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München

Interview | Netflix

Widerstand gestern und heute

| Pamela Jahn |
Bisher waren die Romane von Robert Harris für Roman Polanski reserviert – zwei seiner Bestseller hat er bereits verfilmt. Jetzt hat Christian Schwochow mit „München – Im Angesicht des Krieges“ ein drittes Werk des britischen Meistererzählers adaptiert.

Seit seinem Regiedebüt Novemberkind (2008) hat sich Christian Schwochow in seiner Filmografie immer wieder mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Erst vor vor wenigen Monaten lief sein provokantes Politdrama Je suis Karl im Kino, das die Radikalisierung der Neuen Rechten thematisiert. Bereits 2016 hatte er mit Die Täter – Heute ist nicht alle Tage den exzellenten Auftakt zu dem ARD-Dreiteiler über die Verbrechen des NSU vorgelegt. Zwischendurch porträtierte er die verkokste Finanzwelt in Bad Banks, verfilmte einen Klassiker von Siegfried Lenz und ging nach Großbritannien, um dort einige Folgen der Netflix-Serie The Crown über die englische Königsfamilie zu drehen. In seinem neuen Film, der auf dem Roman „Munich“ von Robert Harris basiert, bringt er nun Briten und Deutsche kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor der Kamera zusammen. Ein Gespräch über die Ungewissheiten der Zeit damals wie heute, die ewige Kraft des Widerstands und warum Jeremy Irons der perfeke Neville Chamberlain ist.

Herr Schwochow, in dem Podcast «Close Up.», den Sie gemeinsam mit der Schauspielerin Susanne Bormann für die Deutsche Filmakademie betreiben, stellen Sie Ihren Gesprächspartnern als erstes immer die Gretchenfrage. Heute einmal andersherum, zunächst die Frage an Sie: Warum machen Sie diesen Beruf?
Ich habe mich als Teenager für unterschiedliche Sachen interessiert. Ich habe gemalt, Musik gemacht und geschrieben, habe fotografiert und Theater gespielt. Irgendwann habe ich mir gedacht, ich will mich nicht für eines entscheiden müssen. Außerdem habe ich auch immer gerne mit Leuten gearbeitet. So kam ich auf die Idee, Filmregisseur zu werden, weil ich da all das machen kann und sogar noch mehr. Ich habe zunächst eine Ausbildung als Fernsehjournalist gemacht und dabei gemerkt, dass es mir nicht nur Spaß macht, Geschichten zu erzählen, sondern dass mehr dahintersteckt. Dass es mir ein Bedürfnis ist, mich zu äußern. Für mich ist Film immer beides: sowohl eine wunderbare Art und Weise, sich auszudrücken, als auch ein ganz tolles Medium, um Menschen zu erreichen. Deshalb habe ich angefangen, Filme zu drehen, und kann mir bis heute nichts vorstellen, dass ich lieber machen würde.

Was hat Sie speziell an Robert Harris‘ Roman interessiert und wie kam es zu der Verfilmung von „München“?
Der Roman ist quasi zu mir gekommen. Ich bekam einen Anruf von meiner Agentin, die meinte, der Produzent Andrew Eaton habe angefragt, ob ich Zeit hätte, etwas zu drehen. Dann haben wir miteinander telefoniert, und er hat mir von dem Projekt für Netflix erzählt. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt noch kein Drehbuch. Also habe ich erst mal den Roman gelesen und war völlig erstaunt über die genaue Recherche. Es handelt sich um eine Art von historischem Roman, der auf Fakten beruht, wie es sie in deutscher Sprache gar nicht so oft gibt. Außerdem war die Geschichte für mich auch sehr neu. Diese Zeit um 1938, als sozusagen noch nicht genau abzusehen war, was für ein Krieg das werden kann, ist mir bisher nie so vertraut gewesen. Diese Monate kurz vor der Katastrophe.

Sehen Sie trotz des historischen Schauplatzes auch Parallelen zu der Ungewissheit der Zeit, in der wir heute leben?
Ja, unbedingt. Es gibt etwas in München, dass die Atmosphäre unserer gegenwärtigen Welt widerspiegelt, in der es wieder so viele Diktatoren gibt und Gesellschaften in große Krisen stürzen. Auch Covid hat uns in den vergangenen Monaten gezeigt, wie schnell sich die Stimmung in einem Land verändern kann – und wie schnell Demokratien Risse bekommen können. Und was mich konkret an dem Stoff interessiert hat, ist die junge Perspektive. Ich wollte keinen Film machen, der noch einmal die Bilder über diese Zeit reproduziert, die wir schon so oft gesehen haben.

