat leider nie erfahren, dass ich als Filmemacher erfolgreich bin, weil er an Krebs starb, als ich gerade erst meinen ersten Film beendet hatte.

Wie verändert Sie das Alter? Werden Sie ruhiger?
Ich kann schon aus rein biologischen Gründen nicht mehr die ganze Nacht durchtanzen, Drogen nehmen und Alkohol trinken und dann morgens mit Ihnen hier versuchen, ein Gespräch zu führen. Das ist unmöglich – leider! Ich würde nichts lieber tun, als die Nacht durchzumachen, schnell unter die Dusche zu springen und mich dann wieder an die Arbeit zu setzen. Aber man muss sich einfach irgendwann zwischen Gesundheit, Lust, Gefühlen und auch der Arbeit entscheiden. Ich hasse die Entscheidung, die ich treffen musste, denn ich habe die disziplinierte Wahl getroffen. Ich habe ein sehr verrücktes Leben geführt, vor allem die 80er waren sehr wild und ich habe diese Zeit sehr genossen, weil es nach dem Fall des Franco-Regimes, nach 40 Jahren der Dunkelheit, eine wunderschöne Zeit in Spanien war. Damals war ich dauernd von Leuten umgeben, mit denen ich viel Spaß hatte. Heute lebe ich sehr viel zurückgezogener, ich verbringe sehr viel Zeit mit mir allein. Ich bin aber nach wie vor sehr neugierig auf andere Leute und deren Leben, was um mich herum passiert, weil alles ein Puzzlestück für meine Arbeit sein könnte.

In Volver spielen Männer kaum eine Rolle. Haben Sie das aus Ihrer Kindheit auch so in Erinnerung?
Ich lebte bis zu meinem achten Lebensjahr in La Mancha und war dort immer von Frauen umgeben, meiner Mutter, meiner Schwester und den Nachbarinnen. Und sie repräsentierten für mich Leben, sie waren sehr aktiv und auch sehr fröhlich und gesellig. Ich kann mich erinnern, dass mich meine Mutter immer mit an den Fluss zum Wäschewaschen genommen hat. Das war wie ein Fest, dort wurde gesungen und gefeiert. Daran habe ich sehr lebhafte Erinnerungen. Ich habe viel davon bereits in Alles über meine Mutter verarbeitet.

Wie hat sich Ihre Einstellung zu Sexualität über die Jahre verändert?
In meinen eigenen Leben? In den 80ern war ich bisexuell und hatte ein sehr aktives Sexleben mit beiden Geschlechtern. Seit den späten 80ern habe ich nur noch Sex mit Männern. Ich sehe ansonsten keine große Veränderung in meinem Leben, aber Spanien hat sich seitdem sehr gewandelt. Damals herrschte ein sehr konservatives Klima, das sehr unter dem Einfluss der Franco-Diktatur stand. Da festzustellen, dass man sich als Mann zu Männern hingezogen fühlt, hat es nicht gerade leichter gemacht. Aber ich habe mein Leben immer so geführt, wie ich das wollte und habe daraus auch nie ein Geheimnis gemacht. Jeder wusste Bescheid. Ich hatte weder am Arbeitsplatz noch privat Schwierigkeiten damit. Aber Madrid war auch schon damals liberaler als der Rest von Spanien. Und heute ist mein Land, wie Sie wissen, die Avantgarde in diesem Bereich. Wir haben ein Gesetz, das es Homo-Paaren erlaubt, zu heiraten und Kinder zu adoptieren. Ich kann nur hoffen, dass der Rest Europas unserem Beispiel folgt.

Sie scheinen im Laufe der Zeit milder geworden zu sein, weniger provokant.
Ich habe immer die Filme gedreht, die ich zu dem Zeitpunkt machen wollte. Es stimmt, meine frühen Filme waren provokanter, aber nie um der Provokation willen. Mir lag nie etwas daran, grell oder skandalös zu sein. Das passierte, und das war okay, ich respektiere jede Reaktion auf meine Filme. Aber mit der Zeit interessiert man sich für andere Dinge, und ich bin froh, dass ich mich verändere, nicht stehen bleibe. Das ist doch das Natürlichste der Welt. Wie öde, wenn ich immer wieder die gleiche Geschichte erzählen würde!