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#we_do!

Wehrt euch!

| Jakob Dibold |
Fabian Eder im Interview über die Arbeit der Anlaufstelle #we_do! und strukturellen Wandel

Seit 2019 gibt es mit #we_do! eine Anlaufstelle „gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verletzungen im Arbeitsrecht“. Vom Dachverband der Filmschaffenden ins Leben gerufen und von der VdFS – Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden, der VAM und dem BMKÖS finanziert, strebt #we_do! echte strukturelle Veränderungen in der Filmbranche an. Der Filmemacher Fabian Eder war seit 2013 Vorstandsvorsitzender der VdFS sowie seit 2017 Obmann des Dachverbands der österreichischen Filmschaffenden. Nun zieht er sich von diesen Funktionen zurück, um einer neuen Generation Platz zu machen und sich auf seine filmischen Projekte zu konzentrieren. Im „letzten“ Interview spricht er über die Idee hinter #we_do!, den Entstehungsprozess und das proaktive, präventive Element der Anlaufstelle und über erfreuliche Resonanz und endlich stattfindenden Wandel.

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Der Dachverband der österreichischen Filmschaffenden hat 2019 mit „#we_do!“ eine Anlaufstelle geschaffen, „gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verletzungen im Arbeitsrecht“. Medial so richtig präsent ist sie jetzt erst, die Dringlichkeit gab es schon davor. Wie war der Entstehungsprozess?
Fabian Eder: Der Entstehungsprozess hatte schon lange begonnen, bevor die #MeToo-Bewegung aufgekommen ist. Das war ja etwa 2017, 2018. Wir haben bereits 2016 begonnen, über diese Anlaufstelle nachzudenken. Konkreter Anlass war eine Studie („Arbeits- und Lebenssituation der Filmschaffenden“, Studie im Auftrag der VdFS, Anm.), die wir Ende 2015 durchgeführt haben. Aus dieser Studie haben wir vier Problemfelder herausgeschält, und in diesen vier Feldern hat sich gezeigt, dass wir in unserer Branche ein Problem mit Machtgefällen und steilen Hierarchien haben – und zwar quer durch alle Berufsgruppen, das betrifft die Produzenten und Produzentinnen genauso wie die Beleuchter und Beleuchterinnen. Wir haben auch festgestellt, dass kaum jemand den Rechtsweg beschreitet, wenn es Machtmissbrauch oder einen Übergriff gibt, weil das damit einhergeht, dass man dann keinen Job mehr kriegt. Dann kam #MeToo und die Akademie des österreichischen Films hat sofort eine Anlaufstelle eingerichtet, an der wir in den Diskussionen in den Gremien erkannt haben, dass sie nicht funktionieren wird. Denn es kann nicht sein, dass Leute, die selbst in der Branche sind, Fälle von Machtmissbrauch entgegennehmen, das ist ein systemischer Widerspruch. Bei der schematischen Darstellung der Problemfelder fiel uns auf, dass auch oft, wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, das Vorkommnis zwar noch nicht juristisch relevant sein muss, aber es trotzdem eine gewisse Häufung in manchen Bereichen geben kann, was ein Hinweis darauf ist, dass dort etwas im Argen liegt. Nach diesem Prinzip haben wir #we_do! damals aufgestellt. Die Akademie hat ihre Aktivitäten dann auch gleich eingestellt, weil sie mit uns einer Meinung waren.
Es gibt ein großes Bedürfnis unter den Filmschaffenden – in allen Gruppen –, das Arbeitsklima zu verbessern und ich glaube, dass wir in den letzten zwei, drei Jahren auch ordentlich weitergekommen sind. In den letzten Monaten sehe ich aber durchaus, dass es die toxische Tendenz gibt, #we_do! im Zuge der sogenannten Genderdebatte zu instrumentalisieren. Das gefährdet diese Anlaufstelle. #we_do! ist darauf ausgerichtet, nicht Partei zu ergreifen, sondern die betroffenen Personen zu schützen, sie zu begleiten und versucht aus den gesammelten Fällen strukturelle Maßnahmen abzuleiten. Alles und jeder bleibt absolut anonym. Das ist das Dogma. In den letzten Wochen haben wir leider mit wirklich gleichermaßen falschen wie bösartigen Gerüchten von allen Seiten zu tun gehabt.

… „die böse #we_do!, diese Scharfrichter“ et cetera?
Das und vieles mehr. Wobei man sagen muss, dass das eine kleine Gruppe von Filmschaffenden aus unterschiedlichen „Lagern“ ist, die alle anderen gewissermaßen in Geiselhaft nimmt. Den einen ist die Stelle zu aktiv, den anderen tut sie zu wenig. Einige drehen es sich so hin, wie es ihnen in den Kram passt.