Robert Harris hat einmal gesagt: „Um ein Buch schreiben zu können, muss ich für mich das Gefühl haben, dass es wahr ist.“ – Geht es Ihnen beim Filmemachen ähnlich?
Ich fange ähnlich wie Robert jedes Projekt zunächst immer mit umfangreichen Nachforschungen an. Ich arbeite mit einem Rechercheteam, habe in diesem Fall aber eben auch viel mit ihm selbst gesprochen, um zu erfahren, wo er in die Fiktion gegangen beziehungsweise ganz nah an der Realität geblieben ist. Und dabei habe ich sehr schnell gemerkt, dass diese Geschichte zwischen den beiden jungen Männern, die wir im Film sehen, so auch tatsächlich hätte stattfinden können. Ich finde in dem Zusammenhang übrigens noch eine andere Aussage von Robert sehr prägnant, wenn er nämlich sagt: „Ich kann soweit erfinden, wie es nicht von der Historie widerlegt worden ist.“ Auch das ist ein Prinzip, das mir sehr vertraut ist. Ich denke, mit Geschichte muss man verantwortungsbewusst umgehen. Man kann das Ganze nicht einfach einer Dramaturgie unterwerfen, nur weil es für den Film vielleicht spannender wäre.

Worauf genau kam es Ihnen bei der Umsetzung auf der Leinwand an, das in der Vorlage vielleicht nicht so explizit zum Ausdruck kommt?
Mir war es extrem wichtig, dass man den Alltag der damaligen Zeit spürt. Dass man so etwas wie die Grauen der Judenverfolgung mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit zeigt, denn das Leben in Deutschland 1938 war für die meisten Menschen erschreckend normal. Ich habe bei meiner Recherche Dinge gesehen, die kann man sich gar nicht vorstellen: Die Freibäder waren voll, Kneipen auch, während zur gleichen Zeit Konzentrationslager gebaut wurden. Die Leute haben ganz unbekümmert gefeiert, obwohl das Unheil total sichtbar war. Es gibt also offenbar Verdrängungsmechanismen, die in solchen Situationen einsetzen. Und das ist zum Teil heute nicht anders. Ich will Donald Trump nicht mit Hitler vergleichen, aber man hat immer gewusst, was dieser Mann im Schilde führt, er hat ja ganz offen darüber geredet. Trotzdem hat haben viele Amerikaner ihn gewählt, oder vielleicht auch gerade deshalb, obwohl man wusste, dass es beispielsweise für Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder Herkunft ungeheure Konsequenzen haben wird. Und so war es dann ja auch.

Vor Ihnen hat bisher nur Roman Polanski zwei Werke von Robert Harris verfilmt. Geht man da mit einem besonderen Respekt an das Material heran?
Das habe ich ehrlich gesagt komplett ausgeschaltet. Ich habe den letzten Film, J’Accuse, auch noch gar nicht gesehen. In diesem Sinne hat mich die Tatsache in dem Moment auch nicht eingeschüchtert. Verunsichert haben mich eher andere Sachen, wie beispielsweise das Authentische. Vor allem in Bezug auf die britische Historie, denn das wird in England noch einmal ganz anders wahrgenommen als in Deutschland. Allerdings hatte ich durch The Crown, glaube ich, eine ganz gute Schule, wie es funktionieren kann. Das hat meine Bedenken letztlich auch in der Hinsicht zerstreut.

