ray Filmmagazin » Themen » Volver – This Is a Woman's World
Volver

Volver

This Is a Woman's World

| Barbara Reumüller |

In „Volver“ vertieft Pedro Almodóvar mit Leichtigkeit und Intensität die großen Momente seiner früheren Filme und seine bevorzugten Themenkomplexe.

Werbung

Bewegung ist das prägende gestalterische Moment zu Beginn von Volver. In einer Fahrt von rechts nach links eröffnet sich der Blick auf einen Friedhof, der allerdings alles andere als ruhig und beschaulich ist. Wir sehen einen Ort der geschäftigen und fast vergnügten Zusammenkunft von Witwen, Müttern, Töchtern und Schwestern. Sie pflegen die Gräber der Verstorbenen und die längst schon reservierten eigenen, und sie kämpfen gegen den vermaledeiten Wind, der alles davonzuwirbeln droht. Nicht nur die Gräber erfahren so Zuwendung, sondern auch die Erinnerung und die großteils weiblich bestimmte Dorfgemeinschaft. Die Frauen üben und praktizieren Networking und Nachbarschaftshilfe, versuchen, für einander da zu sein, wenn sich die Männer – Gott hab’ sie selig – endgültig respektive offiziell aus dem täglichen Leben verabschiedet haben. Da sind sie also, die Frauen des kleinen Dorfes in ihren Schürzen und Kopftüchern, in einem in Brauntöne und Erdigkeit getauchten Bild, im Kampf mit den Tücken der Region, der Dürre und dem (Ost-)Wind, dessen Fatalität später in der Geschichte offensichtlich werden wird. Souverän, real und feminin beginnt Almodóvar seine Erzählung über zwei Schwestern, Raimunda und Sole, über ihre Vergangenheit, die die Gegenwart unausgesprochen, doch stets spürbar bestimmt und letztendlich die Zukunft entscheidend beeinflussen wird. Pedro Almodóvar ist in seine geografisch-emotionale Heimat – La Mancha – heimgekehrt.

Der Geist von La Mancha

Das Schwierigste an Volver ist eine Inhaltsangabe, die dem wunderbaren Universum, der erzählerischen Kunst, dem Facettenreichtum und der stilistischen Brillanz des Films gerecht wird. Die offizielle Geschichte: Drei Generationen von Frauen überleben den Wind, das Feuer, den Wahnsinn, den Aberglauben und sogar den Tod dank ihrer Güte, ihrer schamlosen Lügen und ihrer grenzenlosen Vitalität: Raimunda, Frau eines Bier trinkenden Arbeiters ohne Arbeit und Mutter einer pubertierenden Tochter namens Paula; Raimundas ältere Schwester Sole, die sich den Lebensunterhalt mit einem illegalen Friseur-Heimsalon verdient; Irene, die Mutter der Schwestern, die bei einem Brand zusammen mit ihrem Mann, ihrer großen Liebe, ums Leben gekommen ist. Irenes Geist erscheint zuerst ihrer Schwester Paula, dann Sole, obwohl die wichtigsten Angelegenheiten, die sie im Diesseits zu regeln hat, Raimunda und Agustina, ihre Nachbarin, betreffen.

Geister sind in der Mancha, bei aller Diesseitigkeit und Pragmatik, fester Bestandteil der „Realität“. Nicht umsonst konnte Don Quijote dort so hingebungsvoll gegen Windmühlen kämpfen: „Volver ist zweifelsohne derjenige meiner Filme, dem man am stärksten meine Herkunft ansieht: die Sprache, die Sitten, die Hinterhöfe, die Nüchternheit der Fassaden, die gepflasterten Straßen“, sagt Almodóvar. „Der Film handelt vom Umgang mit dem Tod in der Region La Mancha, wo ich geboren wurde. Der Umgang meiner Landsleute mit dem Tod ist von einer bewundernswürdigen Natürlichkeit. Die Art und Weise, wie die Toten sie durch ihr Leben begleiten, der Reichtum und die Humanität ihrer Riten, all das führt dazu, dass die Toten dort niemals sterben.“ So verwundert es nicht weiter und hält uns in keiner Weise im Handlungsfluss auf, wenn die vor Jahren ums Leben gekommene, geliebte und vermisste Mutter plötzlich in Soles Kofferraum auftaucht, dessen Öffnung begehrt und fortan wieder in das Leben der zwar verblüfften, aber beglückten Familie zurückkehrt.