Entsprechen die aktuellen Abläufe dem ursprünglichen Plan (s. Grafik): Am Jahresende wird ein Bericht erstellt, der aus den gesammelten Fällen Schlüsse zu ziehen versucht?
Genau, ja. Das ist die anonyme Auswertung. Dort entfaltet die Stelle ihre strukturelle Wirkung. Nach dem Bericht setzen wir uns zusammen, mit Filmschaffenden, Produzenten, Förderstellen und diskutieren, was wir verändern können. Die Fernsehanstalten sind aktuell leider noch nicht dabei, die Zusammenarbeit mit diesen gestaltet sich leider sehr schwierig.
Wie Sie anfangs angedeutet haben, hatten wir nie viele Mittel für die Kommunikation nach außen aufgewendet. Das haben wir nie als unsere zentrale Aufgabe angesehen. Die Stelle soll in erster Linie nach innen wirken. Vor einigen Wochen sind wir allerdings in Bedrängnis gekommen, was sowohl mit der Causa Ulrich Seidl als auch mit der Einführung von Vera* zu tun hat. (Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport, Anm.).

Inwiefern ist Vera kontraproduktiv für #we_do?
Kontraproduktiv sahen wir es zunächst aus zwei Gründen: Erstens haben wir befürchtet, dass sich viele Leute zu diversen Themen nur mehr bei vera* melden und nicht bei mehr uns und somit unsere Datenlage erheblich geschwächt wird – was die strukturelle Wirkung beschädigt hätte. Das ist erfreulicherweise nicht eingetreten, es handelt sich bislang – soviel ich höre – wenn, dann meistens um Doppelmeldungen.
Zweitens und zweifellos halte ich die anfangs unsaubere Abgrenzung von vera* zu #we_do! für kontraproduktiv, weil vera* eher wie ein letztlich politisches und feministisches Tool ist, das als solches sicher eine gesamtgesellschaftliche Berechtigung hat, aber nicht als eine Stelle konzipiert ist, die für eine strukturelle, ausgewogene Veränderung in einer konkreten Branche unter Einbeziehung aller Gruppen steht.
Der Dachverband war ja in die Entstehung von vera* ein Zeit lang involviert und hat sich dann zurückgezogen, nachdem wir gesehen haben, dass das in eine falsche Richtung geht. Wir haben unsere Bedenken mehrfach und nachdrücklich angemeldet.

Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachverbänden aus?
Der Dachverband der Filmschaffenden ist ja die Organisation, die #we_do! im Moment noch organisatorisch abwickelt, wobei für nächstes Jahr geplant ist, eine eigene Organisation daraus zu machen, die dann vollkommen unabhängig agieren soll. Die externen Berater und Beraterinnen arbeiten schon jetzt selbstständig und unabhängig von uns. Wir erhalten alle Berichte über Fälle nur vollkommen anonymisiert, wir wissen nicht, wer sich meldet und wir kennen auch die Namen der mutmaßlichen Täter und Täterinnen nicht. Das ist ganz, ganz wichtig.
Als wir #we_do! konkret aufgesetzt haben, war uns von Anfang an wichtig, dass wir in die Aufklärung und in die Prävention gehen. Deswegen gibt es viele Workshops, die der Dachverband sehr bemüht organisiert und kommuniziert. Diese Workshops sind sehr gut gebucht, um nicht zu sagen überrannt. Auch die Wirtschaftskammer, das ÖFI und der Filmfonds Wien machen Veranstaltungen und buchen unsere Berater und Beraterinnen. #we_do! hat sich als Kompetenz-Zentrum mittlerweile etabliert. Interessant dabei ist, dass es eine Berufsgruppe gibt, die diese Workshops nur ganz zaghaft bucht: Die Regisseure und Regisseurinnen. Das zeigt auch, dass derzeit einige Debatten ein Stück weit irrational übereinander liegen. Die einen wollen nicht in einen Workshop mit den anderen, die anderen buchen kaum, weil sie denken, es gehe sie eh nichts an – ganz nach dem Motto: „Auf meinem Set passiert das ja eh nicht.“ Da sind viele Missverständnisse dabei. Wenn man sich das im Vergleich zu allen anderen Berufsgruppen ansieht, ist das jedenfalls sehr auffällig.

