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Österreichische Filmkarrieren | Interview

Was wurde eigentlich aus …?

| Günter Pscheider |
Die Viennale war immer auch eine wichtige Bühne für das heimische Kino. Viele österreichische Filmkarrieren nahmen hier ihren Anfang. Von anderen Filmschaffenden hörte man nach ihren großen Viennale-Abenden aber weniger oder gar nichts mehr. Stellvertretend für viele: Kitty Kino und Leopold Lummerstorfer im Gespräch.

Goran Rebic´ zum Beispiel, bei der Viennale mit The Punishment und zuletzt 2003 mit Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea vertreten, verschwand danach fast völlig in der Versenkung (demnächst mehr über ihn in „ray“). Oder Michael Synek, auch international hoch gepriesen für Die toten Fische von 1989. Der Film blieb leider ein One-Hit-Wonder. Auch der angesehene Dokumentarfilmer Egon Humer (bei der Viennale u.a. mit Schuld und Gedächtnis und Running Wild, 1992, vertreten) dreht heute keine Filme mehr, er arbeitet mit seiner Firma Firstmedia Network an Umsetzungen dokumentarischer Inhalte im Internet. Klassisch ist natürlich bei vielen Filmschaffenden der Schwenk hin zum Fernsehen, leicht nachvollziehbar wegen der weit besseren Auftragslage, des damit verbundenen sichereren Einkommens und der besseren Planungsmöglichkeiten. Peter Ily Huemer (Dead Flowers, 1992) wäre hier als Beispiel zu nennen.

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Neben der rein beruflichen Motivation waren oft auch sehr persönliche Gründe für die Abkehr vom Kino ausschlag-
gebend. Nicht alle wollten darüber reden, auch vom „eigenen Scheitern, über das man nicht öffentlich Auskunft geben will“, war auf Nachfrage die Rede. Es verwundert nicht, dass in fast allen diesen Geschichten und künstlerischen Lebensläufen das österreichische Förderwesen eine zentrale Rolle spielt. Bekanntlich ist der Förderkuchen stets viel zu klein für alle interessanten Projekte, und nicht immer ist bei den Zusagen unbedingt Qualität ausschlaggebend, sehr oft entscheiden auch Hartnäckigkeit oder simples Glück, außerdem drängen jedes Jahr neue Talente auf den Markt. Das daraus entstehende Gefühl der Ungerechtigkeit oder gar der Willkür im Fall von Ablehnungen gräbt sich tief in die Künstlerseele, die ökonomische Abhängigkeit von diesen Gremien führt vielfach zu Frust, Ohnmacht und oft auch zum Aus für die jeweilige Filmlaufbahn.

Im Folgenden geht es um zwei Filmschaffende, deren Karrieren exemplarisch für viele dieser Geschichten stehen. Kitty Kino, 1948 in Wien geboren, war viele Jahre lang aus dem österreichischen Filmbetrieb nicht wegzudenken. Schon mit ihrem ersten, sehr erfolgreichen Spielfilm Karambolage (1983 im Kino, 1990 lief er bei der Viennale) mit Marie Colbin in der Hauptrolle als brillante Billardspielerin, die in eine Männerdomäne einbricht, gelang Kino ein Fixeintrag im österreichischen Filmkanon. Nach Die Nachtmeerfahrt (1985) und Wahre Liebe (1989) verlegte sich Kitty Kino in den Neunzigern mehr und mehr auf den TV-Bereich, heute ist sie als Autorin und Kunstfotografin tätig.

Leopold Lummerstorfer wiederum, geboren 1968 in Gramastetten, feierte mit seinem vielbeachteten Dokumentarfilm Der Traum der bleibt über die Wiener Gemeindebausiedlung Trabrenngründe 1996 bei der Viennale Premiere. 2000 folgte mit Gelbe Kirschen mit Martin Puntigam und Josef Hader der zweite große Viennale-Auftritt. Doch trotz des Erfolgs und seiner zahlreichen Festivaleinladungen blieb der Film über einen jungen Fremdenpolizisten, der sich in eine sogenannte „Illegale“ verliebt, Lummerstorfers bislang letzte Kinoarbeit.