Erzählerischer Hochseilakt

In Volver verbindet Almodóvar mühelos dramaturgisch scheinbar unvereinbare Gegensätze: Realistisches und Märchenhaftes, Humor und Tragik, Tradition und Moderne, Großstadtleben und Dorfalltag, mediale und persönliche Fiktion. Der Schriftsteller und Journalist Juan José Millas bringt es auf den Punkt: „Es gibt in diesem Drehbuch keine Grenze, die Almodóvar nicht zu überschreiten gewagt hätte. Er bewegt sich auf einer Linie, die das Leben vom Tod trennt, wie ein Seiltänzer auf seinem Seil. Er mischt erzählerisches Material von scheinbar unvereinbarer Herkunft mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Und je mehr Material er hinzufügt, desto größer wird die innere Logik der Geschichte.“

Je weiter sich die Geschichte verstrickt und entwickelt, desto mehr möchte man zusehen, wie die Figuren mit ihrer Gegenwart und Vergangenheit, den schönen und traurigen Erinnerungen daran und harten Konsequenzen daraus zurechtkommen. Man will einfach alles glauben – wenn die Mutter mit gepackter Reisetasche und Klopfzeichen auftaucht und fortan mit ein bisschen Tücke, aber ohne viel Aufhebens ins Leben zurückkehrt, um unerledigte Dinge und offene Fragen in Angriff zu nehmen. Da darf deftig geredet werden, auch von und über gerade aus dem Jenseits Zurückgekehrte, es bleibt kein gesellschaftlich relevantes Thema unberührt. Profanes, Ungeschöntes, Tabuisiertes wird zu lyrisch-poetischen Glanzmomenten des Kinos, direkt, ohne falsche Sentimentalität, vielfach wortlos und gerade deswegen so wunderbar. Bei Almodóvar gibt es kein simples „Das war, das ist“, sondern nur „Etwas ist, weil …“. Erinnerungen sind nicht auf die Tränendrüsen drückende Schaumomente, sie kommen aus den Niederungen der pura vida, dem Bauch – im wahrsten Sinne, wenn die Rückkehr der Mama sich Raimunda über deren legendäre Fürze ankündigt, und diese Erdigkeit nimmt dem Film kein bisschen von seiner zauberhaften, schelmischen Poesie. Fatalität und Phantasie haben ihren Platz in der Welt, nicht aber falsche Sentimentalität.

Feminidad

Für Almodóvar regiert in Spanien – wiewohl immer noch eine Hochburg des Machismo – einmal mehr ein selbstverständlicher Frauenkosmos. Es sind die Frauen, sensibel, manchmal tough, aber nicht sentimental, die den Alltag meistern, das bescheidene Glück sichern, das Einkommen und die Familie zusammenhalten. Es sind Nachbarinnen, die füreinander einstehen und die oft abwesenden, wenig beisteuernden oder schlicht inexistenten Männer ersetzen. Raimunda behält – einmal mehr, wie wir später erfahren werden – in größter Bedrängnis die Nerven, beweist Stärke, Kreativität und unternehmerisches Geschick, um eine existenzbedrohende Krise zu meistern. Eine gleichaltrige ehemalige Dorfnachbarin ist in der Großstadt zur berühmten Talkshow-Moderatorin geworden, und selbst Sole, Raimundas schüchterne ältere Schwester, ist für die Damen der Umgebung ein nicht wegzudenkender Mittelpunkt – nicht nur, weil sie die Frisuren der Damen und deren Seelen regelmäßig in Schuss hält. Frauen sind in der spanischen Gesellschaft eine selbstbewusste Größe, eine patente Solidargemeinschaft, nicht erst, seit die erfolgreiche Fernsehjournalistin Letizia Kronprinzessin wurde. Almodóvars immer reifer werdender Blick auf und Beitrag zur Vielfalt von Rollenbildern ist, bei allem Hang zur teils schrillen Überzeichnung, immer aus einer realen Komponente bezogen. Gerade die spanischen Frauen, denen klischeehaft das Etikett der Härte und Herzlosigkeit anhaftet, zeichnet er mit einer Mischung aus Sinnlichkeit und Pragmatik, Schwäche und Stärke, Humor und Tragik, als ein entwaffnendes, wunderbares Ganzes, das so wohl am ehesten dem Realbild von feminidad in einem pluralistisch orientierten, aufgeklärten Spanien entspricht. Ein Spanien, das, mit seiner noch nicht allzu lang überwundenen faschistischen Geschichte, wohl so etwas wie die südländische Variante skandinavischer Weltoffenheit mutig betreibt und trotz Jahrhunderten spanischen Hofzeremoniells über eine Verfassungsänderung laut nachdenkt, damit die weibliche Erstgeborene zur Königin werden kann.

Ebenso selbstverständlich sind in Almodóvars Welt die Männer in so genannten Frauenberufen tätig, wie der hingebungsvolle Krankenpfleger in Hable con ella (Sprich mit ihr, 2002), respektive sind männliche Rollen und Charaktere brüchig wie Pablo, Raimundas nichtsnutziger Ehemann, der die Familie nicht erhalten kann und begehrliche Blicke auf die eigene, wenngleich nicht leibliche Tochter wirft; oder sie hadern mit sich und ihren vorgegebenen Rollen, wie der Vater, der in Todo sobre mi madre (Alles über meine Mutter, 1999) zur Mutter wurde. Almodóvars Geschichten und Figuren sind Gegenentwürfe zu wiederholt strapazierten Archetypen, Klischees und Vorurteilen, ohne dabei dunkle und widersprüchliche Aspekte von Tradition und gesellschaftlicher Realität – sei es sozial- und familiendeterminierte – auszusparen.