Es ist sicher oft schwierig, bestimmte Gruppen dazu zu bringen, diese Angebote anzunehmen. Hinsichtlich von Männern ausgehender Gewalt ist #we_do! mit dem Gesundheitspsychologen und Männerberater Daniel Sanin ja gut aufgestellt. Doch wird das genutzt?
Eine wirkungsvolle Anlaufstelle muss meiner Meinung nach bei den Beratern und Beraterinnen immer beide Geschlechter repräsentieren. Insofern: Ja. Aber als grundlegenderes Problem orte ich hinsichtlich #we_do! bei den Regisseuren und Regisseurinnen ein Missverständnis darüber, was die Aufgabe dieser Workshops ist. Den Teilnehmenden wird klargemacht: Was ist ein Übergriff? Was ist die rechtliche Situation? Wie kann ich präventiv eine Situation vermeiden, die einen Übergriff begünstigt? In den Workshops geht es nicht darum, jemanden individuell zu betreuen, sondern um strukturelle Veränderung und Prävention.

Die Produktionsfirmen ins Boot zu holen scheint wirklich am wichtigsten. Könnten Sie darauf noch näher eingehen?
Ja, da passiert wirklich viel. Eine Geschichte erzähle ich gerne: Letzten Sommer hat sich jemand bei #we_do! gemeldet, der selbst nicht betroffen war, aber einen Übergriff beobachtet hat. Die Person hat damals gesagt, dass es einen Fall am Set gibt, wo jemand aus einer „unteren“ Hierarchiegruppe auf einen Missstand aufmerksam gemacht hatte und daraufhin entlassen wurde, während der Verursacher geschützt wurde. Mithilfe des Coachings der #we_do!-Stelle ist es gelungen, diesen Fehler zu korrigieren. Am Ende ist eine für alle bessere Situation entstanden. #we_do! ist heute auf vielen Dispos im fiktionalen Bereich bereits fixer Bestandteil. Die Aufnahme- und Produktionsleitungen machen das ganz proaktiv und informieren darüber, wer #we_do! ist, dass die Leute sich bei #we_do! melden sollen, wenn etwas passiert, zu passieren droht. Das ist sehr wichtig, dass das nicht intern, also eben nicht innerhalb des Stabs oder der Firma passiert, da kommt man sehr schnell in sehr ungute Situationen. Bei #we_do! hingegen bekommt man von Außenstehenden Auskunft und Unterstützung: War das ein Übergriff? Was ist da passiert? Was kann ich tun und an wen wende ich mich? Unsere Berater und Beraterinnen begleiten die Betroffenen oder Beobachter und Beobachterinnen durch diesen Prozess.
Produzenten und Produzentinnen buchen unsere Berater und Beraterinnen immer häufiger, um vor Produktionsbeginn, beim Warm-Up, die rechtliche Lage zu erklären und sich vorzustellen. „Das ist unsere Nummer, das sind unsere Gesichter“, das hilft enorm. Darüber bin ich sehr froh, weil es zeigt, wie sehr es allen gemeinsam ein Anliegen ist, das Arbeitsklima in der Branche zu verbessern: Meike Lauggas (Coach und Organisationsberaterin bei #we_do!, Anm.) hat einmal etwas sehr Kluges gesagt: „Was so auffällig in eurer Branche ist, ist, dass es keine Feedbackschleifen gibt.“ Wichtig für eine substanzielle Verbesserung wäre, dass sich alle Beteiligten zu einem disponierten Termin vor Drehbeginn treffen, wo die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, aber auch Besonderheiten klar und für alle gemeinsam kommuniziert werden. Und dass man sich dann aber genauso nach Drehschluss zusammensetzt und einen Raum schafft, wo jede Person, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, sagen kann, was gut funktioniert hat und was schlecht. Im Sinne einer gegenseitigen Bereicherung, um es das nächste Mal besser zu machen.

Für viele Außenstehende wirkte #we_do! bis jetzt eher wie ein Instrument der Reaktion. Das hat schon das Wort Anlaufstelle ein bisschen an sich, nicht? Mir war nicht klar, dass das proaktive Element so stark ist. Und toll, dass die Produktionsfirmen in Österreich das vermehrt annehmen.
Stimmt, das sollte man in Zukunft noch viel stärker betonen. Wir dachten damals, dass wir das schon mit dem Namen ausreichend unterstreichen: Also nicht im Sinne von #MeToo – der Hashtag ist der berechtigte, wichtige und öffentliche Aufschrei eines Opfers – , sondern eben „We do“ – wir tun was, wir verändern was, und zwar ganz proaktiv und auch unabhängig davon, was in den Medien gerade debattiert wird. Und ja, die Produktionsfirmen nehmen das ganz, ganz breit an! Das finde ich super.