Warum haben Sie keinen Kinofilm mehr gedreht?
Leopold Lummerstorfer: Ich habe in den Neunzigern die Doku Der Traum der bleibt realisiert, über einen Wiener Gemeindebau mit achttausend Einwohnern. Das Stadtkino war wochenlang ausverkauft. Danach drehte ich meinen ersten größeren Spielfilm Gelbe Kirschen, den Fremdenpolizei-Blockbuster, der zum bis dahin erfolgreichsten Nachwuchsspielfilm avancierte. Als nächstes ging ich ein aufwändiges „Coming of Age“-Spielfilmprojekt an. Zehn Förderstellen waren bereits mit Zusagen dabei, es gab auch beachtliches Fördergeld aus Deutschland. Nur der Filmfonds in Wien, wo ja der Großteil der Ausgaben geplant waren, lehnte eine Förderung ab. Dieses Vorgehen war eine Premiere. Bis dahin war es Usus, dass sich die drei großen österreichischen Förderinstitutionen (Filminstitut, ORF, Filmfonds Wien, Anm.) abstimmen, u. a. im Hinblick auf die Aufwände, die eine Projektentwicklung in der Dimension bedeutet. Für mich waren damit jedenfalls vier Jahre Arbeit abzuschreiben. Nach der Erfahrung musste ich annehmen, dass das Verständnis der Verantwortlichen von „Förderung“ beim nächsten Projekt anders sein kann – oder aber auch nicht. Da Regisseur mein Beruf und nicht mein Hobby war, habe ich mir folglich verordnet, nur mehr Dinge mit einem Zeithorizont von maximal sechs Monaten anzupacken.

Kitty Kino: Öffentliches Klagen liegt mir nicht, aber vielleicht sollte ich meine Kritik am Fördersystem doch einmal aussprechen. Ich könnte mit meinen Absageschreiben jedenfalls eine Wand tapezieren. In der frühen Zeit der Filmförderung hatten wir Frauen gute Chancen, dann erwachten die Männer aus der Schockstarre über unsere Erfolge und wollten wieder unter sich bleiben. Erst mit Barbara Alberts Nordrand hat sich das geändert. Bei meiner letzten Einreichung 2014 war ich sicher, dass es klappen müsste: „Notlandung“, die Fortsetzung von Karambolage, eine Aussteigerstory vor dem Hintergrund der Griechenland-Krise. Marie Colbin war begeistert, Dieter Pochlatko (als Rechtenachfolger der Neuen Studio Film) war als Produzent dabei, aber die Förderung hat das Projekt schon im Treatment-Stadium abgelehnt. Begründung: „nicht zeitgemäße Weiterentwicklung der Hauptfigur“. Danach wollte ich mich von Gremien nicht weiter verhohnepiepeln lassen.

Was finden Sie gut und was reformbedürftig am gegenwärtigen Fördersystem?
Leopold Lummerstorfer:
Die Entwicklung der Filmbranche war nach dem Filmförderungsgesetz 1980 positiv, es gab eine Aufbruchsstimmung. Um 2000 brach das, auch finanziell, ein. Der Traum der bleibt, 1995 vom damaligen Kunstministerium hauptfinanziert, wäre zum Beispiel nach 2000 schlicht nicht herstellbar gewesen, mangels Budget der sogenannten Kleinen Förderung.

Kitty Kino: Wird ein Projekt abgelehnt, ist man schlechter dran als bei einem Gerichtsverfahren, wo es Einspruchsmöglichkeiten und weitere Instanzen gibt. Neu einreichen darf man nur, wenn „tiefgreifende Veränderungen“ gemacht werden. Filmschaffende werden also schlicht nicht als Künstler anerkannt, die selbst bestimmen, wie ihr Werk auszusehen hat. Das mittelalterliche System, wonach auch eigene Kolleginnen und Kollegen über unsere Schicksale entscheiden, ist suboptimal. Und wenn schon eine Absage erfolgt, dann bitte nicht mit einer hingeschluderten, bösartigen Dreisatzkritik.

