Ein großer Name des amerikanischen Kinos drohte schon in Vergessenheit zu geraten. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass Walter Hill eine Renaissance bevorstehen könnte. Verdient hätte er es sich allemal.
In den letzten Jahren war es zugegebenermaßen still um den Mann geworden. Abgesehen von einigen Fernseharbeiten und dem Desaster um die Science-Fiction-Verfilmung Supernova (deren Resultat Walter Hill offensichtlich so peinlich war, dass er seinen Namen zurückzog und deshalb das Pseudonym Thomas Lee als Regisseur aufgelistet wird), gab es kaum Nachrichten, die darauf schließen ließen, dass man den Namen Walter Hill noch einmal als einflussreiche Kraft des gegenwärtigen Kinos wahrnehmen würde. Ein Mann mit einer prononcierten Vorliebe für das Westerngenre schien in Zeiten, in denen das Kino von digital hochgerüsteten Fantasywelten beherrscht wird, ein hoffnungslos überkommener Anachronismus zu sein. Doch alle Abgesänge auf eine Karriere, deren Erfolge vermeintlich der Vergangenheit angehörten, waren wohl ein wenig verfrüht. Denn wenn man die Anzeichen richtig deutet, erlebt das Kino des Walter Hill einen unerwarteten Höhenflug.
Moderner Traditionalist
Selbst Fans seiner Arbeiten hatten es nicht immer leicht, Walter Hill jene Anerkennung zu verschaffen, die seinem Beitrag zur Erneuerung des US-amerikanischen Films gerecht wird. Obwohl seit Ende der 60er Jahre im Filmgeschäft aktiv, wurde Walter Hill selbst in der Fachliteratur fast nie zum inneren Kreis der Repräsentanten der New-Hollywood-Ära gezählt, die für diese Wiederbelebung in den 60ern und 70ern hauptverantwortlich zeichneten. Was im Rückblick um so erstaunlicher erscheint, sind doch die Filme Walter Hills von einer ganzen Reihe jener Merkmale geprägt, die die wesentlichen Qualitäten des New-Hollywood-Kinos ausmachen: ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Traditionen des klassischen Genrekinos und die Fähigkeit, jenem Genrekino durch die persönliche Handschrift des Filmauteurs neue, frische Qualitäten zu verleihen.
In diesem Sinne müsste man Walter Hill eigentlich als geradezu typischen Vertreter New Hollywoods ansehen, ließ er doch nie Zweifel über seine Wertschätzung für das Genrekino aufkommen (insbesondere für den Western, und bei genauerer Betrachtung tragen fast alle seine Filme zentrale Elemente dieses Genres in sich). Gleichzeitig sind seine Inszenierungen durch einen sehr individuellen Stil gekennzeichnet, der seine Filme weit über pures Genrekino hinausträgt. Walter Hills Inszenierungen sind stets formal sehr komplexe Werke, die besonders von präzisem Timing und einem ausgeprägten, exakt funktionierenden Erzählrhythmus getragen werden. Denn bei aller konzeptuellen Dichte, die seine Filme charakterisieren, hat die formale Gestaltung in Walter Hills Kino nicht die Aufgabe, Manierismen zu pflegen, sondern dient schlussendlich dazu, die narrativen Elemente des Plots zu betonen. Wobei Walter Hill trotz seiner Affinität für die erzählerischen Traditionen des klassischen Hollywoodkinos auch immer wieder bereit war, narrative Konventionen durch teilweise extreme Stilisierungen bis an ihre Grenzen zu treiben. So erinnert The Driver (1978) durch seine stark reduktionistische Inszenierung und den konsequent lakonischen Grundton vielmehr an den Existenzialismus Jean-Pierre Melvilles als an einen typischen Actionfilm Hollywoods.
The Warriors (1979) ist vielleicht jener Film, der aus einer Reihe von Gründen die ausgeprägten formalen Dimensionen, die das Gesamtwerk Walter Hills kennzeichnen, am deutlichsten repräsentiert. Der Plot um eine Streetgang, die sich, gejagt von allen rivalisierenden Banden, quer durch das nächtliche New York bis ins heimatliche Coney Island durchzuschlagen versucht, erscheint nur an der Oberfläche als der eines konventionellen Actionthrillers. Denn bereits die Anfangssequenz macht deutlich, dass der Film vor allem eine formale Gestaltung, die von der Dramaturgie über die Kameraarbeit bis hin zu den Kostümen und einer akzentuierten Farbkomposition reicht, betont. Das resultiert in einer teilweise extremen Stilisierung, die Genrekonventionen oft nur noch als Versatzstücke im Rahmen des eigenen Gesamtkonzepts verwendet. Dieser mit fast mathematischer Präzision umgesetzte Konzeptualismus hat Walter Hill oft den Vorwurf eingetragen, kaltes, emotionsloses Kino zu produzieren, was jedoch auf einem grundlegenden Missverständnis beruhen dürfte.