Wie ist denn Ihre eigene Perspektive als Filmemacher? Wie integriert man welche Verantwortungen sinnvoll in die Arbeit als Regisseur? Natürlich kann man nicht alles sehen, ist aber doch ein großes Stück weit verantwortlich.
Das eine ist die juristische Komponente, da ist man auf Produktions- oder Regie-Seite in unterschiedlichen, aber klaren Verantwortungen – und zwar auch für das, was hinter einer geschlossenen Tür passiert. Darüber hinaus gibt es moralische, ethische Verantwortung. Persönlich glaube ich, dass man die Dinge nur nachhaltig verändern kann, indem man das Arbeitsklima verändert. Wir haben 2016 mit der Studie festgestellt, dass die durchschnittlichen Arbeitszeiten, vor allem im fiktionalen Bereich, bei 80 bis 85 Stunden pro Woche lagen. Das war – und ist – per se ein illegaler Zustand. Das ist einfach verboten, Punkt.
Wenn ich aber diesen Arbeitszeitdruck, diese Überlastung, diese permanente Stresssituation wandeln kann, dann werden die normalen menschlichen Sensoren dafür freier, was richtig ist und was falsch. Wenn etwas in der 14. Arbeitsstunde in der Nacht von Freitag von Samstag passiert, sind sowohl Ursache als auch Wahrnehmung davon etwas völlig anderes wie während der Normalarbeitszeit. Das hängt alles miteinander zusammen. Die Normalisierung der Arbeitszeit ist also etwas ganz Zentrales und die Verhandlungen bewegen sich, wie ich höre, in eine gute Richtung. Jetzt muss man nur noch sicherstellen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen auch eingehalten werden.
Ich glaube auch, dass wir mit dem neuen Filmstandortgesetz, das mit 1.1.2023 in Kraft treten wird, endgültig als eine der letzten Branchen den Schritt in die Digitalisierung vollziehen. Wir werden jetzt von einer Partyveranstaltung zu einer Industrie. Das bringt andere Voraussetzungen mit sich – und auch andere Probleme: Wir werden verstärkt darauf achten müssen, dass es kreative und künstlerische Freiräume gibt. Sie sind der Nährboden, auf dem alles wächst. Aber das ist freilich kein Freibrief, sich „aufzuführen“. Wenn den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein gutes Rüstzeug in Form einer Anlaufstelle zur Verfügung steht, können sie damit auch umgehen und allfällige Ausrutscher abfangen, hoffentlich bevor etwas passiert. Filmemachen ist zweifellos immer wieder mit enormem Druck und Anstrengung verbunden, es ist eigentlich immer etwas ungeheuer Persönliches, manchmal sogar Intimes. Aber das rechtfertigt weder Fehlverhalten noch entschuldigt es Gesetzesbruch.

Dazu passt ja auch die Ansicht, die man immer noch oft hört: Dass Filmarbeit eben hart sei und sich früher ja auch niemand beschwert habe … Was würden Sie entgegnen?
Ich hatte einmal eine lustige Debatte mit einem Herrn von der WKO, der gesagt hat: „… dann sollen’s halt nicht zum Film gehen.“ Filmemachen ist aber keine Ausnahmesituation – das ist jetzt endlich angekommen, glaube ich. Filmschaffende sind Menschen, die von dem Beruf leben wollen und auch mit dem Beruf leben wollen. Ich stamme aus einer Familie, in der immer irgendwer beim Film gearbeitet hat. Immer wenn jemand gedreht hat, war er oder sie raus aus dem alltäglichen Leben, denn er oder sie hat ja gedreht. Die Person musste nicht einkaufen, sich nicht um die Kinder kümmern, war für nichts mehr zuständig und alle mussten darauf Rücksicht nehmen. Das geht nicht.
Dänemark hat vor einigen Jahren den Film-Kollektivvertrag neu aufgesetzt. Dokumentar- und Spielfilm wurden getrennt. Der Produzent, die Produzentin muss bei fiktionalen Produktionen eine Woche im Voraus die Arbeitszeiten für die kommende Woche bekannt geben und darf diese nicht um mehr als eine Stunde verschieben. Das heißt, wenn ich mir ausmache, dass ich um 18 Uhr mein Kind abhole, dann weiß ich, dass ich das schaffe. Ich kann aufstehen und sagen „Tut mir leid, ich gehe jetzt mein Kind abholen.“ Und zwar egal, ob ich Kameramann bin oder Regisseurin oder Kostümbildnerin. Das ist alles machbar. Wenn man professionell arbeitet, kann man das umsetzen. Ich wehre mich einfach stark dagegen, dass der Gesetzesbruch die Grundlage für künstlerisches Schaffen ist. Das kann es nicht sein.