Was war oder ist für Sie persönlich das Highlight Ihrer Filmkarriere?
Leopold Lummerstorfer:
In jüngster Zeit die Begegnung mit dem 90-jährigen James „The Amazing“ Randi, dem großen Magier aus den USA, der u. a. auch mit Alice Cooper tourte und in den siebziger Jahren in Johnny Carsons Tonight Show auftrat. Ich hatte mit ihm als Regisseur zu tun.

Kitty Kino: Karambolage – beim Filmstart sogar mit eingeschobenen Sondervorstellungen – und Die Nachtmeerfahrt bei der Berlinale. Und mit Wahre Liebe erreichte ich in Russland 60 Millionen Menschen.

Welchen Stellenwert hatten für Sie die Viennale-Aufführungen Ihrer Filme?
Leopold Lummerstorfer: Als meine Filme bei der Viennale uraufgeführt wurden, war Wien, im Gegensatz zu heute, noch Post-Ostblock-verschlafen und sehr grau, besonders im Herbst. Da waren die markanten Viennale-Neon-Beleuchtungen ein richtiger Magnet in den Straßen. Die Filmauswahl sprach viel und waches Publikum an, entsprechend anregend waren auch die Filmabende.

Was würden Sie heute in Bezug auf Ihre Filmlaufbahn anders machen?
Leopold Lummerstorfer:
Es heißt ja, das Leben erklärt sich rückwärts, es lebt sich aber vorwärts, frei nach Kierke-gaard. Also habe ich mir darüber noch nicht extra den Kopf zerbrochen.

Was machen Sie heute? Woran arbeiten Sie?
Leopold Lummerstorfer:
Ich habe mich auf Live-Regie konzentriert, im Theater-, Musik- und Showbereich. Am bekanntesten sind sicher die Science Busters für den ORF, ich war bei über achtzig Folgen der Regisseur. Mit konstant großem Zuschauerinteresse über all die Jahre. Mittlerweile hat die Sendung sogar manche jüngeren Zuschauer dazu inspiriert, ein naturwissenschaftliches Studium zu beginnen.

Kitty Kino: Meine Kreativität hat sich aufgespalten in künstlerische Fotografie (zuletzt erschien das Fotobuch „Kitty Kino Vienna“) und das Schreiben (kürzlich erschienen: „Die kleinste Berührung“). Mir wird nicht fad.

Welche österreichischen Filme der jüngsten Zeit haben Ihnen am besten gefallen?
Leopold Lummerstorfer:
Kenan Kilis Dokumentarfilm Brücken über Brücken. Darin erhellen typische Wienerinnen und Wiener, handwerklich fein gemacht, Kunst und Lebenskunst.

Kitty Kino: Die beste aller Welten, Atmen, der Dokumentarfilm Sühnhaus und von den Genrefilmen die Komödie Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott.

Gesellschaftliche Krisensituationen waren oft gut für spannenden Filmoutput. Sehen Sie die gegenwärtigen politischen Zustände kreativ beflügelnd oder hemmend?
Kitty Kino:
Tagespolitik beflügelt mich nicht. Übrigens kam Kulturpolitik im vergangenen Wahlkampf nicht vor. Ich trete für einen eigenen „Künstlerstatus“ ein – das wäre einer Kulturnation würdig. Künstler sind keine Neuen Selbständigen oder EPUs.

Sehen Sie die Umbrüche in der Filmbranche durch die verbesserten technischen Möglichkeiten eher als Chance oder als Risiko?
Kitty Kino:
Ich sehe durchaus Chancen. Ich habe gerade mit dem Handy einen Werbetrailer für meinen neuen Roman gedreht. Bild- und Tonqualität sind super, und man fühlt sich richtig autark. Wer weiß, welche
Türen sich da noch für mich öffnen.