Waves Film

Filmkritik

Waves

| Pamela Jahn |
Erlebniskino der anderen Art

Es gibt Filme, die muss man nicht nur sehen, man muss sie erleben. Waves von Trey Edward Shults ist so ein Fall: Eine sinnliche Erfahrung, die den Bildern eine Dimension jenseits des Visuellen abzugewinnen vermag, die Musik zelebriert, Licht und Farben intensiviert. Ein Film, der Emotionen freisetzt, Stimmungen erzeugt und Erinnerungen wachruft, die unablässig zwischen emphatischen und bestürzenden, ekstatischen und körperlichen, vergangenen und allgegenwärtigen Gemütsbewegungen changieren. Shults’ modernes Epos über eine afroamerikanische Familie in Miami lebt vor allem in der ersten Hälfte von dieser atemlosen Dynamik sowie von einer Vielzahl ungewohnter Brüche im Stil, Ton und in der Erzählweise, die den Film wunderbar aufregend machen. Mit Anleihen an eine griechische Tragödie und ähnlich unkonventionell inszeniert wie Berry Jenkins’ Moonlight, ist die dritte Regiearbeit des jungen Texaners eine moderne Parabel über das Leben und die Liebe, über das Schicksal und die Erlösung, über Verlust und Neuanfang.

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Angeführt wird die Familie von einem überstrengen Vater, der nur das Beste will für seinen fast erwachsenen Sohn Tyler (Kelvin Harrison Jr.) und dessen jüngere Schwester Emily (Taylor Russell), aber mit seiner dominanten, fordernden Art nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Frau Catherine zunehmend unter Druck setzt. Am härtesten bekommt Tyler, als Ringer ein höchst erfolgreicher Sportler an seiner High School, den unbedingten Erfolgszwang seines Vaters zu spüren. Dabei hat Tyler ganz andere Sorgen: Er hat sich eine üble Schulterverletzung eingehandelt, die ihn für mindestens eine Saison außer Gefecht setzt. In seiner Panik und Hilflosigkeit betäubt er das Leiden mit Medikamenten, die er heimlich seinem Vater stiehlt. Doch die Pillen helfen nur bedingt gegen die körperlichen Schmerzen und versagen gänzlich, wenn es darum geht, seinen Liebeskummer zu mildern, der seit dem Bruch mit seiner Freundin immer stärker und unkontrollierbarer Besitz von ihm ergreift.

Die Katastrophe, die folgt, ist vorprogrammiert. Doch es ist die Zeit danach, in der Shults und sein Film zur Hochform auflaufen – in der Sprachlosigkeit, im Schock und der leisen Hoffnung auf ein Leben nach der Erschütterung. Dass der 31-jährige Regisseur am Ende Schwierigkeiten hat, von seinem kühnen Drama loszulassen, ist verständlich, wenn man weiß, wie viel Persönliches von ihm und Harrison Jr. in dem Projekt steckt. Und auch die Tatsache, dass Shults einst von Terrence Malick gelernt hat, erklärt einiges. Die Art, wie er Realität, Traum und Trauma in ein sinnliches Kinoerlebnis verwandelt, ist dennoch beeindruckend.