Die Farbe Rot

Die Dinge des Lebens sind stets präsent: Familie, Beziehungen, Liebe, enttäuschte Hoffnungen und Leidenschaft, Verbrechen gegen die Ehre und die Moral, der Tod, das Abschiednehmen, Fluch und Segen von familiärer Prägung, unerschütterliche Liebe, Geborgenheit und (Kindes-)Missbrauch bzw. Inzest, die schwierige Rolle von Müttern (für sie selbst und ihre Familienmitglieder). Grundkonstanten in Almodóvars Schaffen seit La ley del deseo (Das Gesetz der Begierde, 1986) stehen nun in Volver in Reife und Gelassenheit einmal mehr in neuen Varianten im Zentrum. „Ich bin etwas mehr in Richtung Komödie, zum weiblichen Universum, zurückgekehrt.“ Gesellschaftlich behauptete weibliche „Schwächen“ widerlegt Almodóvar auf mehrfacher Ebene: Frauen sind bei ihm sinnlich und geschäftstüchtig, leidenschaftlich und bodenständig, stark und zerbrechlich, unversöhnlich und trotzdem vergebend, auf der Suche nach dem idealen Mann und trotzdem autark und vielfach unabhängig. Das eine ist kein Widerspruch zum anderen.

Dass Almodóvar als „Frauenregisseur“ gilt, spiegelt sich in den Glanzleistungen seiner Schauspielerinnen wider. Das personifizierte, aber differenzierte Weibliche stellen sie nicht nur dar, sondern sind es. Nach achtzehn Jahren Pause arbeitete Almodóvar wieder mit Carmen Maura. Sie wird zur „Urmutter“, faltig, ungeschminkt, grauhaarig, uneitel, und vermittelt eine wichtige menschliche Grundsicherheit: ewige Mutterliebe und moralische Integrität, auch wenn sie bittere Wahrheiten und die Enttarnung von selbstschützenden Lebenslügen mit sich bringt. Penélope Cruz, ihre filmische Lieblingstochter, liefert zweifellos die beste Performance ihrer Karriere. Almodóvar hat sie vom belanglosen Exoten-Dasein in Tinseltown, vom Posieren auf roten Teppichen zurück in die lebendige, lebhafte, lebenslustige Welt seines (Autoren-)Kinos geholt – während gerade er immer wieder Hollywood-Klassiker lustvoll zitiert, ob nun inhaltlich, visuell oder akustisch, respektive durch „Film im Film“: All About Eve klang in Alles über meine Mutter nicht nur im Titel an, und in Volver gibt es Verweise auf Hitchcock-Motive à la Psycho, Bezüge zu Mildred Pierce und zu Arsenic and Old Lace.

Dass Penélope Cruz mehr kann als Staffage zu sein, hat sie bereits in diversen spanischen Arthouse-Filmen bewiesen, und bei Almodóvar als bodenständige, viel zu gut aussehende Nonne in Todo sobre mi madre gezeigt. Auch in Volver darf sie umwerfend aussehen, mit all ihren Reizen glühen, glänzen und funkeln und gleichzeitig wild dagegen arbeiten. Als Raimunda ist sie nicht nur betörend erotisch, sie ist außerdem eine patente moderne Frau, sozial denkend und praktisch handelnd, Familiendrehscheibe, Arbeitstier und Zufallsunternehmerin, dann wieder verletzliche und humorig-derbe Schwester und Tochter sowie strenge Mutter. Cruz variiert, nein, ist all das: so sensibel, so direkt, so dezidiert spanisch und trotzdem so universell begeisternd. Almodóvar hat sich Zeit genommen. Drei Monate Proben, heißt es, hat er sich und seinen Frauen gegönnt. Die wunderbare Beziehung untereinander, die Einigkeit, mit der seine Aktricen zusammenlebten und arbeiteten, registriert auch die Kamera. Die Auszeichnungen in Cannes (Bestes Drehbuch, Bestes Darstellerinnen-Ensemble) muten da wie Trostpreise an.

Waren Hable con ella und La mala educación (Schlechte Erziehung, 2004) immer wieder von Blautönen dominiert, so ist Almodóvar mit Volver wieder bei den Themen und Tönen von Todo sobre mi madre angelangt. Der rötlichbraune Friedhof, der rote Ford Taunus, in dem sich die ungleichen Schwestern durch die Welt bewegen, die tiefrote Blutlache auf dem Küchenboden, die knallrote Kühltruhe, die ob ihrer Farbe für ein Versteck wenig geeignet scheint: Vieles in Volver ist alarmierend (und oft alarmrot markiert), und wird dennoch leicht und überzeugend einer Erklärung oder Lösung zugeführt. Märchenhaft hält Almodóvar alle Winkel und Wege seiner Geschichte – mal Komödie, mal Drama, mal Thriller – in der Hand: ein Film über das Leben und den Tod, ein vielfältiger, sinnlicher Entwurf. Selten schöner und geglückter, mit Bildern, die einen noch lange zu diesem Film und seinen Figuren zurückkehren lassen.