Steven Spielberg verfilmt einen der ganz großen Musical-Klassiker neu.
Als Stephen Sondheim am 26. November diesen Jahres im Alter von 91 Jahren verstarb, sprach die Schauspielerin Imelda Staunton in einer der ersten Reaktionen vom „Shakespeare der Musical-Welt“. Es war nur eine von vielen Würdigungen für den Komponisten und Texter, der wie kaum ein anderer das moderne Musiktheater zu prägen verstand und den Präsident Barack Obama Obama, als er Sondheim 2015 die „Medal of Freedom“, die höchste in den Vereinigten Staaten zu vergebende zivile Auszeichnung überreichte, wie folgt charakterisierte: „Um es einfach zu sagen: Stephen hat das amerikanische Musical neu erfunden.“
Ein Ruf, der nicht unwesentlich auf dem im September 1957 uraufgeführten Werk gründet, das schlechthin als der Klassiker des Musicals gilt: „West Side Story“, die Zusammenarbeit von Sondheim als für die Songtexte Verantwortlicher, Leonard Bernstein als Komponist sowie dem Librettisten Arthur Laurents. Das Trio übertrug das Motiv von William Shakespeares „Romeo and Juliet“ auf kongeniale Weise in das gegenwärtige New York und schuf damit eine moderne, stilbildende Form des Musiktheaters. Robert Wise, einer der vielseitigsten Regisseure Hollywoods, setzte 1961 zusammen mit dem als Ko-Regisseur fungierenden Choreografen Jerome Robbins eine grandiose filmische Adaption in Szene, die mit insgesamt zehn Oscars ausgezeichnet wurde und in diesem Genre immer noch als Maß aller Dinge gilt.
Es bedurfte also schon eines Regisseurs mit dem Renommee von Steven Spielberg, um sich an eine Neuverfilmung heranzuwagen. Spielberg, der bekanntermaßen im Verlauf seiner glanzvollen Karriere die geradezu magische Fähigkeit, höchst unterschiedliche Genres und Stoffe auf seine eigene Art zu interpretieren, wiederholt unter Beweis gestellt hat, setzt – und das soll sich als völlige richtige Entscheidung herausstellen – auf Werktreue. Demgemäß spielt auch seine West Side Story im New York der fünfziger Jahre, wo sich im titelgebenden Stadtviertel anhand des Konflikts zweier Jugendgangs jene unheilvolle Gemengelage aus Vorurteilen, Intoleranz und Gewaltbereitschaft entwickelt, an der die große Liebe zwischen Tony (Ansel Elgort) und Maria (Rachel Zegler) auf tragische Weise scheitert.
Auch stilistisch knüpft Spielberg Inszenierung an klassische Hollywood-Traditionen in Sachen Musical an. Seine Inszenierung generiert jene Mischung aus selbstverständlich anmutender Leichtigkeit und präzise choreografierter Virtuosität, die charakteristisch für die goldene Ära des Hollywood-Musicals im Stil Stanley Donens ist. Seine Reverenz erweist Spielberg der Verfilmung von Robert Wise mit einem schönen Besetzungscoup: Rita Moreno, die 1961 eine der Hauptrollen gespielt hat, übernimmt nun, 90-jährig, eine einprägsame Nebenrolle.
Es mag ein Indikator für Steven Spielbergs Unbehagen über den gegenwärtigen Zustand Hollywoods mit der zunehmenden Fixierung auf diversen Superhelden- Bombast sein, dass er mit West Side Story einen deutlichen Kontrapunkt setzt. Zählte Spielberg zu Beginn seiner Karriere zu jener Fraktion New Hollywoods, die traditionelle Genres revitalisierte und so dem US-amerikanischen Kino einen dringend notwendigen kreativen Schub verpasste, pflegt er in jüngerer Vergangenheit wiederholt das klassische Erbe. So belebte er das historische Drama (Lincoln, 2012; Bridge of Spies, 2015) traditionellen Zuschnitts ebenso wieder wie den engagierten Politthriller mit The Post (2017). Mit der starken Betonung der klassischen Formen Hollywoods grenzte sich Spielberg in diesen Inszenierungen deutlich vom erwähnten Trend zum Spektakel-Kino ab, eine Linie, die er mit West Side Story nun fortsetzt. Dass Spielbergs Version dieses Musical-Klassikers keinen Vergleich zu scheuen braucht und für sich selbst steht, macht die Rückbesinnung auf bewährte Kino-Tugenden durchaus schlüssig.