Was macht das Thema Widerstand Ihrer Meinung nach bis heute so unendlich spannend für Kino und Fernsehen?
Seit 9/11 hat sich unheimlich viel zugespitzt in der Welt, so dass es, wenn man nicht aufpasst, in manchen Ländern ganz schnell kippen kann. Und ich denke, auch bei uns in Zentraleuropa sind diese plötzlichen Stimmungswandel durchaus möglich und realistisch. Mein vorheriger Film Je suis Karl war in dem Punkt noch schärfer. Aber auch München ist ein Film, der über Widerstand erzählt, und zwar die Form von Widerstand, die Möglichkeiten diskutiert – nur darum geht es. Ich will keine Antworten geben. Für mich sind Hugh und Paul wie zwei gegenseitige Pole: Der eine plädiert für die Kraft der Worte, die Kraft der Politik. Der andere radikalisiert sich, geht in den Untergrund. Und ich möchte und kann gar nicht sagen, was ich richtiger finde. Aber ich finde es unheimlich wichtig, die jungen Menschen heute mit allen Mitteln der Kunst darin zu unterstützen, dass sie nicht alles einfach so hinnehmen. Ich finde es wichtig, ihnen zu verstehen zu geben, dass es gut ist, auf die Straße zu gehen und beispielsweise für „Fridays for Future“ zu demonstrieren. Dass es gut ist, nicht locker zu lassen und den anderen auf die Nerven zu gehen, denn das Schlimmste ist immer, nichts zu tun.

Wenn man historische Figuren wie Hitler besetzen muss, worauf kommt es dann bei der Rollenverteilung an?
Ich glaube, es ist wichtig, egal um wen es geht, dass man einen Darsteller findet, der die Figur verteidigt. Nun kenne ich Ulrich Matthes schon sehr lange, wir haben bereits mehrmals miteinander gearbeitet. Ich habe ihm zunächst ein Buch in die Hand gegeben, in dem man Interviews mit Zeitzeugen nachlesen kann, die sich fünfzig Jahre nach Hitlers Tod an ihre persönlichen Begegnungen mit ihm erinnern, entweder bei der Arbeit oder privat. Denn auch wenn es vielleicht unangenehm ist, finde ich es zwingend, sich mit dem Menschen, den man verkörpert, bis ins Detail auseinanderzusetzen und darauf zu achten, wo derjenige verletzlich ist, wo er seine weiche Seite hat. Selbst wenn man den Mörder spielt. Darüber hinaus gehört bei einer Person wie Hitler natürlich immer auch eine ganze Menge Mut, keine Frage.

Auch Jeremy Irons ist hervorragend. Was macht ihn für Sie zu dem perfekten britischen Premierminister Neville Chamberlain?
Die Arbeit mit ihm war toll, weil er selbst unheimlich historisch interessiert und außerdem seit Jahren mit Robert Harris befreundet ist. Und als er den Roman zum ersten Mal las, lange bevor von einer Verfilmung die Rede war, hat er Robert angerufen und zu ihm gesagt: „Wenn das Buch irgendwann einmal adaptiert wird, dann schlag mich bitte als Chamberlain vor. Ich möchte diesen Mann gerne spielen und seine Reputation verbessen.“ Denn Chamberlain wurde nach Ende seiner Laufbahn in England als Politiker nie sehr ernst genommen. Aber gerade deshalb wird auch hier wieder deutlich, dass es einen Schauspieler braucht, der sich einerseits in den Dienst der Person stellt, der für sie kämpft, und der sich andererseits aber auch nicht davor scheut, Leerstellen auszufüllen.

Sie drehen derzeit wieder neue Folgen für die nächste Staffel von „The Crown“. Fühlen Sie sich eher mit den Briten verbunden, oder ist London ein Umweg nach Hollywood?
Ich fühle mich wahnsinnig wohl in England. Ich arbeite sehr gerne dort. Aber genauso viel Spaß macht es mir, in Deutschland oder Europa zu drehen. Und ich schließe für die Zukunft sicher nichts aus. Das heißt, wenn es ein Projekt gäbe, bei dem ich denke, das muss ich unbedingt machen, dann würde ich dafür auch nach Amerika gehen. Aber im Moment tendiere ich eher zu England, einfach weil ich dort spannende Sachen machen kann. Und ich habe das Gefühl, diese deutsch-britische Achse, das ist etwas, was an Bedeutung gewinnen wird. Es gibt scheinbar so etwas wie eine beiderseitige Faszination, und ich spüre, dass da immer mehr Geschichten auf mich zukommen, in denen beide Kulturen eine Rolle spielen. Insofern kann ich mir auch gut vorstellen, dass München in der Hinsicht nicht das letzte Projekt ist. Mal sehen.