Zwar lebt das Kino Walter Hills neben seiner Genretradition sehr stark von den Rückgriffen auf diverse Mythen und Archetypen, doch der ausgeprägte Formalismus fungiert dabei als eine Art Kontrapunkt, der sicherstellt, dass seine Filme trotz stark traditioneller Motive (die unerbittliche Verfolgung: The Warriors, Southern Comfort, Geronimo; unerbittliche Rivalität der Protagonisten: The Driver, Extreme Prejudice, oder klassische Western-Hommage: The Long Riders) niemals Konventionen eindimensional präsentieren oder bloß pathetisch aufkochen. Die Verbindung zwischen stilistischer Überhöhung und Verwendung traditioneller Mythen tritt vermutlich in Streets Of Fire (1984) am offenkundigsten zutage, schon im Vorspann wird durch den Schriftzug „A Rock & Roll Fable“ explizit darauf verwiesen. Der Mythos des klassischen Western vermengt sich mit jenem der Popkultur, die urbane Metropole mutiert zum überdimensionalen Mikrokosmos der prototypischen Westernstadt, samt stilgerechtem finalem Duell der Protagonisten.
Isolierte Helden
„You are a real sad case: You don’t love who you are fighting for, and you don’t hate who you are fighting against.” Diesem Vorwurf sieht sich Lieutenant Gatewood in Geronimo (1993) ausgesetzt, weil er bei seinen Vermittlungsversuchen vermeintlich zuviel Verständnis für die Indianer zeigt. Doch mit diesem Satz könnte man ebenso treffend nahezu alle Helden Walter Hills und ihr grundlegendes Dilemma charakterisieren. Denn obwohl seine Protagonisten zumeist innerhalb und mit bestimmten sozialen Gruppen agieren (müssen), bleiben sie doch auch immer irgendwie Außenseiter oder stehen sogar in einem latenten Konflikt mit ihrem Umfeld. Powers Boothe empfindet für seine Kameraden der Nationalgarde mehr Verachtung als für die feindlichen Cajuns (Southern Comfort), Michael Beck wird erst durch widrige Umstände zum Anführer seiner Gang, bleibt aber immer etwas distanziert (The Warriors), Nick Nolte (48 Hours, Extreme Prejudice) und James Belushi (Red Heat) bleiben als Cops selbst bei ihren Kollegen bestenfalls geduldete Außenseiter, Michael Pare (Streets Of Fire) und Jason Patric (Geronimo) werden nur wegen ihrer Fähigkeiten in einer Krisensituation wieder kontaktiert, Bruce Willis steht sowieso zwischen allen (amoralischen) Fronten (Last Man Standing). Walter Hills Helden sind zwar durchwegs kompetente Charaktere, doch sie handeln stets nach einem eigenen, strikten Ehrenkodex, der sich pragmatischen Anpassungen konsequent verweigert, was sie jedoch sehr leicht in Konflikt mit ihrem jeweiligen Umfeld bringt. Genau dieses Wissen um die eigene Isolation lässt Hills Helden zu Anfang oft ein wenig resignativ und zurückhaltend erscheinen, erst die äußeren Umstände zwingen sie zum Agieren (dann allerdings mit fast rücksichtsloser Konsequenz). Diese stoisch-resignierende Grundhaltung seiner Protagonisten ist aber auch mitverantwortlich für jene ausgeprägt lakonische Atmosphäre, die so charakteristisch für das Kino des Walter Hill ist und ihm oft als kühl kalkulierter Zynismus ausgelegt wurde.
Mit derselben Konsequenz, mit der seine Helden an ihrem Ehrenkodex festhalten, hat Walter Hill auch immer an seinen Vorstellungen als Filmemacher festgehalten. Den Möglichkeiten der digitalen Aufrüstung hat er sich ebenso verweigert wie der Versuchung, durch routiniert-technokratisches Genrekino den zuletzt ausbleibenden finanziellen Erfolg zurückzuholen. Doch es gibt Indikatoren, dass das unverfälschte Kino des Walter Hill sich neuer Wertschätzung erfreut: Das Torino Filmfestival widmete ihm eine umfassende Werkschau (siehe Interview), ein (ausgezeichnet kommentierter) Director’s Cut von The Warriors wurde jüngst auf DVD veröffentlicht, und der Thriller Little Sister ist Hills nächstes Filmprojekt. Wobei sich die Walter-Hill-Renaissance wohl weniger mit einem Hang zur Nostalgie erklären lässt als vielmehr damit, dass seine Filme jene Synthese von formaler Brillanz, markanten Charakteren und lebendiger Dynamik aufweisen, die man im technokratisch geprägten Mainstream-Kino der jüngsten Vergangenheit immer seltener findet. Demnächst bringt jedenfalls Tony Scott ein Remake von The Warriors ins Kino. Walter Hill wird auch das überstehen.